Das Interview ist im Hochschulmagazin Inside Out (4/2014) erschienen.

Wandel des Weltklimas: "Wir geben uns Scheinwelten hin"

In Lima sind im Dezember 2014 bei der Weltklimakonferenz Verteter von fast 200 Ländern zusammengekommen, um die künftige Klimapolitik zu besprechen. Der renommierte Klimaforscher Prof. Dr. Mojib Latif sagt im Interview mit der Fachhochschule Köln: "Der Wandel des Weltklimas befindet sich an einem Scheideweg. Noch können wir eingreifen, aber die Tendenz geht zum Worst Case. "

Prof. Dr. Mojib Latif Prof. Dr. Mojib Latif (Bild: Heike Fischer/FH Köln)

Seit Jahrzehnten prognostizieren Klimamodelle, dass Dürre- und Regenperioden zunehmen und Klimazonen sich verschieben; in Europa von Süd nach Nord. Fragt man die Deutschen, dann hat die Mehrheit diesen Sommer sicher wieder besonders kalt und verregnet erlebt. Bleibt die Klimaverschiebung bei uns aus?
Mojib Latif: Der Norden hatte einen fantastischen Sommer. Aber für den Großteil des Landes traf das regnerische  Sommerwetter wohl zu. Dennoch bleibt die Klimaverschiebung nicht aus. Man muss unterscheiden zwischen Wetter und Klima. Klima ist das, was man erwartet, und Wetter das, was man bekommt. Es macht keinen Sinn, einzelne Jahre herauszugreifen, selbst ein Jahrzehnt ist eine zu kurze Zeitspanne. Man muss den Zeitraum von 1900 bis heute betrachten, um die eigentlichen Effekte des menschgemachten Klimawandels zu erkennen. Zum Beispiel ist die Temperatur deutlich angestiegen. Ich bin 60 Jahre alt und kenne aus der Kindheit wirklich kalte Winter – ganz anders, als wir sie heute regelmäßig erleben.

Erleben wir in Europa bereits die prognostizierten Wetterextreme?
Mojib Latif: Wir erleben die Anfänge. Seit Beginn der Wetteraufzeichnungen hat sich das Klima in Deutschland um etwa ein Grad Celsius erwärmt. Die Steigerung ist für einen Klimaforscher zwar signifikant, aber auch nicht so groß, dass das Wetter jetzt schon außer Rand und Band ist. Dennoch häufen sich die beiden Phänomene extremer Regen und extreme Trockenheit. Wir haben dieses Wechselspiel erwartet.

Um 1,5 bis 4,5 Grad kann sich laut UNO-Klimarat die Erde in den nächsten Jahrzehnten erwärmen. Warum sind die Temperaturunterschiede so groß?
Mojib Latif: Weil wir nicht wissen, wie sich die Menschen zukünftig verhalten werden. Deshalb simulieren wir die Entwicklung in verschiedenen Szenarien, zum Beispiel mit einer kontinuierlichen Drosselung der CO2-Emission. Andere Szenarien sind, dass der CO2-Verbrauch konstant bleibt oder sich erhöhen wird. Die verschiedenen Szenarien führen zu unterschiedlich starken Erwärmungen.

Klimaskeptikern ist diese Bandbreite willkommen, sie werten die Prognosen als unsichere Aussagen.
Mojib Latif: Die Ergebnisse sind eine Wenn-Dann-Entscheidung. Sie zeigen uns die Möglichkeiten auf, die wir haben. Im Übrigen glaube ich, dass die Unsicherheiten falsch interpretiert werden. Unsicherheit heißt nicht, dass man nichts tun muss. Unsicherheit geht in viele Richtungen: Vielleicht kommt es nicht so schlimm, vielleicht entwickelt sich das Klima noch schlimmer als wir befürchten. Aber im Prinzip ist der erwärmende Einfl uss von CO2 in der Luft trivial und wurde bereits Ende des 19. Jahrhunderts untersucht.

Forscher erhoffen sich auch aus dem Blick in die Vergangenheit Antworten. Extreme Klimaschwankungen gab es schon immer. Was ist an dieser Erwärmung anders?
Mojib Latif: Das ist in erster Linie die Geschwindigkeit. Die letzte Eiszeit hatte ihren Höhepunkt vor ungefähr 20.000 Jahren. Danach hat sich das Klima in 10.000 Jahren global um fünf Grad erwärmt. Wir sprechen jetzt seit Beginn der Industrialisierung von einem knappen Grad – wohlgemerkt in 100 Jahren. Angenommen, die Erde erwärmt sich bis ins Jahr 2100 um weitere vier Grad, dann hätten wir eine Erdtemperatur von knapp 20 Grad. Eine solche Erwärmungsrate wäre einmalig und hätte erhebliche Auswirkungen auf das Klima. Wir würden außerdem in Temperaturbereiche vorstoßen, die die Menschen noch nicht erlebt haben.

