Die Mobilitätswende ist mehr als ein Antriebswechsel

Wenn Deutschland bis 2045 klimaneutral werden will, müssen die Treibhausgasemissionen auch im Verkehrssektor drastisch reduziert werden. Prof. Dr. Andreas Lohner vom Institut für Automatisierungstechnik hat seinen Benziner auf umweltfreundlichere Antriebstechnik umgerüstet. Im Interview erklärt er, warum er diesen Schritt nur als eine von vielen notwendigen Maßnahmen betrachtet.

Prof. Lohner, die Bundesregierung hat das Ziel ausgerufen, dass bis 2030 hierzulande 15 Millionen Elektroautos auf den Straßen unterwegs sein sollen. Wie bewerten Sie dieses Vorhaben und die Förderungen seitens der Politik?

Prof. Dr. Andreas Lohner Prof. Dr. Andreas Lohner vom Institut für Automatisierungstechnik hat seinen Benziner auf umweltfreundlichere Antriebstechnik umgerüstet. (Bild: Costa Belibasakis/TH Köln)

Den Anteil von Elektroautos am gesamten Fahrzeugbestand zu erhöhen, halte ich grundsätzlich für den richtigen Ansatz. Rein technisch gesehen hat ein Elektroauto einen deutlich höheren Wirkungsgrad als ein Wasserstoffauto, bei dem die Brennstoffzelle den Wasserstoff aus dem Tank und den Sauerstoff aus der Luft in Strom umwandelt, der den Elektromotor antreibt. Meiner Meinung nach wird bei den Elektroautos aber noch die soziale Komponente vernachlässigt. Einige deutsche Autohersteller haben ihre Kleinwagen mit Elektroantrieb aus dem Programm genommen und stattdessen mehr SUVs und andere große, schwere Autos für eine relativ kleine Käuferschicht angeboten. Und diese wohlhabenden Konsument*innen erhalten für den Kauf ihres Stromers auch noch eine Förderung.

Was folgt daraus?

Mit der aktuellen Fördersystematik wird ein Großteil der Bevölkerung ausgeschlossen und die Umweltbilanz verschlechtert sich. Moderne Elektroautos haben eine Batteriekapazität von mindestens 40 Kilowattstunden – Tendenz deutlich steigend. Je größer die Batterie, desto mehr Rohstoffe müssen importiert werden – teilweise unter Verletzung der Menschenrechte der Arbeiter*innen in den Kobaltminen im Kongo und unter Zerstörung der Umwelt in den Lithiumabbaugebieten in Bolivien, Argentinien und Chile. Wird das Fahrzeug dann noch mit Strom aus fossilen Quellen aufgeladen, verschlechtert sich die CO2-Bilanz weiter. Doch selbst wenn wir die Bedingungen in der Wertschöpfungskette verbessern und die Emissionen senken, müssen wir die Verkehrswende umfassender angehen. Die Mobilitätswende ist mehr als ein Antriebswechsel.

Was meinen Sie damit?

Die aktuelle Verkehrswende ist eine Antriebswende. Wir ersetzen Millionen Fahrzeuge mit Verbrennungsmotor durch neue Autos mit reinem Elektroantrieb (BEV), Plug-in-Hybride (PHEV) oder anderen umweltfreundlicheren Technologien. Doch der Ressourcen- und Materialverbrauch sinkt nicht grundlegend, unter anderem weil kaum kleinere E-Autos, urbane Fahrzeuge, angeboten werden. Sinnvoller wären flächendeckende, alternative Mobilitätskonzepte. Wenn die Innenstadt nur gegen eine Mautgebühr oder nur für emissionsfreie Fahrzeuge befahrbar wäre und man an mehreren Stellen des äußeren Stadtrings großflächige Parkplätze bauen und ein Shuttleservice einrichten würde, wäre die Verkehrsbelastung in der Innenstadt deutlich geringer. Des Weiteren sollte die Infrastruktur für Pendler*innen mit dem Fahrrad oder Pedelec innerhalb und außerhalb der Städte ausgebaut werden, unter anderem durch die Einrichtung von Radschnellwegen. Die Fahrradmitnahme in der Bahn wäre einfacher, wenn es in jedem Zug einen eigenen Waggon gäbe. Und der ÖPNV muss finanziell so ausgestattet werden, dass Taktzeiten reduziert und Linien ausgebaut werden können, während gleichzeitig Angebote wie das Deutschland-Ticket dauerhaft und sozial angepasst angeboten werden können. Eine Finanzierung kann über die Abschaffung des Dienstwagenprivilegs sowie die sukzessive und fahrzeuggewichtsabhängige Erhöhung der Kfz-Steuer bzw. der Kraftstoffsteuer erfolgen.

