Smarte neue Lieferwelt

Drohne (Bild: TH Köln)

Der Paket-Boom während der Corona-Pandemie sorgt für Rekordumsätze bei Zustelldienstleistern. Die Branche muss neue Lösungen entwickeln: mit künstlicher Intelligenz, der Entwicklung autonomer Annahmesysteme oder einer Veränderung der bisherigen Stadtplanung. Auch an der TH Köln arbeiten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler daran, die Logistik effizienter und nachhaltiger zu gestalten.

Sie warten hinter fast jeder Straßenecke und prägen das heutige Stadtbild: gelbe, blaue, rote oder braune Lieferfahrzeuge. Immer mehr Waren und Pakete werden von Zustelldienstleistern bis an die eigene Haustür geliefert. Mit der Corona-Pandemie hat die Zahl der Sendungen noch einmal massiv zugenommen. Das setzt die Logistik unter Handlungsdruck – insbesondere in den bevölkerungsreichen Innenstädten. Aber wo setzt man an, um die Prozesse zu optimieren? Ist künstliche Intelligenz (KI) die Lösung? Reicht es aus, mehr Packstationen und größere Warendepots zu errichten? Oder müssen Logistik und sogar Stadtplanung neu gedacht werden?

„Corona ist ein absoluter Beschleuniger. Die Logistik boomt und damit werden neue Innovationen immer notwendiger“, sagt Prof. Dr. Michael Lorth, Professor für Logistikconsulting am Schmalenbach Institut für Wirtschaftswissenschaften. Während Kurier-, Express- und Paketdienste (KEP) 2019 laut Bundesverband Paket und Expresslogistik e.V. (BIEK) noch etwa 3,3 Milliarden Sendungen zugestellt haben, waren es 2020 bereits rund vier Milliarden. „Das Wachstum wird voraussichtlich aber auch nach Corona weitergehen: Im KEP-Bereich wird mit rund 4,5 Milliarden Sendungen bis 2024 gerechnet“, so Lorth.

Waren über Kameras erfassen

Um diesem Boom gerecht zu werden, setzen viele Logistik-Unternehmen auf künstliche Intelligenz. Diese wird derzeit etwa bei der Planung von Routen oder bei der Vertriebs- und Auftragsabwicklung eingesetzt, wie Dr. Stephan Freichel, Professor für Distributionslogistik am Institut für Produktion, erklärt. „Mit Hilfe von Service-Assistenten und Bots können bei Logistikunternehmen zum Beispiel Lieferscheine und Rechnungen nach dem Scannen der Eingangspost erkannt, erfasst und automatisch weiterverarbeitet werden.“

Ein weiteres Einsatzgebiet sei das sogenannte Forecasting der Nachfrage. „Hier ermittelt eine Software, welche Bedarfe es in der Region des Depots gibt – also welche Produkte besonders oft bestellt werden. Dementsprechend wird dann das Lager befüllt“, so Freichel, der derzeit selbst an einer autonom navigierenden Transportdrohne für die Logistik in Produktionshallen forscht (siehe Infobox).

In Zukunft könnte KI verstärkt im Bereich Sensorik und Bilderfassung eingesetzt werden. „Waren müssen im Laufe der Transportkette regelmäßig einzeln abgescannt werden. Mit Hilfe von intelligenter Software lässt sich dieser Vorgang automatisieren. Dieses Verfahren wird bereits in Supermärkten getestet, in denen Waren nicht mehr an der Kasse, sondern über Kameras erfasst werden – das ist ein Durchbruch“, sagt Freichel. Insgesamt fehle es in der Logistik bisher aber an ganzheitlichem Denken: „Die Logistikketten leiden unter isolierten Lösungen. Es müssen mehrere Ansätze miteinander verknüpft werden, um den gesamten Prozess effizienter zu gestalten.“

Abholen statt liefern löst das Problem nicht

Wenn von der gesamten Logistikkette die Rede ist, dann ist auch die berühmte letzte Meile gemeint, also das letzte Wegstück beim Transport von Waren zur Haustür der Kundinnen und Kunden. Insbesondere in den bevölkerungsreichen Innenstädten ist die Organisation dieses Wegstücks eine Herausforderung. Nach Ansicht von Michael Lorth liegt das aber nicht allein am Transport: „Die letzte Meile wird zumeist nur bis zur Übergabe gedacht. Dabei können in Städten lediglich 40 bis 60 Prozent der Sendungen tatsächlich erstzugestellt, also direkt an der ursprünglich vorgesehenen Adresse der Empfängerin oder des Empfängers abgeliefert werden.“

