Praxisorientierte Lehre im Fokus: Stress- und traumasensible Soziale Arbeit mit Genderperspektive
26 Studierende entwickelten im Studienjahr 2024/25 in Kooperation mit medica mondiale e.V. und sechs weiteren Organisationen praxisnahe Projekte, die sich mit stress- und traumasensibler Sozialarbeit aus einer gendergerechten Perspektive beschäftigen.
Seminarbericht August 2025 – TH Köln
Auch im Studienjahr 2024/25 zeigt sich, wie praxisorientierte Lehre im Studiengang Soziale Arbeit an der TH Köln Studierende auf komplexe Herausforderungen im Berufsfeld vorbereitet. Im Rahmen des zweisemestrigen Seminars „Soziale Arbeit: Geschlechtergerecht, Stress- und Trauma-Sensibel?“ entwickelten 26 Studierende in Kooperation mit medica mondiale e.V. und sechs weiteren Organisationen praxisnahe Projekte, die sich mit stress- und traumasensibler Sozialarbeit aus einer gendergerechten Perspektive beschäftigen. Das Seminar wurde durch Dr. Pınar Şenoğuz vom Institut für Geschlechterstudien (IFG) und die Lehrbeauftrage Yvonne Sartor (M.A.) angeleitet.
Zugrunde lag dabei der Stress- und Trauma-sensible Ansatz (STA®) von medica mondiale, der Fachkräfte dazu befähigt, Sicherheit, Stärkung, Solidarität und Selbstfürsorge in der Arbeit mit gewaltbetroffenen Adressat*innen trotz begrenzten Ressourcen systematisch und organisationsspezifisch zu fördern. Das Besondere an diesem Ansatz ist, dass er die Ebene der Betroffenen, der Organisation sowie der Fachkraft berücksichtigt.
Das Seminar wurde von Dr. Pınar Şenoğuz und der Lehrbeauftragten Yvonne Sartor (M.A.) konzipiert und durchgeführt.
Ein Jahr forschend lernen: Gendergerecht und traumasensibel handeln
Das Seminar erstreckte sich über zwei Semester (WiSe 2024/25 und SoSe 2025) und verfolgte das Ziel, die Studierenden als zukünftige Sozialarbeiter*innen für die Herausforderungen im Umgang mit traumatisierten und mehrfach belasteten Adressat*innen zu sensibilisieren und ihnen Methoden für einen adäquaten Umgang in der Praxis näher zu bringen. Im Fokus standen die Reflexion der eigenen Haltung, die Auseinandersetzung mit traumapädagogischen Perspektiven in Handlungsfeldern wie Flucht, Migration, LGBTQI+ und geschlechterspezifischer Gewalt sowie die Entwicklung von Selbstwirksamkeit und Self-Care Ansätzen. Die Studierenden arbeiteten in Gruppen mit verschiedenen Partnerorganisationen zusammen und entwickelten konkrete Maßnahmen zur Förderung von Stress- und Traumasensibilität in der sozialen Praxis.
Vom Wissen zur Praxis: Sieben Projekte, sieben Perspektiven
In Zusammenarbeit mit sechs Organisationen entstanden vielfältige Projektideen:
- Sozialdienst katholischer Frauen e.V. Köln (SKF) Gewaltschutzzentrum: Eine mehrsprachige Infobroschüre zur Psychoedukation für gewaltbetroffene Frauen wurde entwickelt, um niedrigschwellige Informationen zum Umgang mit Stress und Trauma bereitzustellen.
- Frauenhaus Leverkusen: Eine Podcastserie mit drei Folgen zum Thema Selbstfürsorge im Arbeitskontext wurde gemeinsam mit den Mitarbeitenden des Frauenhauses konzipiert und produziert.
- Jugendamt Troisdorf: Ein Handout sowie eine Präsentation zur traumasensiblen Arbeit in der Inobhutnahme wurden erstellt und bei einem Abteilungstreffen mit 38 Mitarbeitenden vorgestellt.
