Von der Lust auf echten Grusel: Studentinnen untersuchen das Social Media-Phänomen des Horrorclowns
Als im Herbst 2016 die Medien von den Horrorclowns berichteten, die nicht nur in den USA, sondern auch in Deutschland plötzlich ihr Unwesen trieben, wunderte man sich schon, was dieses Phänomen zu bedeuten hatte: Wieviel war tatsächlich dran an den Attacken der Clowns? Warum wurde das Thema so schnell populär, wieso ließen die Menschen sich zur Hysterie hinreißen?
Und wie hat es der Horrorclown in die Tagesschau geschafft?
Vor allem die letzte Frage beschäftigte Nina Bäßler, Lara Cremer und Pia Müller. In einem Lehrforschungsprojekt unter der Leitung von Prof. Dr. Helmut Volpers im Masterstudiengang Markt- und Medienforschung haben die drei Studentinnen eine webwissenschaftliche Analyse darüber durchgeführt, wie sich der Clown aus den sozialen Netzwerken heraus viral in der Öffentlichkeit verbreiten konnte. Dazu haben sie Twitter, Instagram, Facebook und YouTube, verschiedene klassische Medien sowie die Google-Suche über einen Zeitraum von vier Wochen unter die Lupe genommen, als die Horrorclowns zum gesellschaftlichen Aufreger wurden.
Die Untersuchungsmethoden, die durch die Entstehung des Webs und seine Erschließung als Methodenbaukasten überhaupt erst zur Verfügung stehen, ermöglichten ihnen einen guten Einblick in die Dynamik solcher Gesellschaftsprozesse.
(Bild: Heike Fischer/TH Köln)
Weitere Informationen
Teil unserer kulturellen Evolution
Der Horrorclown ist in den USA nicht neu. Bereits Mitte der 1970er Jahre fand er über Literatur und Comics Eingang in die Alltagskultur. Die bekanntesten Figuren sind dabei wohl der Clown Pennywise aus Stephen Kings Roman "Es" und der Joker aus der Comicserie "Batman". Tragische Realität wurde er dann in Gestalt des Serienkillers John Wayne Gacy, der als Clown auf Kinderveranstaltungen auftrat. Es seien auch ethnologische und psychologische Gründe, die den bösen Clown als Zerrbild unserer Gesellschaft und als dunkle Bedrohung thematisch so reizvoll machen, sagen die drei Studentinnen. So vereine er die Ambivalenz zwischen Frohsinn und Spaß sowie Grausamkeit und Brutalität, die in der menschlichen Geschichte verankert sind.
Das Motiv des geschminkte bösen Clown reicht in der Kulturhistorie weit zurück, zum Beispiel in Gestalt des Harlekins oder des Pulcinellas. In ihrer Studie weisen die Autorinnen außerdem auf eine Theorie von Richard Dawkins hin, die ebenfalls zur Verbreitung solcher Alltagsphänomene führt: Der sogenannte Mem-Effekt ist angelehnt an die Gen-Theorie von Charles Darwin. Dawkins sieht dabei die menschliche Kultur als neues Urmeer: Gedanken, Melodien, Schlagwörter oder Kleidermoden übertragen und replizieren sich von Gehirn zu Gehirn. Ob ein neues Mem in den Pool aufgenommen wird, entscheidet die natürliche Auslese. Setzt es sich durch die entscheidenden Faktoren Langlebigkeit, Fruchtbarkeit und Wiedergabetreue durch, wird es zum Replikator der kulturellen Evolution.
Zwischen Satire und Polemik
Die Wochen vor Halloween, in denen von vielen Horrorclown-Nachahmern berichtet wurde, hätten deutlich gemacht, dass dieses Phänomen sich memartig verbreitet hat. "Das Internet war das Vehikel", sagt Lara Cremer. "In den sozialen Netzwerken kursierten bereits so viele Videos und Kommentare, als die klassischen Medien über die Clowns berichteten, dass die breite Öffentlichkeit das Thema als relevant einstufte. Daraus entstand eine Spirale bzw. ein Ping-Pong-Effekt: Sobald ein Medium sich des Themas annahm, folgte eine Reaktion eines anderen Mediums."
