Warum anderen beim Computerspielen zuschauen?
Let’s Play ist ein Videoformat, das vor etwa zehn Jahren entstand und heute Millionen Zuschauer vor die Computerbildschirme zieht. Inhalt der teils hochprofessionell aufgenommenen und vermarkteten YouTube-Filme: Ein Gamer, der sogenannte Let’s Player, spielt und kommentiert ein Computerspiel.
Der Kanal von Gronkh, einem der Stars der Szene, hat über 4,3 Millionen Abonnenten. Seine Videos verzeichnen insgesamt über zwei Milliarden Abrufe. Was fasziniert so viele Menschen an diesem Genre? Prof. Dr. Ute Barbara Schilly vom Institut für Translation und Mehrsprachige Kommunikation ist in einem Lehrforschungsprojekt mit Studierenden den Let’s Plays auf den Grund gegangen.
Was haben Sie in Ihrer Studie untersucht?
Ute Barbara Schilly: In unserem Lehrforschungsprojekt haben wir uns auf eine einfache Form des medialen Formats beschränkt: Auf Let’s Plays, in denen ausschließlich das Spielgeschehen auf dem Bildschirm zu sehen ist, der Spieler hingegen nicht. Dieser ist nur zu hören – neben den Soundeff ekten des Spiels. Die Kommunikation erfolgt also ausschließlich in Monologform auf sprachlicher Ebene. Die Mimik spielt keine Rolle. Es gibt von Seiten der Rezipienten auch keine Gelegenheit, das Geschehen zu beeinflussen. Trotzdem binden die Protagonisten Millionen von Fans mit Videos, die teilweise über eine Stunde lang sind. Die dabei angewendeten Verfahren haben mich fasziniert.
Welche Kommunikationsmuster konnten Sie feststellen?
Ute Barbara Schilly: Bemerkenswert ist der große Variantenreichtum: Neben sachlichen Kommentaren und Informationen zum Spiel gibt es Witze, Wortspiele, ironische Bemerkungen und ähnliches. Dabei wechseln die Let’s Player zwischen Umgangssprache, Hochdeutsch, der Fachsprache der Gamer und weiteren sprachlichen Varianten hin und her. Auch die Stimmmodulation ist sehr abwechslungsreich; dazu wird gesungen und gereimt. Auffällig ist auch der nahezu unaufhörliche Sprachfluss: Die Gamer machen kaum Pausen, sondern kommentieren permanent. In Spielen, in denen weniger passiert wie dem Aufbauspiel Minecraft, ist die Kommunikationsdichte noch höher als in einem spannungs- und actionverdichteten Horrorspiel wie Blackwell‘s Asylum.
Wie gelingt es den Let’s Playern, ihre Zuschauer dauerhaft zu fesseln?
Ute Barbara Schilly: Wir beobachten bei diesem Format zwei parallele Ebenen. Zum einen gibt es das Spielgeschehen an sich, das sicher viele Zuschauerinnen und Zuschauer fasziniert. Zum anderen gibt es den Kommunikationsfluss vom Gamer zu seinen Zuschauern. Und obwohl die Zuschauer vermeintlich passiv sind, gelingt es den Let’s Playern auf der sprachlichen Ebene eine Gemeinschaft herzustellen. Sie sprechen häufig von "wir", also "wir machen am besten
erstmal diese Mission" oder "wir greifen jetzt diesen Gegner an". Und sie teilen im Erleben des Spieles "hautnah" mit, was der einzelne Spielschritt in ihnen auslöst. So werden die Zuschauer mitgenommen, sprachlich am Spielgeschehen beteiligt und es entsteht eine hohe Bindung. Es fühlt sich so an, als würde man einem guten Freund beim Spielen über die Schulter schauen.
In welchen Feldern lassen sich Ihre Forschungsergebnisse anwenden?
Ute Barbara Schilly: Jedes Let’s Play ist quasi ein Lehrstück der Aufmerksamkeitsgewinnung, die sich – bei kommerziell ausgerichteten Kanälen – in Likes, Abonnements oder Merchandisingkäufen ausdrücken soll. Für die Medienpädagogik sehe ich hier wichtige Erkenntnisse, denn es ist wichtig zu wissen, wie solche so erfolgreichen Formate funktionieren. Wenn Kindern und Jugendlichen verdeutlicht wird, welche Verfahren und Strategien es gibt, um Menschen zu gewinnen, schützt sie das letztendlich vor Beeinflussung und Manipulation.
Interview: Christian Sander
Juni 2017