Vernetztes Denken und Kooperation als Schlüssel für Innovation

Von der Energiewende bis zur zirkulären Wertschöpfung: Für die Bewältigung globaler Herausforderungen wird die Zusammenarbeit verschiedener Disziplinen sowie die Einbindung der Gesellschaft in die Forschung immer wichtiger. Warum das so ist und wie das gelingen kann, erklärt Dr. Valérie Varney, Professorin für Innovation und Gesellschaft an der Fakultät für Anlagen, Energie- und Maschinensysteme.

Frau Varney, warum braucht es Kooperation und Partizipation in der Wissenschaft?

Die großen Herausforderungen der Gegenwart werden immer komplexer, weil sie zunehmend miteinander verwoben sind und sich gegenseitig beeinflussen. Um die einzelnen Problembereiche nachhaltig zu lösen, ist eine ganzheitliche Herangehensweise erforderlich –  dazu wird Wissen aus unterschiedlichen Perspektiven benötigt, oder besser gesagt: interdisziplinäre Zusammenarbeit. Über diese rein wissenschaftliche Ebene hinaus wird es aber auch relevanter, noch viel stärker als bisher die gesellschaftliche Perspektive aufzunehmen – man spricht hier von Transdisziplinarität. Durch den zusätzlichen Austausch mit Akteur*innen aus der Praxis sowie der Zivilgesellschaft können passgenauere Innovationen entwickelt werden. Zudem stärkt dieses Vorgehen die Transparenz und trägt zur Akzeptanz von wissenschaftlichen Erkenntnissen und Entwicklungen bei.

Vier Hände fügen vier Puzzleteile zusammen. Globale Herausforderungen hängen wie ein Puzzlebild zusammen: "Um die einzelnen Problembereiche nachhaltig zu lösen, ist eine ganzheitliche Herangehensweise erforderlich". (Bild: AdobeStock/Johnstocker)

Wie können mit Hilfe von inter- und transdisziplinären Ansätzen Lösungen für globale Herausforderungen entstehen?

Im Forschungsprojekt „MEnergie – Meine Energiewende“ gehen wir zum Beispiel der Frage nach, welche Bedenken Menschen bezüglich der Energiewende haben. Ziel ist es, Vorbehalte und Wissenslücken abzubauen und Handlungskompetenz in der Bevölkerung zu stärken. Zudem nutzen wir beispielsweise Augmented und Virtual Reality, um energiewirtschaftliche Herausforderungen und Lösungsansätze verständlicher zu vermitteln. Dazu erfassen wir zunächst die Informationsbedarfe, Vorurteile und Ängste und entwickeln in einem weiteren Schritt zielgruppenspezifische Kommunikationskonzepte, die den Stand der Technik erläutern und Alltagsfragen erfahrbar beantworten. Damit das gelingt, müssen verschiedene Methoden und Disziplinen zusammenkommen. An der TH Köln kooperieren drei verschiedene Fachbereiche: das Institut für Produktentwicklung und Konstruktionstechnik, die Köln International School of Design und das Cologne Institute for Renewable Energy. Zudem sind das Start-up „World of VR“ sowie assoziierte Partner*innen aus der Bildungs-, Energie- und Technologiebranche beteiligt. Zentral ist für das Projekt die Einbindung der  Zivilgesellschaft durch verschiedene Formate wie Workshops, Interviews und Living Labs.

Wie integrieren Sie solche Ansätze in die Lehre?

Ich versuche den Studierenden zu vermitteln, dass neben technischen Kompetenzen in Theorie und Praxis auch ein Bewusstsein für die gesellschaftliche Verantwortung unabdingbar ist, um Probleme wirklich nachhaltig zu lösen. Hierzu führe ich unter anderem so genannte „Challenges“ durch. So haben wir in der Vergangenheit jedes Wintersemester an der Ingenieure ohne Grenzen Challenge teilgenommen und in Kooperation mit der gemeinnützigen Organisation „Ingenieure ohne Grenzen“ unter anderem Lösungen für erdbebensichere Notunterkünfte in Nepal entwickelt. Dabei haben wir nicht nur die technische Perspektive betrachtet. Wir haben auch erarbeitet, wie Anleitungen für solche Bauwerke in lokale Bildungsformate integriert werden könnten. Dazu wiederum müssen beispielsweise soziokulturelle Erkenntnisse in die Gesamtbetrachtung einfließen, die nur durch einen inter- und transdisziplinären Austausch gewonnen werden können. So entwickeln die Studierenden etwas, das nicht nur theoretisch und im Labor funktioniert, sondern auch vor Ort umsetzbar ist.

Mit welchen Hürden ist Inter- und Transdisziplinarität in Forschung und Lehre konfrontiert?

Sowohl die Kooperation verschiedener Disziplinen als auch die Einbindung der Gesellschaft führt manchmal dazu, dass sich Prozesse etwas verlangsamen. Bei der interdisziplinären Zusammenarbeit kann das an Sprachbarrieren zwischen Fachbereichen mit oft ganz eigenen Fachsprachen und Terminologien oder auch an unterschiedlichen Denk- und Herangehensweisen liegen. Der Austausch mit Akteur*innen aus der Gesellschaft kann durch verschiedene Wissenssysteme, ein Machtungleichgewicht durch den vermeintlichen Wissensvorsprung der Forschenden oder einfach nur Unsicherheit erschwert werden.

Wie kann man diesen Problemen begegnen?

Dafür sind verschiedene Maßnahmen erforderlich. Grundsätzlich sind sorgfältige Planung, klare Kommunikation und Offenheit für andere Perspektiven hilfreich. Zusätzlich ist die frühzeitige Einbeziehung verschiedener Akteur*innen aus der Gesellschaft und die Aufklärung über die Vorteile dieser Ansätze sehr wichtig. Und nicht zuletzt bedarf es der inter- und transdisziplinären Ausbildung von Studierenden. Trotz dieser Ansatzpunkte gibt es allerdings keine allgemeingültigen Lösungen für erfolgreiche inter- und transdisziplinäre Zusammenarbeit. Kooperative und partizipative Methoden erfordern mitunter einfach einen höheren Aufwand, es können im Optimalfall aber auch deutlich effektivere Lösungen entstehen, die darüber hinaus noch auf eine breitere Akzeptanz treffen.

September 2023

Ein Beitrag von

Marcel Hönighausen

Team Presse und Öffentlichkeitsarbeit


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