- Integrationshaus e.V. Kalk: In einem Online-Workshop wurden Mitarbeitende für Selbstfürsorge und traumasensible Praxis sensibilisiert und gemeinsam praxisnahe Handlungsstrategien auf Basis der STA®-Prinzipien erarbeitet.
- Grenzenlos in Bewegung e.V.: Ein Workshop für Ehrenamtliche vermittelte Grundlagen zu Trauma, Dissoziation und Selbstfürsorge und zeigte auf, wie traumasensible Prinzipien in sportpädagogische Angebote wie Bouldern integriert werden können.
- Sunrise Dortmund Jugendbildungs- und Beratungseinrichtung: Die Studierenden entwickelten einen eigenen Workshop für Fachkräfte der queeren Jugendarbeit, der Self-Care und Selbstwirksamkeit im Arbeitsalltag thematisierte.
Zusätzlich wurde ein Einzelforschungsprojekt zur Stress- und Traumasensibilität in der klinischen sozialen Arbeit mit queeren Menschen durchgeführt. In Interviews mit Bewohner*innen und Mitarbeitenden eines Wohnheims sowie ehemaligen Patient*innen psychiatrischer Kliniken wurden Bedarfe, Erfahrungen und Herausforderungen im Umgang mit queerspezifischen Belastungen erhoben. Die Ergebnisse zeigen, dass eine stress- und traumasensible Dienstleistung stark von der Haltung einzelner Fachkräfte abhängen. Besonders die Präsenz offen queerer Mitarbeitender wurde als förderlich für das Sicherheitsgefühl und die Offenheit im Kontakt beschrieben. Die Forschung verdeutlicht, wie wichtig gezielte Fortbildungen und klare Positionierungen sind, um queere Menschen stress- und traumasensibel zu begleiten, auch außerhalb spezialisierter Einrichtungen.
Die Umsetzung dieser Projekte war nicht frei von Herausforderungen: Die Kontaktaufnahme mit Organisationen, die praktische Anwendung der STA®-Prinzipien und die Koordination der Gruppenarbeit stellten die Studierenden vor komplexe Aufgaben. Dennoch konnten alle geplanten Projektaktivitäten umgesetzt werden. Im Folgenden werden drei exemplarische Projekte vorgestellt, die von den Kooperationspartnern sehr positiv bewertet wurden und eine Wirkung entfaltet haben, die über das Seminar hinausreicht.
Projekt 1: Trauma verstehen – Infobroschüre für das Gewaltschutzzentrum des SKF Köln
Die Projektgruppe arbeitete mit dem Gewaltschutzzentrum des Sozialdienstes katholischer Frauen (SKF) e.V. Köln zusammen. Ziel war es, ein niedrigschwelliges, mehrsprachiges Informationsmaterial für gewaltbetroffene Frauen zu entwickeln, das die Frauen in ihrer Muttersprache informiert, sensibilisiert und befähigt mit Stress und Trauma niedrigschwellig und praxisnah umzugehen.
Die Broschüre vermittelt grundlegendes Wissen über Trauma, bietet praktische Selbsthilfestrategien und verweist auf lokale Hilfsangebote. Besonderer Wert wurde auf leichte Sprache, visuelle Gestaltung und Mehrsprachigkeit gelegt (Deutsch, Englisch, Türkisch, Farsi). Die Broschüre wurde sowohl digital als auch gedruckt umgesetzt und steht über einen QR-Code zur Verfügung.
Die Umsetzung orientierte sich an dem im Seminar vermittelten Fachwissen zur Traumapädagogik sowie an der Literaturrecherche der Gruppe und wurde von der Partnerorganisation sehr positiv aufgenommen. Die deutsche Version der Broschüre wird aus der TH Köln herausgegeben, alle Sprachversionen werden künftig aktiv in der Beratungsarbeit des SKF eingesetzt.
