Forschergeist in Uruguay

Dr. Stéphane Barbe (38) ist seit 2013 Professor für Chemische Verfahrenstechnik am Campus Leverkusen. (Bild: Thilo Schmülgen/TH Köln)

"Also, wenn ich noch mal 20 wäre", sinniert Stéphan Barbe, "würde ich nach Uruguay gehen. Dort kann man noch etwas aufbauen und entwickeln – anders als in Europa, wo die Hochindustrie bereits fest etabliert ist." Für junge Pioniere sei das kleine südamerikanische Land zwischen Brasilien und Argentinien genau richtig, meint der Professor für chemische Verfahrenstechnik.

Die technologische Infrastruktur sei zwar noch nicht auf dem westlichen Niveau, dafür der akademische Forschergeist sehr ausgeprägt. "In Montevideo (red. Anmerkung: Hauptstadt von Uruguay) sind die Menschen sehr kultiviert und oft mehrsprachig. Bildung hat hier einen höheren Status als materielle Werte."

Ökologische Membran entwickeln
Zwei Wochen war der gebürtige Franzose zu Gast an der Universidad de la República in Montevideo. Ein WG-Mitbewohner aus Studiumstagen hatte ihn eingeladen, gemeinsam an einem Verfahren zur Aufreinigung von Lignin zu arbeiten. Das Biopolymer ist in der pflanzlichen Zellwand eingelagert und sorgt für die Verholzung der Zellen, also im Wesentlichen für die Festigkeit der Pflanzen. Bei der Zellstoffgewinnung von Holz ist Lignin ein Nebenprodukt. Als natürlicher Stoff biologisch gut abbaubar, könnte man die wasserabweisende Eigenschaft des Lignins als Membran nutzen. Zum Beispiel, um bei einer Erdölkatastrophe das Öl vom Wasser zu trennen und aufzufangen. Oder um in der uruguayischen Landwirtschaft ein Übermaß an Düngemitteln zu vermeiden.

Das tropische Tiefland wird flächendeckend von der Lebensmittelindustrie und der Landwirtschaft genutzt, die Böden werden durch große Mengen Stickstoffdüngemittel ausgelaugt. Die Idee der Wissenschaftler: Dieser sogenannte Harnstoff könnte viel geringer dosiert werden, wenn er in einer Ligninfolie eingeschlossen wird. Durch diese Trennschicht würde das Mittel nur langsam diffundieren und nicht direkt durch den Regen aufgelöst.

Voraussetzung ist, das Lignin bei der Zellstoffproduktion von anderen Stoffen sauber zu trennen, in der Chemie auch Aufreinigung genannt. In den zwei Wochen waren Barbe und sein Kollege Prof. Andrés Dieste sehr produktiv: Mit der Unterstützung der Studierenden des Masters Pulp and Paper Technology ist ihnen ein Verfahren gelungen, Lignin mit 96-prozentiger Reinheit im Pilotmaßstab zu produzieren. Am Campus Leverkusen will Barbe jetzt den Prozess vorbereiten, um aus dem Polymer eine Membran zu entwickeln. Gleichzeitig wird auf der anderen Seite des Atlantiks an weiteren Ver fahrenskomponenten gearbeitet. Eine gemeinsame Veröffentlichung ist ebenfalls geplant.

Für Stéphane Barbe hat sich die Reise in mehrfacher Hinsicht gelohnt. In Uruguay ist ihm etwas begegnet, das er bei deutschen Studierenden oft vermisst: Studieren aus Leidenschaft. Vom deutschen Schulsystem geprägt, seien die meisten Studierenden viel zu durchstrukturiert und gehetzt. Als sei das Studium nur ein Tunnel, durch den man kriechen muss, dann hat man es geschafft und der Job kann kommen. "Nur wenige gestatten sich den Freiraum, über das Studium zu reflektieren, sich dabei zu fragen: Was will ich eigentlich? Und sich von Ideen inspirieren lassen", sagt Barbe.

Forscher müssen auch mal träumen
"Ich dachte früher, ich könnte mit meiner Diplomarbeit die Welt verbessern. Natürlich war das naiv – aber  wissenschaftlich bringt es einen weiter, auch mal zu träumen und rumzuspinnen." In Uruguay hätten die Studierenden eine klarere Vorstellung vom Sinn und Zweck eines Studiums, seien näher am Humboldtschen Ideal. Von ihrer Diskussionskultur konnte sich Barbe in seinen Vorlesungen und bei den Untersuchungssettings überzeugen. "Alles wurde hinterfragt und immer wieder neu durchdacht. Dabei habe ich mich nicht immer wohl gefühlt. Ich dachte, so kommen wir zu keinem Ergebnis. Am Ende kam es aber doch anders."

In Montevideo fehlt es an finanzieller und technischer Ausstattung, die in der chemischen Verfahrenstechnik recht aufwendig ist. Deshalb sei die Lehre sehr theoretisch. "Die Studierenden sind unglaublich gut in Mathematik, aber in der Praxis schlecht ausgebildet. Sie wollen unbedingt methodisch arbeiten und waren deshalb sehr engagiert bei unseren Versuchen."
Über den neuen Masterstudiengang Angewandte Chemie können uruguayische Studierende im Bereich Polymer and Materials auch für ein Auslandssemester an die TH Köln kommen. Und vielleicht, so hofft Barbe, bliebe dann etwas vom uruguayischen  Enthusiasmus bei den deutschen Kommilitoninnen und Kommilitonen in Leverkusen hängen.

Text: Monika Probst

Oktober 2015

Ein Artikel aus dem Hochschulmagazin


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