Auch im ÖPNV müssen die Emissionen sinken. Welche Antriebstechnik wird sich hier durchsetzen?

Das hängt von der Infrastruktur vor Ort ab, insbesondere von den Lademöglichkeiten. Ein Elektrobus kann entweder über eine Oberleitung oder an einer Ladestation – typischerweise am Start- und Endpunkt der jeweiligen Route – aufgeladen werden. Alternativ kann das Fahrzeug auch mit Wasserstoff betankt werden, sofern eine Tankstelle verkehrsgünstig errichtet werden kann. Auf innerstädtischen Strecken ist die direkte Elektrifizierung in den meisten Fällen effizienter. Im Überlandverkehr hingegen ist Wasserstoff die bessere Wahl, da eine ausreichend dimensionierte Batterie zu schwer wäre und entsprechend viel Energie aufgewendet werden müsste, um den Bus anzutreiben.

Wie sieht es im Regional- und Fernverkehr aus?

In Deutschland sind ca. 39 Prozent des Schienennetzes nicht elektrifiziert. Auf diesen Strecken muss in den nächsten Jahren entschieden werden, ob in eine wasserstoffbetriebene Zugflotte oder in Oberleitungen investiert wird. Mobilitätswende in diesem Bereich bedeutet auch, stillgelegte Strecken vor allem im ländlichen Raum zu reaktivieren. Aus heutiger Sicht ist die Umrüstung auf wasserstoffbetriebene Züge meist wirtschaftlicher als die Strecken zu elektrifizieren.

Welche Projekte zu alternativen Antrieben werden am Institut durchgeführt?

Vor einigen Jahren habe ich der Hochschule meinen ausgedienten VW Käfer als Praxisobjekt für die Studierenden zur Verfügung gestellt, um hybride Antriebstechnik zu demonstrieren. In einem abgeschlossenen Labor-Projekt haben wir in dieses Fahrzeug einen Elektromotor eingebaut. Zusätzlich wurde der Verbrennungsmotor auf den Betrieb mit dem Kraftstoff E85 umgerüstet, der zu 85 Prozent aus Bio-Ethanol und zu 15 Prozent aus Benzin besteht.

Mit dem Projekt SR4Wheel haben wir Radnabenmotoren entwickelt, die ohne Seltene Erden auskommen und sich bauraumneutral in jeden Pkw integrieren lassen. Mit dem Projekt eWheel2Car wird dieses nun durch den Einbau von zwei Radnabenmotoren in den oben genannten Käfer demonstriert.

Zurzeit entwickeln wir die passende Leistungselektronik für die Radnabenmaschinen. Mit diesem Projekt wollen wir ein Bewusstsein schaffen, den Fahrzeugbestand und damit wertvolle Ressourcen nicht einfach zu verschrotten, sondern funktionierende Autos umweltfreundlicher zu PHEV oder BEV auf- bzw. umzurüsten. Wenn solche Umrüstungen dann auch noch finanziell gefördert würden, wäre die Elektromobilität nachhaltiger und sozialer.

Oktober 2023

Ein Beitrag von

Daniel Schäfer

Team Presse und Öffentlichkeitsarbeit


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