Virale Vektoren und Virus-ähnliche Partikel

Interview mit Prof. Dr. Jörn Stitz und Prof. Dr. Stéphan Barbe über das Forschungsprojekt für die Gentherapie-, Impfstoff- und Antikörperentwicklung.


Stitz Barbe Prof. Dr. Jörn Stitz und Prof. Dr. Stéphan Barbe (Bild: Thilo Schmülgen/TH Köln)
Prof. Dr. Jörn Stitz und Prof. Dr. Stéphan Barbe

Im Mittelpunkt Ihrer Machbarkeitsstudie stehen virale Vektoren und Virus-ähnliche Partikel. Wozu werden sie benötigt?

Prof. Dr. Jörn Stitz: Virale Vektoren sind vermehrungsunfähige Viruspartikel. Vereinfacht betrachtet unterscheiden sich Vektorpartikel von Viruspartikeln, durch das Fehlen des Viruserbguts (DNS), welches wir durch Gene unserer Wahl ausgetauscht haben. Die Vektorpartikel können z.B. therapeutische Gene, die einen Gendefekt beheben – also ein "krankes Gen" ersetzen – in betroffene erkrankte Zellen im menschlichen Körper überführen. Wir sprechen hier von Genfähren in einer Gentherapie z.B. gegen Erbkrankheiten aber auch gegen eine Vielzahl von Krebsarten.

Virus-ähnliche Partikel - oder im Englischen Virus-Like Particles, kurz VLPs - sehen auch wie Viruspartikel aus, besitzen aber gar kein genetisches Material mehr. Wenn Sie so wollen, sind es leere Viruspartikel, die sich nicht vermehren können. Unser Immunsystem erkennt diese VLPs aber genauso schnell wie Viruspartikel bei einer Infektion. Daher können VLPs als Wirkstoffe in Impfstoffen verwendet werden. Diese innovativen Impfstoffe vermitteln bereits bei geringer Dosis einen sehr sicheren Impfschutz gegen Virusinfektionen.

Worin liegen die Schwierigkeiten, diese so genannten Biologika der 2. Generation herzustellen? 

Stitz: Die Biotherapeutika der ersten Generation sind in aller Regel einzelne Eiweiße, also Proteine wie z.B. Insulin zur Behandlung von Diabetes. Zur biotechnologischen Herstellung muss also eine Bakterien- oder Säugetierzelle dazu gebracht werden nur eine Proteinsorte zu produzieren.

Virale Vektoren und VLPs sind als Biologika der zweiten Generation sehr viel komplexer. Sie bestehen aus zwei bis zehn oder noch mehr verschiedenen Proteinen und können zusätzlich von biologischen Membranen umhüllt sein. Es braucht also eine ganze Reihe Tricks eine Zelle dazu zu bringen diese komplizierten Partikel effizient in großen Mengen herzustellen.

Prof. Dr. Stéphan Barbe: Diese Partikel sind auch sehr empfindlich und instabil. Man muss bei der Reinigung und Konzentrierung sehr schonende Methoden verwenden sonst nehmen die Partikel Schaden und verlieren ihre medizinische Wirkung.

Was sind die Kostentreiber?

Barbe: Bei den gegenwärtig verwendeten Methoden zur Reinigung der Partikel gehen bis zu 80 Prozent und mehr der Partikel entweder während des Prozesses verloren oder werden so beschädigt, dass sie nicht mehr als Wirkstoffe in Medikamenten oder Impfstoffen zu gebrauchen sind. Das ist natürlich ein inakzeptabler Verlust. Produkternten von nur 20 Prozent sind sehr enttäuschend. Wir glauben, hier neue Wege aufzeigen zu können.

Stitz: Neben der Verminderung des Produktverlusts bei der Aufarbeitung der Partikel, steht die vorige Erhöhung der Produktivität bei der biotechnologischen Herstellung der Partikel im Vordergrund. Wir haben tief in die molekularbiologische Trickkiste gegriffen und wollen nun effizientere Produktionszellen etablieren, die größere Mengen an viralen Vektoren und VLPs generieren können.

Mitte 2018 wollen Sie die Ergebnisse der Machbarkeitsstudie vorlegen. Wo stehen Sie nun, nach knapp sechs Monaten?

Stitz: Die ersten Versuche zu Etablierung optimierter Produktionszellen sehen sehr vielversprechend aus. Wir erwarten im Augenblick eine Produktivitätssteigerung um 100 bis möglicherweise sogar 500 Prozent. Dieser Teil der Studie sollte in wenigen Wochen abgeschlossen sein.

Barbe: Mit unseren Industriepartnern stehen wir in engem Kontakt. Wir haben belastbare Konzepte zur Neukombination schonender Reinigungsmethoden entwickelt und wollen die Produktausbeute auf 70 bis 80 Prozent steigern.

Vorausgesetzt, die Machbarkeitsstudie zeigt einen Weg für ein effizientes biotechnologisches Produktionsverfahren auf. Wie lange ist dann noch der Weg bis zur Marktreife?

Barbe: Das Hauptproblem wird dann sein, die Produktionseffizienz vom Labormaßstab mit weniger als fünf Litern auf den Industriemaßstab von 100 oder gar 1.000 Litern zu übertragen. Diese sogenannte "Upscaling" ist eine verfahrenstechnische Herausforderung. Die Zelllinien zur Herstellung der Biologika müssen auch erneut unter hochreinen Bedingungen etabliert werden – schließlich sollen sie ja zur Produktion von Wirkstoffen in Medikamenten zur Behandlung von Menschen dienen. Ich denke, fünf Jahre Entwicklungszeit bis zur Marktreife kann man wohl rechnen.

Stitz: Das denke ich auch. Bis dahin arbeiten wir beide bestimmt schon wieder an neuen Optimierungsstrategien und innovativen Methoden.

Januar 2018

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