Die Studie konnte nicht nur belegen, dass der Horrorclown ursprünglich ein Social-Media-Produkt war, dessen Initialzündung auf Instagram stattfand und aus den USA nach Deutschland übergeschwappt ist. Sie verdeutlicht auch, dass jedes Medium anders mit dem Thema umgegangen ist. Zeigte man sich auf Instagram belustigt, reagierten die Nutzerinnen und Nutzer auf Twitter überwiegend sarkastisch und ironisch. Außerdem griffen dort einige User das Thema politisch auf, indem sie satirische und parodistische Beiträge über Menschen des öffentlichen Lebens posteten. Wieder andere äußerten ihre Angst vor den Clowns. Auf YouTube hingegen wurden vor allem Videos veröffentlicht und verbreitet, die mit Falschnachrichten die Emotionen der Zuschauerinnen und Zuschauer negativ beeinflussen wollten.
Manipulative Plagiate auf YouTube
"Rund 39 Prozent der Beiträge sind Talks, in denen die Videomacher einfach ihre Meinung äußern. Aus welchen Quellen dabei ihre Informationen stammten, bleibt völlig unklar. Einige riefen sogar dazu auf, Jagd auf Clowns zu machen", erklärt Pia Müller.
Außerdem sei auffällig, dass viele Clips, die von angeblichen Horrorclown-Sichtungen in Deutschland berichteten, als Beweismaterial zeitlich und geographisch unterschiedliche Sequenzen verwendeten, hauptsächlich Material aus den USA.
In rund einem Drittel der Videos wurden fremde Inhalte aus den sozialen Netzwerken kopiert und zum Gegenstand des eigenen Videos gemacht. So sei suggeriert worden, dass immer mehr Clowns ihr Unwesen trieben. Rund 22 Prozent der Videos hätten einen stark beunruhigenden Charakter. "Obwohl sie nicht die Realität widerspiegelten, verbreiteten sie sich sehr stark und erschienen offenbar glaubwürdig, wie die Kommentare zeigten. Es gab nur vereinzelte Videos, die dazu aufriefen, das Thema kritisch zu hinterfragen und dem ganzen keinen Glauben zu schenken", so Müller.
Am Beispiel der Clowns zeigt sich sehr deutlich, wie man über die Sozialen Medien die Sensationslust der Menschen befriedigen und sie manipulieren kann. Wenn dann auch noch die klassischen Medien darüber berichten, muss an den Gerüchten doch etwas Wahres dran sein, oder etwa nicht? "Die Medien haben überwiegend objektiv darüber berichtet, und auch gezeigt, dass viele der Clownsichtungen off enbar Falschmeldungen waren", sagt Nina Bäßler. Einige Beiträge haben sich mit den psychologischen Hintergründen dieses Phänomens beschäftigt, andere mit den Konsequenzen für Politik und Wirtschaft. Und es gab viele Tipps im Falle einer Konfrontation mit einem Horrorclown. "Doch letztlich waren die meisten Horrorclowns einfach fake", zieht Nina Bäßler Bilanz. "Aber allein die Tatsache, dass darüber in den Medien berichtet wurde, reichte aus, das Gerücht entstehen zu lassen, der Horrorclown gehe jetzt auch in Deutschland um."
Unter den Top Ten "Wörter des Jahres"
Bemerkenswert finden die drei Studentinnen außerdem, dass sich der Mem-Effekt des Horrorclowns weiter verbreitete, obwohl sich die Aufregung und die Berichterstattung längst wieder gelegt hatten. Die Begriffe Horror- oder Gruselclown wurden weiter in den Medien verwendet, als Synonym – vor allem im Zusammenhang mit dem US-Präsidenten Donald Trump. So titelte zum Beispiel der Nachrichtensender N-TV am 10.11.2016: "Donald Trump – Ein Horrorclown als Sicherheitsrisiko". Ein weiterer Beweis dafür, dass der Begriff in unseren kulturellen Mempool aufgenommen worden ist. Immerhin erreichte er dann auch noch Platz acht auf der Liste der "Wörter des Jahres 2016".
Dass es der Clown also auch in die Tagesschau schaffte, die nach eigenen Aussagen über gesellschaftlich, national und international relevante Ereignisse berichtet, ist für die drei Studentinnen demnach nur konsequent. "Die Studie hat uns vor Augen geführt, wie stark der Einfluss von sozialen Netzwerken auf die Themensetzung in klassischen Medien sein kann", resümiert Lara Cremer. "Vor dem Hintergrund der aktuellen Diskussion um Fake News, die ja vor allem auf Facebook verbreitet werden, ist das natürlich sehr interessant – und auch etwas beunruhigend."
Text: Monika Probst
Juli 2017