Von wirtschaftlichen Interessen abgesehen: Warum gibt es immer wieder Forscher und selbsternannte Experten, die die globale Erwärmung bestreiten?
Mojib Latif: Innerhalb der Forschung gibt es kaum einen Wissenschaftler, der die Erwärmung bestreitet. Wenn bestimmte Leute etwa zu der Schlussfolgerung kommen, dass der Mensch das Klima nur unwesentlich beeinflusst und wir weiterhin ordentlich Kohle verbrennen können – der Klimakiller Nummer eins –, weiß man, woher der Wind weht. Das sind Lobbyisten. Ich kann solche Argumentationen nicht ernst nehmen. Die Medien haben es zu verantworten, dass diese Menschen so viel Gehör finden. Sie folgen ihren eigenen Gesetzmäßigkeiten, und darauf möchte ich auch gar keinen Einfluss nehmen. Freie Medien sind ein kostbares Gut.

Warum tun sich Menschen schwer zu akzeptieren, dass sie eine erhebliche Mitschuld an der Erwärmung tragen?
Mojib Latif: Weil die Bedrohung für den Einzelnen noch nicht spürbar ist. Ein Menschenleben reicht kaum aus, um die sich langsam entwickelnde Klimaerwärmung wahrzunehmen. Ein weiteres Problem ist die räumliche Entkoppelung. Die Auswirkungen der globalen Erwärmung sind nicht überall gleich, sondern in einzelnen Gebieten stärker als in anderen. Noch sind in unseren Breiten die Auswirkungen nicht dramatisch, in Ländern wie Bangladesch aber schon: Dessen Küste ist stark vom Anstieg des Meeresspiegels bedroht. Die Verursacherstaaten, die Industrieländer, sind nicht wirklich engagiert, etwas zu ändern, weil sie bisher die Lasten kaum tragen müssen. Das wird sich ändern, wenn die Auswirkungen des Klimawandels sich weiter verstärken. Egal wo etwas passiert, es triff t in einer globalisierten Welt alle Länder. Sei es, weil sich die weltwirtschaftliche Lage oder die Sicherheitslage auf diesem Planeten verschlechtert.

Auf den Weltklimakonferenzen tut sich kein Staat als ernstzunehmender Vorreiter in Sachen Klimapolitik hervor. Macht Sie das wütend?
Mojib Latif: Es ärgert mich vor allem, dass die Politiker Erfolgsmeldungen verkünden und dabei hin und wieder auch von „Durchbrüchen historischen Ausmaßes“ sprechen. Im Gegensatz dazu ist der weltweite CO2-Ausstoß alleine seit 1990 um 60 Prozent gestiegen. Mehr auseinanderliegen könnten Anspruch und Wirklichkeit nicht.

Was muss Ihrer Meinung nach passieren, damit die Wirtschaftsmächte zu einem Umdenken bereit sind?
Mojib Latif: Wenn es so etwas wie Gerechtigkeit in der Weltpolitik geben würde, müssten die Verursacher den ersten Schritt tun. Das sind historisch gesehen die USA, gefolgt von den anderen Industrienationen. China, das aktuell die höchsten CO2-Emissionen verantwortet, ist für das Problem zwar mit-, aber nicht hauptverantwortlich. Betrachtet man die Entwicklung seit Beginn des letzten Jahrhunderts, verantworten die USA alleine ein Viertel des CO2-Anstiegs in der Atmosphäre.

Auf dem letzten EU-Gipfel haben die Staats- und Regierungschefs eine CO2-Reduktion von mindestens 40 Prozent beschlossen. Was halten Sie von dem Beschluss?
Mojib Latif: Das Problem an diesem EU-Beschluss ist seine Hintertür: Der europäische Rat, das Gremium der Regierungschefs, ist immer noch mit dem Thema befasst und dort müssen die Entscheidungen einstimmig getroffen werden. Insofern könnte beispielsweise Polen, das auf Kohle setzt, alle Vorschläge blockieren.
Ich hoffe immer noch auf Vernunft und einen Sinneswandel von Seiten der Politiker. Aber ich glaube nicht, dass Verhandlungen irgendetwas bewirken werden. Das können am Ende nur technologische Entwicklungen. Und Fachhochschulen sind natürlich prädestiniert, diese Entwicklungen mitzugestalten.

