Qualität in der rechtlichen Betreuung – Interview mit Prof. Dr. Dagmar Brosey

Prof. Dr. Dagmar Brosey ist Professorin für Soziales Recht an der Fakultät für Angewandte Sozialwissenschaften und forscht zur Qualität in der rechtlichen Betreuung. Für den Transfer ihrer Forschung in die Gesetzgebung, die internationale Scientific Community und die Lehre erhielt sie den Transferpreis 2021. Im Interview berichtet sie von der Betreuungsqualität in Gesetz und Praxis.

Prof. Dr. Dagmar Brosey Prof. Dr. Dagmar Brosey (Bild: Thilo Schmülgen/TH Köln)

Prof. Brosey, wen betrifft eine rechtliche Betreuung?
Die rechtliche Betreuung ist für Menschen mit Behinderungen oder psychischen Erkrankungen vorgesehen, die ihre Angelegenheiten selbst nicht besorgen können. Eine rechtliche Betreuung erhält eine volljährige Person nach einem gerichtlichen Verfahren beim Amtsgericht, das prüft, ob die gesetzlichen Voraussetzungen vorliegen und dann durch gerichtlichen Beschluss einen Betreuer für bestimmte Aufgabenbereiche bestellt.

Wie kann so eine Betreuung aussehen?
Die rechtliche Betreuung bezieht sich auf die Organisation des Lebens. Dazu gehört über das eigene Geld verfügen zu können und Ansprüche wie Sozialleistungen oder Unterhalt geltend zu machen und gegebenenfalls durchzusetzen. Auch Rechte gegenüber Vermietern, Verkäufern oder Miterben gehören dazu. Betreuerinnen und Betreuer unterstützten bei der Besorgung der erforderlichen Rechtsangelegenheiten.

Wie viele Menschen werden in Deutschland rechtlich betreut?
Derzeit werden circa 1,3 Millionen Menschen in Deutschland durch einen gerichtlich bestellten Betreuer rechtlich betreut. Hinzu kommt noch eine vermutlich ebenso große Anzahl an Menschen, die mittels einer Vorsorgevollmacht rechtliche Unterstützung und Vertretung erhalten, beispielsweise ältere Menschen.

Was macht gute Betreuungsqualität aus?
Gute Betreuungsqualität würde ich immer umfassend und bezogen auf alle Akteurinnen und Akteure ausmachen wollen. Dies beginnt bereits im gerichtlichen Verfahren, mit einer barrierefreien Information über Rechte und Folgen der Betreuung und der adressentengerechten Ansprache der Betroffenen. Die Gestaltung der Kommunikation und der Respekt vor den Menschen mit Behinderungen und psychischen Erkrankungen ist bedeutsam, ebenso wie Transparenz.

Was läuft derzeit schon gut?
Es gibt viele Betreuerinnen und Betreuer, die Unterstützung leisten und nicht fremdbestimmt über die Köpfe der betreuten Menschen hinweg agieren. Zudem existieren eine breite Diskussion über die unterstützte Entscheidungsfindung im Betreuungsrecht und zunehmend auch mehr Materialien in einfacher Sprache.

Wo gibt es noch Verbesserungsbedarf?
Bevormundende Praktiken, bei denen Betreuerinnen und Betreuer als Stellvertreter handeln und Wünsche und Willen des Betreuten nicht ausreichend berücksichtigen, kommen nicht selten vor. Zunächst müssen Betreuerinnen und Betreuer besser geschult werden, sowohl berufliche als auch ehrenamtliche, zumeist Familienangehörige. Betroffene müssen besser über ihre Rechte in der Betreuung aufgeklärt werden. Es werden klarere Regeln benötigt, die allen auferlegt, Selbstbestimmung zu fördern und Fremdbestimmung oder gar Zwangsmaßnahmen zu begrenzen. Auch eine Anlauf- oder Beschwerdestelle für Menschen mit Betreuung fehlt.

Was hat sich durch Ihr Forschungsprojekt ergeben?
Im Projekt haben wir uns unter anderem mit 68 Fallbeispielen beschäftigt. Dabei wurden Betreute, deren Betreuerin bzw. deren Betreuer sowie eine Person aus ihrem sozialen Umfeld persönlich interviewt. Die sich daraus abgeleiteten Erkenntnisse erhalten Einzug in die internationale Scientific Community und in die Lehre. Die Forschungsergebnisse leisten darüber hinaus einen wichtigen Beitrag für den Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Reform des Vormundschafts- und Betreuungsrechts vom September 2020. An der Erarbeitung dieses Entwurfs war ich als Mitglied einer Arbeitsgruppe aktiv beteiligt.

Welche Auswirkungen hatten die Ergebnisse für den Gesetzesentwurf der Bundesregierung zur Reform des Vormundschafts- und Betreuungsrechts?
Der Gesetzentwurf macht deutlich, dass es um die Stärkung des Selbstbestimmungsrechts geht. Ich sehe viele der Handlungsempfehlungen umgesetzt, wie das Zulassungsverfahren für berufliche Betreuerinnen und Betreuer, verbindliche Beratungs- und Schulungsangebote für ehrenamtliche Betreuerinnen und Betreuer, Orientierung der Betreuung an dem Unterstützungsprinzip der UN-Behindertenrechtskonvention sowie die selbstbestimmtere Betreuerauswahl und die Verbesserung im Datenschutz. Sobald das Gesetz verabschiedet ist, ist eine breit angelegte Informationskampagne geboten, um die Bevölkerung über die Rechtslage aufzuklären. Denn von den Themenbereichen der rechtlichen Betreuung und der Vorsorgevollmacht sind eigentlich fast alle Bürgerinnen und Bürger während ihres Lebens betroffen.

Februar 2021

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