Projekt 2: Achtsamkeit im Arbeitsalltag – Podcast für das Frauenhaus Leverkusen
Die Projektgruppe kooperierte mit dem Frauenhaus Leverkusen, um ein praxisnahes Format zur Förderung von Selbstfürsorge und Achtsamkeit im Arbeitsalltag von Fachkräften zu entwickeln. Entstanden ist eine dreiteilige Podcastserie, die sich mit der Arbeit im Frauenhaus, dem STA®-Ansatz und konkreten Achtsamkeitsübungen zur Stressreduktion beschäftigt.
Die Podcastfolgen wurden gemeinsam mit Mitarbeiter*innen des Frauenhauses aufgenommen und thematisieren u. a. sekundäre Traumatisierung, Grenzerfahrungen und individuelle Strategien zur Selbstfürsorge. Ergänzt wurde das Projekt durch ein Handout mit Hintergrundinformationen zu den Übungen. Die Umsetzung griff gezielt die Bedarfe der Mitarbeitenden auf. Die Organisation zeigte sich sehr zufrieden mit dem Ergebnis und plant, die Folgen über ihre Webseite zu veröffentlichen. Besonders wertvoll war für sie, dass die Ebene der Mitarbeitenden im Kontext Stress und Trauma im Fokus stand.
Projekt 3: Traumasensibilität bei Inobhutnahmen – Broschüre und Präsentation für das Jugendamt Troisdorf
Die Projektgruppe arbeitete mit dem Jugendamt Troisdorf zusammen, um die Handlungssicherheit von Fachkräften im Kontext von Inobhutnahmen zu stärken und traumasensible Perspektiven in der Praxis zu verankern. Ausgangspunkt war eine Bedarfsanalyse, die u. a. fehlende Standards, hohe emotionale Belastung und Unsicherheiten im Umgang mit traumatisierten Kindern und Jugendlichen offenbarte.
Als zentrales Ergebnis entstand eine Broschüre, die Grundlagen traumasensibler Praxis, konkrete Handlungsempfehlungen und Impulse zur Selbstfürsorge vermittelt. Ergänzt wurde das Projekt durch eine Präsentation beim Abteilungstreffen des Jugendamts, an dem 38 Mitarbeitende aus verschiedenen Teams teilnahmen. Die Präsentation wurde durch interaktive Elemente wie eine gemeinsame Atemübung ergänzt und stieß auf positive Resonanz.
Die Inhalte wurden in enger Abstimmung mit der Organisation entwickelt. Broschüre und Präsentation sollen künftig im Intranet des Jugendamts allen Mitarbeitenden zur Verfügung stehen und in das Qualitätsmanagement einfließen.
Zu den Projekten
Links zu den einzelnen Projekten finden Sie in Kürze an dieser Stelle
Lernen durch Tun – mit Wirkung über das Seminar hinaus
Die Studierenden zeigten über die zwei Semester hinweg eine beeindruckende Entwicklung. Sie übernahmen Verantwortung, reflektierten ihre Rolle als zukünftige Fachkräfte und lernten, mit Frustration und Unsicherheit konstruktiv umzugehen. Die praxisorientierte Lehre förderte nicht nur ihre Handlungskompetenz, sondern auch ihre Fähigkeit zur kritischen Auseinandersetzung mit strukturellen Herausforderungen in der Sozialen Arbeit.
Die hier vorgestellten Projektergebnisse haben einen hohen praktischen Nutzen und werden von den Organisationen weiterverwendet. Das Seminar hat gezeigt, wie wirkungsvoll forschendes Lernen sein kann – und wie wichtig es ist, soziale Arbeit geschlechtergerecht und traumasensibel zu gestalten. Vor allem das Bewusstsein darüber, dass Stress und Trauma auf verschiedenen Ebenen wirkt – und zwar nicht nur auf der Ebene der Adressat*innen, sondern auch auf der Ebene der einzelnen Fachkraft bzw. auf Teamebene sowie auch innerhalb der Organisation.
Fazit ist, dass dieses Fachthema für die Soziale Arbeit und ihre unterschiedlichen Handlungsfelder eine hohe Relevanz hat und auch anderen Studierenden die Möglichkeit gegeben werden sollte, sich mit dem Themenkomplex und ihrer eigenen Rolle auseinanderzusetzen.
August 2025