Rassistische und extrem rechte Gewalt: Formen, Folgen und Umgang

Extrem rechte und/oder rassistische Gewalt gehört zum Alltag von Menschen mit Migrationsgeschichte und Black People and People of Color (BPoC). Im nun abgeschlossenen Projekt „amal“ wurden Formen von Gewalt in diesem Kontext erarbeitet, ihre Folgen für die Betroffenen analysiert sowie Handlungs- und Bewältigungsstrategien für Fachkräfte in Beratungsstellen und Bildungseinrichtungen entwickelt.

Darstellung von Gewalt: Einr Hand ist bedrohlich über dem Kopf einer anderen Person erhoben, die den Schlag mit ihren Armen versucht abzuweheren. Rassistische und extrem rechte Gewalt hat viele Formen. Allein für das Jahr 2022 wurden über 2.000 verschiedene Gewaltdelikte registriert. (Bild: doidam10/AdobeStock)

„Es gibt keinen gesellschaftlichen oder physischen Raum, an dem sich potenzielle Opfer vollkommen sicher fühlen können. Besonders häufig zu beobachten sind Bedrohungen, Einschüchterungen, Erniedrigungen und Verleumdungen. Ebenso lassen sich auch zahlreiche Beispiele für körperliche und auch sexualisierte Übergriffe finden, denen rassistische und/oder extrem rechte Motive zugrunde liegen“, berichtet Prof.‘in Dr. Schahrzad Farrokhzad vom Institut für Migration und Diversität, eine der beiden Leiterinnen des Projekts „amal – Auswirkungen rechtsextremer und rassistischer Gewalt auf das Alltagsleben von Menschen mit Migrationsgeschichte und BPoC in NRW“.

Verschiedene Organisationen wie der VBRG e.V. – der Bundesverband von 16 unabhängigen Beratungsstellen für Betroffene rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt in Deutschland – erheben Zahlen, um das Ausmaß der Problematik zu erfassen. Für das Jahr 2022 wurden dem Verband zufolge ein Tötungsdelikt, 17 versuchte Tötungsdelikte beziehungsweise schwere Körperverletzungen, 470 gefährliche Körperverletzungen, 777 einfache Körperverletzungen, 653 Bedrohungen und Nötigungen sowie 100massive Sachbeschädigungen registriert.

Um eigene empirische Daten für die Analyse zu erhalten, haben das Projektteam in den Jahren 2021 und 2022 qualitative Interviews und Fokusgruppendiskussionen mit 66 Personen in Nordrhein-Westfalen geführt und ausgewertet. Darunter waren Fachkräfte aus unterschiedlichen Handlungsfeldern und Betroffene. Der nun vorliegende Forschungsbericht bündelt zentrale empirische Ergebnisse des Projekts und gibt Einblicke in Formen, Praktiken, Kontexte, Lebensbereiche und Orte von Gewalt. Darüber hinaus werden Handlungs- und Bewältigungsmuster von Betroffenen und institutionelle Antworten auf rassistische und extrem rechte Gewalt untersucht.

Zu den zentralen Erkenntnissen im Bericht gehören unter anderem folgende Befunde:

  • Die Gewalterfahrungen lassen sich in drei Ausprägungen kategorisieren: als singuläre, einmalige Ereignisse; als kontextualisierte Ereignisketten, die sich über längere Zeiträume in einem Kontext abspielen, zum Beispiel im nachbarschaftlichen Umfeld; und als eine Biographisierung von Gewalterfahrungen. Letztere zeigen sich, wenn unterschiedliche Erfahrungen in unterschiedlichen Kontexten den Lebensverlauf prägen und sich in die Körper und Biographien der Betroffenen eingeschrieben haben.
  • Die Folgen des Erlebens von rassistischer und extrem rechter Gewalt sind vielfältig und unterschiedlich tiefgreifend: neben körperlichen, psychischen und psychosomatischen Folgen lassen sich Auswirkungen auf das nähere soziale Umfeld und die Familie, ökonomische, bildungsbiographische und berufliche Folgen oder ein Vertrauensverlust in die Gesellschaft, den Staat und Institutionen ausmachen, die den Alltag und das gesamte Leben der Betroffenen prägen können.
  • Eine große Rolle im Kontext der Auswirkungen spielen dem Bericht zufolge Erfahrungen der sogenannten sekundären Viktimisierung: Betroffene schilderten in den Interviews, wie sie durch Erfahrungen der Verharmlosung, des Ignorierens, des Nicht-Glaubens an sie oder gar der Solidarisierung mit den Täter*innen mitunter erneut massive – sekundäre – Gewalterfahrungen machen.
  • Extrem rechte und rassistische Übergriffe findet auch in Institutionen der Bildungs- und Beratungsarbeit statt. Diese Erfahrungen werden sowohl von Adressat*innen als auch von Mitarbeitenden gemacht.
  • Betroffene entwickeln sehr unterschiedliche Handlungs- und Bewältigungsmuster, um das Erlebte zu verarbeiten. Diese Muster beziehen sich sowohl auf die Betroffenen selbst und die eigene psychische Befindlichkeit als auch auf das Umfeld. Es finden sich sowohl eher stille, auf die individuelle Verarbeitung bezogene als auch laute, öffentlich gegen Gewalt gerichtete Umgangsformen.

„Die Forschungsergebnisse eröffnen die Möglichkeit, fundierte empirische Handlungskonzepte in Bildungs- und Beratungskontexten zu entwickeln. Zudem könnten Aspekte von Prävention, Intervention und Rehabilitation im Umgang mit Gewaltrisiken und deren Auswirkungen auf Betroffene systematisch(er) einbezogen werden. Auf diese Weise könnten die gewonnenen Erkenntnisse dazu beitragen, dass sich an den Realitäten der Betroffenen nachhaltig etwas ändert“, erläutert die zweite Projektleiterin Prof.‘in Dr. Birgit Jagusch.

Neben dem Forschungsbericht sind im Kontext des Projekts zwei Policy Paper entstanden, die einen Einblick in die quantitative Erhebung bieten und als Reflexionspapier für die Praxis Anregungen zur Organisationsentwicklung in Bildungs- und Beratungskontexten geben. Alle Publikationen können auf der Projektseite unter www.th-koeln.de/amal heruntergeladen werden.

Oktober 2023

Ein Beitrag von

Daniel Schäfer

Team Presse und Öffentlichkeitsarbeit


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