Vielseitige Pflanzenkraft

Prof. Dr. Christiane Rieker (Bild: Thilo Schmülgen/TH Köln)

Mehr als die Hälfte der Erneuerbaren Energien in Deutschland werden aus Biomasse erzeugt. Trotzdem spielt Biomasse in der medialen und gesellschaftlichen Wahrnehmung kaum eine Rolle – zumindest im Vergleich zu Photovoltaik und Windenergie. Zeit, das zu ändern.

Photovoltaik und Windenergie sind in Deutschland die beiden großen Player bei den Erneuerbaren Energien – zumindest in unserer medialen und gesellschaftlichen Wahrnehmung. Entweder geht es um ihr Potenzial oder es wird die Akzeptanz von Windkraftanlagen und Photovoltaikparks vor der eigenen Haustür diskutiert und ob Windräder den Schutz heimischer Vögel gefährden. Egal ob positive oder negative Schlagzeilen, in der Öffentlichkeit sind die beiden Technologien ähnlich präsent wie die elektrische Mobilität.

Die Energiequelle Biomasse fällt dagegen medial meist unter den Tisch. Obwohl sie über die Hälfte des Anteils der erneuerbaren Energieträger in Deutschland stellt (siehe unten, Grafik „Primärenergieverbrauch Deutschland”). Das habe auch Folgen für das gesellschaftliche Interesse und die finanzielle Unterstützung, findet Prof. Dr. Christiane Rieker vom Cologne Institute for Renewable Energy. Dabei lässt sich Bioenergie vielfältiger einsetzen als Wind-, Wasser- oder Sonnenenergie: Nicht nur für Strom und Wärme, sondern auch als Kraftstoff in Form von Biogas und Bioethanol. Außerdem kann Biomasse als Substitut fossiler Ressourcen in der chemischen und der Kunststoffindustrie dienen.

Christiane Rieker beschäftigt sich seit 20 Jahren an der TH Köln mit Bioenergie und der Frage, wie sich organische Rohstoffe effizient und umweltschonend in Energie umwandeln lassen. Zu Miscanthus, dem sogenannten Chinaschilf, haben Rieker und ihr Team bereits Untersuchungen durchgeführt. Oder zu Resten von Agaven, aus denen Tequila hergestellt wird. Derzeit arbeiten die Forscherinnen und Forscher mit Stroh. Allen Rohstoffen ist gemeinsam, dass sie über einen hohen Energieinhalt verfügen und den großen Vorteil haben, Regionen, in denen diese Pflanzen angebaut werden, bei der Energieversorgung autark zu machen – egal ob in Süd- oder Lateinamerika oder in Deutschland.

Allerdings ist Biomasse sehr divers. Es gibt kein einheitliches Verfahren bei der Nutzung von Gülle, Ernteresten, dem heimischen Biomüll oder Altfett. Jeder Rohstoff hat unterschiedliche chemische Zusammensetzungen und Stoff-eigenschaften. Stroh unterscheidet sich bei der Verbrennung beispielsweise deutlich von Holz. Will man aus den Strohballen neben Biogas oder -ethanol auch thermische Energie gewinnen, stellt sich das Problem, dass bestimmte Stoffanteile im Stroh dazu führen, dass die Asche verschlackt. Das heißt, erst wird sie bei Temperaturen von über 650 bis 700 Grad Celsius weich, um nach dem Brennvorgang hart wie Beton zu werden. Einfach auf niedrigere Temperaturen setzen macht aber oft keinen Sinn, da bei einer vollständigen Verbrennung meist 950 bis 1.000 Grad Celsius erreicht werden.

Ziel ist jetzt, das Stroh enzymatisch aufzuschließen. „Dazu wollen wir Enzyme aus dem Kompost verwenden“, sagt die wissenschaftliche Mitarbeiterin Dr. Jamile Bursche. Die Untersuchungen finden vor allem am Lehr- und Forschungszentrum :metabolon statt, wo Anlagen bereitstehen, um auch im größeren Maßstab die verschiedenen Verfahren zur Stoffumwandlung zu testen: die thermische und die mikrobielle, also ob das Stroh besser mittels Pyrolyse oder Biogasprozess umgewandelt werden soll. Parallel dazu werden die Lebenszyklen der verschiedenen Produktionswege auf ihre Ökobilanz und Wirtschaftlichkeit analysiert.