Überzeugt Sie die deutsche Umwelt- und Klimapolitik?
Mojib Latif: Nein, sie überzeugt mich nicht. Weil wir uns wieder vermehrt der Braunkohle zugewendet haben, ist unser der CO2-Aussstoß in den letzten zwei Jahren wieder gestiegen. Das ist ein Armutszeugnis. Dabei kann Deutschland ein Vorreiter sein bei der Entwicklung erneuerbarer Energien. Deutschland hat gezeigt, dass sie verfügbar, nutzbar und zu einem vernünftigen Preis produzierbar sind. Wir wären gut beraten, den Ausbau der Erneuerbaren zu forcieren und uns dadurch unabhängiger von Energieimporten zu machen. Deutschland gibt jedes Jahr dafür circa hundert Milliarden Euro aus. Diese Energie könnten wir billiger haben. Und angesichts der dauernden Konflikte in Krisengebieten wie der Ukraine und dem Nahen Osten werden die Preise weiter steigen. 
Ich glaube, die erneuerbaren Energien werden in Deutschland bis 2030 so stark etabliert sein, dass der Druck auf andere Länder wachsen wird, es uns gleichzutun.

Ihr aktuelles Buch heißt "Das Ende der Ozeane". Welche Rolle spielen sie für unser Klima?
Mojib Latif: Die Meere sind beim Klimawandel Fluch und Segen zugleich. Auf der einen Seite nehmen sie sehr viel Wärme auf und transportieren sie in tiefere Meeresschichten. Dadurch wird Erwärmung an der Oberfl äche gedämpft. Gleichzeitig werden so die marinen Ökosysteme geschädigt. Zum Beispiel besitzen Korallen keine große Temperaturtoleranz. Steigt die Wassertemperatur um etwa zwei Grad Celsius, können sie sich nicht anpassen und sterben. Die Meere nehmen zurzeit außerdem ein Viertel der weltweiten CO2-Emmisionen auf. Auch das dämpft die Erwärmung. Aber wenn CO2 und Wasserstoff zusammenkommen entsteht Kohlensäure und die Meere versauern. Darunter leiden alle Lebewesen, die Kalkstrukturen bilden müssen, also zum Beispiel Korallen, Krebse, Schnecken und Muscheln. Und viele der kalkbildenden Organismen stehen am Anfang der Nahrungskette.

In Kombination mit der Überfischung werden die Meere an zwei Enden gleichzeitig zerstört.
Mojib Latif: Genau. Deshalb habe ich das Buch geschrieben. Hinzu kommt auch noch der Plastikmüll in den Meeren. Kunststoff e sind langlebige Materialien, die bis zu 300 Jahre im Wasser bleiben. Während des Abbauprozesses nehmen sie weitere Giftstoffe auf und werden von Tieren gefressen. Die Tiere werden vergiftet und am Ende nehmen wir diese Giftstoffe wieder auf. Ein weiteres Problem sind die Aquakulturen an den Küsten mit ihrem Einsatz großer Mengen von Antibiotika. Da passieren die gleichen Fehler wie bei der Massentierhaltung. Hinzu kommen Ölkatastrophen und die radioaktive Verschmutzung wie in Fukushima. All das treibt mich um. Ich glaube, die Meere können viel schneller kippen, als wir das jetzt für möglich halten.

Die Politik argumentiert gerne mit dem Primat des Wachstums und dem drohenden Verlust von Arbeitsplätzen.
Mojib Latif: Aber wenn wir auf regenerative Energien umstellen, generieren wir einen enormen Wachstumsschub und würden auch Arbeitsplätze schaffen. Die eigentliche Frage ist: Wie definieren wir Wachstum? Heute wird Wachstum nur ökonomisch und monetär definiert. Dabei kann es auch ein Wachstum an Lebensqualität bedeuten. Die Menschen sind nicht glücklicher, wenn sie ein zweites Auto oder einen dritten Fernseher haben. Wir geben uns Scheinwelten hin, benötigen aber etwas anderes: Freunde, Familie, Zuwendung, Liebe. Deshalb braucht es eine gesellschaftliche Debatte über Wachstum im weitesten Sinne.

Viele Menschen erleben sich handlungsunfähig in einem System, das sie nicht ändern können.
Mojib Latif: Ich denke, das ist falsch. Der Mauerfall in Deutschland ist auch nicht passiert, weil er verordnet wurde, sondern weil die Menschen ihn wollten. Es braucht eine Bewegung aus der Gesellschaft, von einer breiten Bevölkerungsschicht. Dann reagiert auch die Politik. Hätte es nicht seit Jahrzehnten eine breite, wenn auch viel belächelte, Anti-Atom-Bewegung gegeben, wäre der Ausstieg nicht gekommen. Man muss sich einmischen – und einen langen Atem haben. Deshalb lasse ich dieses Argument nicht gelten.

Interview: Monika Probst

Dezember 2014

Das Interview ist im Hochschulmagazin Inside Out (4/2014) erschienen.


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