Dieser Problematik werde jetzt mit mehr Packstationen auf Supermarktparkplätzen oder in Bahnhöfen begegnet. „Damit wird die Zustellung aber auf die Kundinnen und Kunden verlagert – diese müssen nun die Logistik selbst übernehmen, heißt: Packstation oder Filiale aufsuchen und das Paket selbst abholen.“ Das führe nicht nur zu mehr Verkehr, sondern sei für viele Menschen mit nicht unerheblichen Mehrkosten und Zeitaufwendungen verbunden.

Um das Problem der Übergabe zu lösen, muss diese neu gedacht werden, wie Lorth fordert: „Für Pakete und andere Kleingüter braucht es ein Pendant zum Briefkasten. In unserem Lehrforschungsprojekt KARL – Kleingüter-Annahme-, Rückgabe- und Lagerungssystem, arbeiten wir daher an Konzepten für ein autonomes Annahmesystem.“ Die intelligente Integration solcher Lösungen für Pakete und andere Kleingüter müsse bei der Entwicklung neuer Wohnquartiere und Gebäudekonzepte künftig mitgedacht werden. „Die Immobilien selbst annahmefähig zu machen, idealerweise im Zusammenspiel mit autonomen Zustellsystemen wie zum Beispiel Bodendrohnen – das wäre der absolute Königsweg, denn damit entfiele endlich eine der Hauptursachen für die Ineffizienzen auf der letzten Meile: der vergebliche Erstzustellversuch bei Abwesenheit der Empfängerin oder des Empfängers sowie die nachfolgenden Ersatzzustellungs- und Abholverkehre. Die letzte Meile ließe sich dann wesentlich nachhaltiger gestalten.“

Stadtplanung neu denken

Dazu sollen auch die sogenannten City Hubs und Mikrodepots beitragen – kleine urbane Zwischenlager und Umschlagsflächen, die zum Beispiel in Containern, leerstehenden Ladenflächen oder aber in eigens hierfür konzipierten Logistikimmobilien eingerichtet werden und auf das gesamte Stadtgebiet verteilt sind. „Diese urbanen Lager und Umschlagsflächen haben mehrere Vorteile: Anders als im Falle einer Lieferung aus großen Depots, die häufig nur an den Stadträndern errichtet werden können, können die Güter und Pakete auch nachts und damit zu verkehrsarmen Zeiten in die Stadt gebracht werden. Dort können dann tagsüber alternative Lieferfahrzeuge wie Lastenräder eingesetzt werden – das verbessert die CO2-Bilanz. Denn selbst wenn große Lieferfahrzeuge elektrisch und damit emissionsarm betrieben werden könnten, kommt es durch die hinter einem in zweiter Reihe abgestellten Lieferfahrzeug wartenden Autos zu nicht unerheblichen Emissionen.“

Stadtbummel zum Showroom

Mit Blick auf die Zukunft der Logistik könnte sich laut Lorth auch der Handel in den Innenstädten wesentlich verändern. „Es gibt längst Konzepte, in denen der niedergelassene Einzelhandel als reiner Showroom fungiert. Das heißt, man kann sich alles ansehen, aber die Waren nicht direkt mitnehmen, sondern vor Ort – auch online – bestellen. Mit einer leistungsstarken Logistik könnten diese Bestellungen nämlich schon am gleichen Tag geliefert werden – möglicherweise irgendwann sogar autonom – und Lösungen wie KARL nehmen die Sendung dann direkt an der Adresse der Empfängerin oder des Empfängers an. Kundinnen und Kunden müssten sich dann nicht mehr darum kümmern, wie sie ihre lokalen Einkäufe nach Hause transportieren. Sie könnten den Kultur- und Lebensraum der Innenstädte mit freien Händen genießen.“ Solche Szenarien seien aber nur denkbar, wenn Konzepte ganzheitlich gedacht und interdisziplinär umgesetzt würden, so Lorth.

September 2021

Ein Artikel aus dem Hochschulmagazin Inside out


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