Die Möglichkeiten, Biomasse als Energiequelle umzuwandeln, sind vielfältig. Doch in den vergangenen Jahren sei der Rückenwind stark abgeflaut, der vor mehr als zehn Jahren in Deutschland aufkam, als die Bundesregierung die Energiewende beschloss und Klimaziele für 2020 formulierte. Diese Klimaziele wurden nicht realisiert und „leider haben wir unsere internationale Vorreiterrolle längst eingebüßt“, bedauert Rieker die Entwicklung. Auch habe es die Politik versäumt, lokale und genossenschaftliche Projekte stärker zu fördern. „Ich kann verstehen, dass die Leute in ländlichen Orten keine Wind- oder Solarparks vor ihren Häusern haben möchten, wenn sie selbst davon nicht unmittelbar profitieren. Wenn ein Ort seine Energieversorgung selbst organisiert, steigt automatisch die Akzeptanz. Und gerade Biomasse eignet sich hervorragend als zusätzliche Energiequelle bei der dezentralen Versorgung, vor allem, wenn die Sonne mal nicht scheint und der Wind nicht weht.“

Autarker organisieren könnten sich auch Winzergenossenschaften, indem sie Biomasse für ihre Absorptionskältemaschinen nutzen, mit denen sie ihre Weinkeller kühlen. Jedes Jahr sammelt sich an den über 100.000 Hektar Weinberghängen in Deutschland Rebenrückschnitt an. Und auch der Weintrester, die festen Rückstände nach dem Auspressen des Rebensafts, kann als Biomasse genutzt werden. Bislang wird Weintrester häufig weiterverarbeitet zu landestypischen Weinbränden wie Grappa oder Rakí, aber auch zu Traubenkernöl oder Essig. Energetisch ist im Anschluss daran auch noch direkt die Herstellung von Biogas oder Festbrennstoffen möglich. Letzteres ist zumindest die Idee zweier Anlagenhersteller aus Baden-Württemberg: die Entwicklung eines regenerativen Hybrid-Energiesystems für Wärme, Kälte und Strom, um Winzereien energieautark zu machen.

Finanziert vom Bundeswirtschaftsministerium durch den Projektträger Jülich soll unsere Hochschule das Verfahren für die Nutzung in einer Absorptionskältemaschine optimieren. Für deren Prozess der thermischen Verdichtung wird Wärme benötigt, die bei der Verbrennung des Rebenreststoffes entsteht. Neben der Effektivitätsprüfung gilt es dabei, die Emissionen hinsichtlich ihres Staub-, Stickoxid- und Kohlenmonoxidgehalts zu messen.

In kleineren Anlagen von bis zu 70 kW liegt beispielsweise der Grenzwert für Staub bei 20 Milligramm pro Kubikmeter. „Dieser Wert liegt nahe an der Nachweisgrenze und es ist daher problematisch, ihn richtig zu analysieren“, sagt Rieker. Um möglichen Grenzwertüberschreitungen entgegenzuwirken, werden Rieker und ihre wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter das Verfahren trimmen. Das ist möglich durch primäre Maßnahmen an der Anlage selbst, wie die Luftzuführung oder das Mischverhältnis und den Trockenheitsgrad der Biomasse. Oder durch Sekundärmaßnahmen wie einen Katalysator oder Filteranlagen.

Natürlich können solche Entwicklungsideen wie die Weintrester- oder Strohnutzung nicht den kompletten Energiebedarf von Weingütern und Landwirten abdecken. „Bioreststoffe sind begrenzt und nachwachsende Biomasse an Flächen gebunden, aber sie können hilfreiche Bausteine sein beim Ausbau der Erneuerbaren Energien“, findet Rieker. „Es lohnt sich, in allen Bereichen nach Alternativen zu fossilen Ressourcen zu suchen, nicht nur bei der Energieerzeugung. Nach der Digitalisierung wird schon bald die Bioökonomie den gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Wandel bestimmen, das heißt, es wird in allen Produktionsbereichen nach regenerativen Ersatzstoffen gesucht. Es wäre fatal, wenn wir in Deutschland nicht ausreichend forschen, und dann dauerhaft den Anschluss  verpassen.“

Februar 2020

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