Im Einsatz für Frauenrechte
Die traumasensible Arbeit mit Kriegsüberlebenden, insbesondere Frauen und Kindern, ist eine verantwortungsvolle Aufgabe. Um sie erfüllen zu können, hilft es, wenn Wissenschaft und Praxis an einem Strang ziehen. Ein konkretes Beispiel macht es vor: Dr. Pınar Şenoğuz arbeitet seit einem Jahr zur Hälfte an der TH Köln und zur Hälfte bei der feministischen Frauenrechtsorganisation medica mondiale.
Dr. Pınar Şenoğuz bringt gute Voraussetzungen mit, um Wissenschaft und Praxis miteinander zu vereinen: Zu ihren Berufserfahrungen gehören sowohl die Arbeit bei einer Hilfsorganisation für Migrantinnen als auch ein Lehrauftrag an der Hochschule Düsseldorf. „Es gefällt mir, die Praxis der Sozialarbeit mit Lehre und Forschung zu verknüpfen“, sagt sie. Auch ihre aktuelle Stelle bietet die Gelegenheit dazu. Zweieinhalb Tage in der Woche arbeitet sie als Referentin für Evaluation bei der feministischen Frauenrechts- und Hilfsorganisation medica mondiale, und zweieinhalb Tage lehrt und forscht sie als Postdoc an der Fakultät für Angewandte Sozialwissenschaften der TH Köln. Möglich macht es das Tandemprogramm der Hochschule. Es qualifiziert Wissenschaftler*innen akademisch und berufspraktisch. Teilnehmer*innen sind sowohl bei einem externen Partner als auch an der TH Köln angestellt.
Die Erfahrungen von Şenoğuz überzeugten auch die Arbeitgeberinnen auf beiden Seiten. Kirsten Wienberg, Leiterin der Stabsstelle Evaluation und Qualität bei medica mondiale und Betreuerin im Rahmen des Tandemprogramms, listet auf: „Sie hat Forschungserfahrung und bereits mehrere Artikel publiziert, aber auch mit Überlebenden gearbeitet.“ Helen Schmidt, Professorin für Sozialmedizin am Institut für Soziales Recht und hochschulseitige Betreuerin, ergänzt: „Beeindruckt hat mich ihre Tätigkeit in kriegsnahen Gebieten. Pınar kann nicht nur wissenschaftlich arbeiten, sondern ist tatsächlich selbst im Feld gewesen.“
Vorteile für Wissenschaft und Praxis
Diese doppelte Qualifikation bereichert jetzt auch Hochschule und Organisation, denn Şenoğuz trägt die Erkenntnisse ihrer beiden Arbeitsbereiche jeweils weiter. „Ich leite an der Hochschule zurzeit ein Seminar über Gender-Dynamik, während und nach Kriegen“, sagt sie. „Die Idee ist, dass die Studierenden einen Einblick in die Arbeitspraxis erhalten und für Geschlechterverhältnisse und Gewalt in Konfliktgebieten sensibilisiert werden.“ Die Frauenrechtsorganisation wiederum profitiert vor allem von dem Zugang zu fundierter Forschung. „Als NGO sind wir auf Spenden angewiesen“, so Şenoğuz. „Dafür ist es wichtig, die Auswirkungen unserer Arbeit zu belegen. Wissenschaftliche Erhebungen helfen uns dabei.” Das bestätigt Wienberg. „Wir sind daran interessiert, dass die Projektarbeit ausgewertet wird und die Ergebnisse publiziert werden, damit wir uns darauf berufen können. Und das geht einfach nicht ohne eine Publikation.“
Herausforderungen mit Kommunikation begegnen
Als Tandemkandidatin steht Şenoğuz zwar im Zentrum der Kooperation, aber inzwischen haben sich auch schon weitere Querverbindungen zwischen Hochschule und Organisation gebildet. Diese reichen von der Integration der Fachkolleg*innen von medica mondiale in Lehrveranstaltungen über Besuche von Studierenden in den Räumlichkeiten der Organisation bis zu Überlegungen, wie Forscher*innen der Hochschule ihre Expertise in die Praxisarbeit einfließen lassen können. Die enge Verzahnung zweier so unterschiedlicher Welten bringt Herausforderungen mit sich, zum Beispiel die strukturellen oder kulturellen Unterschiede beider Arbeitgeberinnen. Wie das Tandem diesen begegnet? Mit ganz viel Kommunikation und Flexibilität. „Natürlich muss Pınar für die Lehre hier vor Ort sein, aber wir räumen ihr soweit wie möglich Freiheiten ein“, sagt Schmidt. „Darüber hinaus hilft es, dass alle Parteien im regelmäßigen Austausch stehen. Wir sehen uns nicht nur einmal im Jahr und präsentieren dann knallharte Ergebnisse, sondern wir begleiten uns gegenseitig im Prozess.“
Das schafft eine gute Grundlage für alles, was in den nächsten Jahren ansteht: Pınar Şenoğuz möchte mithilfe eines Zertifikats ihre Lehrkompetenz auf eine fundierte Basis stellen und auch ihre Kenntnisse in quantitativen Forschungsmethoden vertiefen. Unterstützt wird sie dabei zum einen von Helen Schmidt, zum anderen von Dr. Sefik Tagay, Professor für Psychologie am Institut für Geschlechterstudien und dritter Tandembetreuer. Darüber hinaus steht eine Projektreise in die afrikanische Region der Großen Seen an, um sich vor Ort ein Bild von der lokalen Sozialarbeit zu machen.
Viele Pläne für wenig Zeit, aber das Ziel haben alle Kooperationspartnerinnen klar vor Augen. „Das Thema ist so komplex und sich einzuarbeiten ist eine Heidenarbeit, aber wir wollen ja nicht einfach irgendwas machen, sondern wissenschaftliche Methoden für die Praxis tatsächlich anwenden“, betont Helen Schmidt. Kirsten Wienberg stimmt zu: „Wir brauchen evidenzbasierte Studien, um unsere Programmarbeit so zu verbessern, dass Frauen, Kinder, Familien und Gesellschaften in Frieden ein würdevolles Leben führen können.“ Diese Vision treibt auch Şenoğuz an: „Meine Arbeit erlaubt es mir, mit und für Frauen zu arbeiten und sie zu stärken. Und ich bin sehr froh, dass meine beiden Arbeitgeberinnen so engagiert und motiviert zu diesem Ziel beitragen.”
Über das Personalgewinnungskonzept „PLan_CV“
Das Tandemprogramm ist ein Baustein des Projekts PLan_CV („Professur-Laufbahn an Hochschulen für angewandte Wissenschaften neu denken: Collaboration und Vernetzung“). Es soll exzellentes Personal für Professuren an der TH Köln gewinnen und eine bessere Durchlässigkeit zwischen Wissenschaft und Wirtschaft erreichen. Das Projekt wird im Rahmen des Programms zur Förderung der Gewinnung und Qualifizierung professoralen Personals an Fachhochschulen mit 12,4 Millionen Euro vom Bundesministerium für Bildung und Forschung gefördert.
November 2024