Wie lässt sich die Umweltverträglichkeit eines Gebäudes bestimmen?

Porträt Prof. Dr. Michaela Lambertz (Bild: privat)

Das Einfamilienhaus ist in die Kritik geraten. Der Vorwurf: es verbraucht zu viel Fläche, zu viele Baustoffe und zu viel Energie. Prof. Dr. Michaela Lambertz vom Institut für Technische Gebäudeausrüstung spricht im Interview über Ziele und Herausforderungen nachhaltigen Bauens und darüber, wie sich die Ökobilanz und die Umweltverträglichkeit eines Gebäudes überhaupt bestimmen lässt.

Prof. Dr. Lambertz, was bedeutet nachhaltiges Bauen?

Nachhaltiges Bauen ist ein ganzheitlicher Ansatz, bei dem neben ökologischen auch ökonomische und soziale Aspekte berücksichtigt werden. Die Ziele des nachhaltigen Bauens im Bereich der Ökologie liegen in der Minimierung des Verbrauchs von Energie und Ressourcen und der Vermeidung von Risikostoffen. Dabei werden alle Lebenszyklusphasen eines Gebäudes berücksichtigt: von der Rohstoffgewinnung über die Errichtung und Nutzungsphase bis hin zum Rückbau. Um nachhaltig zu bauen, bedarf es einer Optimierung sämtlicher Einflussfaktoren auf diesen Zyklus. Dabei kann von einer durchschnittlichen Nutzungsdauer von etwa 50 bis 80 Jahren bei Wohnhäusern und etwa 20 Jahren bei Gebäuden von Industrie und Logistik ausgegangen werden. Durch Bauen im Bestand, also etwa durch den Austausch von Dächern oder Fassaden, kann die Lebensdauer allerdings auch verlängert werden.

Welche Faktoren beeinflussen die Nachhaltigkeit eines Gebäudes?

Zunächst einmal geht es um das Grundstück, das bebaut wird. Je nach vorhandener Bodenqualität kann eine Baumaßnahme zum Beispiel auch zur Aufwertung der Fläche beitragen. Zudem können rund um das Gebäude ausgleichende Biodiversitätsmaßnahmen getroffen werden. Weiterhin müssen die materialgebundenen Umwelteinwirkungen der Baustoffe berücksichtigt werden. Dabei geht es um die Frage, wie viele CO2-Emissionen durch die Herstellung einzelner Materialien wie Rohre oder Dichtungen entstanden sind. Gleichzeitig müssen aber auch die Emissionen während des Betriebs eines Gebäudes beachtet werden.

Was gilt es hinsichtlich der Nachhaltigkeit von Baustoffen zu beachten?

Neben der CO2-Bilanz sind die in den verwendeten Materialien vorkommenden Schadstoffe wesentliche Einflussfaktoren hinsichtlich der Nachhaltigkeit von Gebäuden. In Farben, Lacken und Dichtungen kommen häufig Lösungsmittel oder Schwermetalle zum Einsatz – auf solche Risikostoffe sollte natürlich verzichtet werden. Darüber hinaus können die verwendeten Materialien wie Kupfer oder Stahl als Wertstofflager genutzt werden – man spricht dabei von zirkulärem Bauen. Dabei werden Konstruktionen entwickelt, die einen unbeschadeten Rückbau und eine Wiederverwertbarkeit der Baustoffe ermöglichen.

Wie werden solche Einflussfaktoren gemessen?

Dafür gibt es unterschiedliche Zertifizierungssysteme. Baurechtlich erforderlich ist ein Energieausweis, der unter anderem Auskunft über den CO2-Bedarf durch Heizen, Kühlen oder Beleuchtungen gibt. Darüber hinaus gibt es verschiedene Green Building Labels. Das sind Zertifikate, die an Gebäude und Quartiere vergeben werden. Diese müssen sich einer ganzheitlichen Nachhaltigkeitsbewertung unterziehen, die von einer unabhängigen Stelle durchgeführt wird. Weltweit gibt es eine Vielzahl von Green Building Labels mit verschiedenen Bewertungssystemen. Diese ermöglichen eine ganzheitlichere Bilanz der Nachhaltigkeit von Gebäuden, sind allerdings nicht gesetzlich festgeschrieben. Sie werden unter anderem auch aus wirtschaftlichen Gründen von Investoren genutzt, beispielsweise um Vorteile bei der Finanzierung von Projekten zu erlangen. An sich stellen Green Building Label ein gutes Steuerungs- und Kommunikationsinstrument im Bereich des nachhaltigen Bauens dar.

Wie könnten die Umweltauswirkungen von Gebäuden besser erfasst werden?

Eine große Herausforderung ist die Vielzahl von Materialien, die verwendet werden. Es müsste transparenter gemacht werden, welche Baustoffe genutzt werden, welche Schadstoffe diese in welcher Konzentration beinhalten und wie es um die jeweilige CO2-Bilanz der Materialien steht. Dafür bedarf es eines Bewertungssystems wie einer standardisierten Gebäudeökobilanz. Dadurch könnten die Umweltauswirkungen eines Gebäudes ganzheitlich, also über den gesamten Lebenszyklus eines Gebäudes, erfasst und Optimierungspotenziale besser ausgemacht werden.

Welche Optimierungspotenziale gibt es für Bestandsgebäude?

Neben einer energetischen Sanierung können zum Beispiel Photovoltaikanlagen angebracht oder eine Pelletheizung errichtet werden. Auch ausgleichende Biodiversitätsmaßnahmen können die Umweltverträglichkeit eines Gebäudes nachträglich verbessern. Zudem gibt es die Möglichkeit, ein bestehendes Gebäude umzunutzen. Zum Beispiel kann ein Einfamilienhaus je nach Bauart in zwei Wohnungen umgewandelt werden, denn wer alleine viel Fläche beansprucht, hat in der Regel eine schlechtere Ökobilanz. Eine solche Umnutzung könnte daher den CO2-Fußabdruck insgesamt verkleinern. Aber es wäre noch besser, wenn neue Gebäude gleich derart flexibel gebaut werden, dass sie sich leicht baulich verändern und umnutzen lassen.

Februar 2021

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