Warum die Strompreise für Privathaushalte so stark gestiegen sind

Porträt Ingo Stadler (Bild: privat)

Die Strompreise für private Haushalte in Deutschland sind in den vergangenen Monaten deutlich angestiegen und befinden sich auf einem historischen Allzeithoch. Über diese Entwicklung und mögliche Lösungen, den Strompreis wieder zu regulieren, spricht Prof. Dr. Ingo Stadler vom Cologne Institute for Renewable Energy (CIRE) im Interview.

Prof. Stadler, wie setzt sich der Strompreis für private Haushalte eigentlich zusammen?

Der Strompreis für Haushaltskundinnen und -kunden setzt sich im Wesentlichen aus drei Bestandteilen zusammen: Kosten für Beschaffung und Vertrieb, Kosten für die Nutzung der Netze – so genannte Netzentgelte – und Steuern und Abgaben wie die Stromsteuer oder die Umlage aus dem Erneuerbare-Energien-Gesetz, kurz EEG-Umlage genannt. Beschaffung und Vertrieb machen derzeit etwa 44 Prozent des Strompreises aus – dieser Anteil geht direkt an den Versorger. Die staatlich veranlassten Preisbestandteile betragen rund 37 Prozent und Entgelte für die Netzbetreiber circa 19 Prozent.

Warum ist der Strompreis so stark angestiegen?

Das liegt insbesondere an den Kosten, die Stromanbieter für die Beschaffung von Strom aufbringen müssen. In Deutschland gibt es etwa 60 Stromproduzenten und Hunderte von Anbietern, bei denen private Haushalte ihren Stromvertrag abschließen können. Die Anbieter haben zwei Möglichkeiten, Strom einzukaufen: Entweder schließen sie direkt Verträge mit den Produzenten ab, oder sie bieten an der Strombörse bei Auktionen mit. Wer langfristige Verträge abschließt, ist aktuell nicht so starken Preisschwankungen ausgesetzt. Wer jedoch an der Strombörse kurzfristig einkaufen muss, ist an die derzeit sehr hohen Börsenpreise gebunden: 2022 sind die Energiepreise im Großhandel bei Haushaltstarifen um mehr als 70 Prozent gestiegen. Das Problem ist, dass Anbieter nicht nur langfristige Verträge schließen können, da sich Energiebedarfe – etwa durch Neukundinnen und -kunden oder einfach nur durch höheren Verbrauch – stetig ändern. Dementsprechend sind die meisten Anbieter auch auf kurzfristigen Handel an der Strombörse angewiesen.

Und warum steigen die Preise an der Strombörse?

Der Preis an der Strombörse wird über die so genannte Merit-Order geregelt. Darin sind die verschiedenen Stromerzeuger entsprechend ihrer Grenzkosten – das sind die zusätzlichen Kosten, die durch eine kleine Erhöhung der Produktion entstehen – aufsteigend geordnet. Ganz links, also am günstigsten, sind die Stromerzeuger ohne oder mit geringen Brennstoffkosten wie die erneuerbaren Energien, also Solar- und Windparks, dann folgen Atomkraft, Braunkohle, Steinkohle und Gas. Der Börsenpreis wird nun durch das Kraftwerk mit den höchsten Produktionskosten definiert, das benötigt wird, um den aktuellen Strombedarf zu decken. Alle anderen Kraftwerke erhalten dann für den erzeugten Strom den gleichen Preis, auch wenn sie eigentlich günstiger produzieren. Für den Anstieg der Börsenpreise gibt es im Wesentlichen drei Gründe, die sich gegenseitig verstärken: Erstens rutschen die (Gas-)Kraftwerke mit höheren Grenzkosten durch den Wegfall einiger Kernkraftwerke weiter nach links. Zusammen mit recht hohem Strombedarf ergeben sich so höhere Börsenpreise. Zweitens ist der Brennstoff Erdgas teurer geworden und das Niveau der strompreisbestimmenden Kraftwerke weiter gestiegen. Und drittens kommt dann noch hinzu, dass für diese CO2-Zertifikate benötigt werden und auch die Preise für diese Zertifikate in den letzten Monaten stark gestiegen sind.

Grafik Merit Order Effekt Der Preis an der Strombörse wird über die Merit-Order geregelt. (Bild: CIRE / TH Köln)

Welchen Einfluss hat der Ukraine-Krieg auf die Entwicklung des Strompreises?

Die Verfügbarkeit der Gasmenge könnte sich durch den hohen weltweiten Marktanteil Russlands verknappen oder schon alleine die Angst einer Verknappung treibt den Gaspreis weiter nach oben – und in dieser Kette dann wiederum den Preis an der Strombörse. Flüssiggas, oder kurz LNG, das wir nun vielleicht aus Katar oder den USA importieren werden, hat durch Gewinnung, Verflüssigung und Transport grundsätzlich höhere Kosten und damit Preise, als das ,gasförmige‘ Gas, das durch die Pipelines zu uns kommt. Von daher wird diese mögliche Alternative keine oder kaum Entlastung bei den Preisen haben.

Was muss passieren, damit der Strompreis wieder sinkt?

In erster Linie muss mehr in erneuerbare Energien investiert werden. Würde es aktuell mehr Solar- und Windparks geben, dann könnten diese einen größeren Teil des Strombedarfs abdecken. Dadurch müssten weniger teure Kraftwerke zugeschaltet werden und der Börsenpreis wäre niedriger. Die Stromanbieter könnten dann günstiger ankaufen und anbieten. Darüber hinaus wurde die EEG-Umlage, die derzeit etwa neun Prozent des Haushaltsstrompreises ausmacht, bereits etwas gesenkt. Sie soll jetzt schon im Juli dieses Jahres ganz abgeschafft beziehungsweise über den Steuerhaushalt abgewickelt werden. Zudem ist ein Umdenken in der Bevölkerung notwendig. Das heißt, dass man sich gut überlegen muss, was einem Strom eigentlich wert ist und wo man Energie einsparen kann. Dazu können die aktuell hohen Strompreise sogar etwas beitragen – sie können nämlich Anreiz und Motivation sein, in energieeffiziente Technologien zu investieren. Dabei darf man aber natürlich bedürftige Haushalte nicht vergessen – hier sind Zuschüsse und Fördermodelle wie das im aktuellen Koalitionsvertrag festgeschriebene Energiegeld notwendig.

März 2022

Ein Beitrag von

Christian Sander

Team Presse und Öffentlichkeitsarbeit


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