Verfahrenstechnik: Prozesse nachhaltig optimieren
Wenn Materialien, Chemikalien oder andere Stoffe im großen Maßstab erzeugt, in ihren Eigenschaften verändert, umgewandelt oder aufbereitet werden, dann kommt Verfahrenstechnik zum Einsatz. Dass es dabei nicht nur um wirtschaftliche Optimierung und Produktverbesserung, sondern auch um Nachhaltigkeit geht, erläutert Prof. Dr. Gerd Braun vom Institut für Anlagen- und Verfahrenstechnik im Interview.
Prof. Braun, womit befasst sich die Verfahrenstechnik?
Die Verfahrenstechnik ist ein Bereich der Ingenieurwissenschaft und beschäftigt sich mit physikalischen, chemischen oder biologischen Verfahren, um Stoffe hinsichtlich ihrer Zusammensetzung zu verändern. Dazu werden Produktionsverfahren oder -anlagen designt, entwickelt, betrieben und optimiert – und das immer mit einem breiten interdisziplinären Blick. Denn die Verfahrenstechnik befasst sich mit komplexen Systemen, die verschiedene Aspekte wie Biologie, Chemie, Physik, Mechanik, Thermodynamik, Regelungstechnik, Strömungslehre und Umwelttechnik umfassen. Ein interdisziplinäres Verständnis erleichtert den Austausch mit Fachleuten aus anderen Disziplinen und ermöglicht es, diese verschiedenen Aspekte zu berücksichtigen und ganzheitliche, sichere, nachhaltige sowie innovative Lösungen zu entwickeln.
Welchen Beitrag zur Nachhaltigkeit kann die Verfahrenstechnik leisten?
Ziel der Verfahrenstechnik ist es nicht nur, effiziente und wirtschaftliche Prozesse zu entwickeln und somit die Produktqualität zu erhöhen, sondern auch die Umweltauswirkungen von industriellen Verfahren zu minimieren. Wirtschaftlichkeit und Nachhaltigkeit schließen sich nicht aus. Durch die Optimierung von Produktionsprozessen können Ressourcen effizienter eingesetzt werden. Dadurch reduziert sich zum Beispiel der Verbrauch von Wasser, Energie oder anderen Rohstoffen und es fallen weniger Abfallprodukte an. Abfallprodukte, die nicht zu vermeiden sind, können mit Hilfe verfahrenstechnischer Lösungen im Sinne einer nachhaltigen Kreislaufwirtschaft recycelt werden. Darüber hinaus reduziert die Verfahrenstechnik klimaschädliche Emissionen, indem fortschrittliche und energiesparende Technologien wie beispielsweise Membranen eingesetzt und erneuerbare Energien in Prozesse integriert werden. Und nicht zuletzt fördert sie auch die Entwicklung nachhaltiger Produkte und führt Lebenszyklusanalysen von Anlagen durch, um die Gesamtauswirkungen auf die Umwelt zu bewerten und Maßnahmen zur Verbesserung der Nachhaltigkeit zu identifizieren.
Wie kann man sich das konkret vorstellen?
Ein Beispiel ist die Bierproduktion. Eine mittelständische Brauerei gibt jährlich bis zu 200.000 Tonnen des Treibhausgases CO2 in die Atmosphäre ab; und in Deutschland gibt es etwa 260 und in Europa fast 1.750 Brauereien dieser Größenordnung. Das dort entstandene CO2 muss jedoch nicht in die Atmosphäre gelangen, sondern kann genutzt werden. Dabei wird es mit Hilfe eines aus nachwachsenden Rohstoffen modifizierten Adsorbers aufgefangen und für die Wiederverwendung bereitgestellt. So kann das CO2 als Rohstoff wieder nutzbar gemacht und in den Kreislauf zurückgeführt werden. Die Brauereien benötigen nämlich auch CO2, um das Bier in Flaschen oder Fässer zu pressen. Ein anderes Beispiel ist die Gewinnung von Lithium für die Produktion von Lithium-Ionen-Akkus. Damit beschäftigen wir uns aktuell im Forschungsprojekt Li-GeReKo. Lithium wird größtenteils aus Salzseen gewonnen, indem große Mengen Wasser abgepumpt und verdunstet werden – dadurch gehen enorme Mengen an Wasser verloren. Wir arbeiten an einer Lösung, mit der das Lithium mit Hilfe von Membranprozessen vom Wasser getrennt wird. Im Optimalfall kann die dafür notwendige Energie aus Sonne oder Wind gewonnen werden. Damit ist diese Technologie sowohl energie- als auch wassersparend – und dementsprechend eben nicht nur nachhaltig, sondern auch wirtschaftlich tragbar.
Werden solche Fragestellungen mit einem Fokus auf Nachhaltigkeit in Zukunft immer wichtiger für die Verfahrenstechnik?
Mit Blick auf den Klimawandel und die zunehmende Ressourcenknappheit sind zahlreiche Branchen – von der Automobilindustrie über die Pharmaindustrie bis hin zu Konsumgüterherstellern – immer mehr gefragt, nachhaltige und umweltfreundliche Lösungen zu entwickeln und zu implementieren. Die für einen Wandel notwendigen Innovationen können aber nicht nur aus diesen Branchen selbst kommen. Häufig muss man viel weiter vorne in der Wertschöpfungskette anfangen – und zwar bei der Verfahrenstechnik, die aus einer physikalischen, chemischen oder biologischen Reaktion erst einen industriellen Prozess macht. Hier gibt es noch viele Stellschrauben, an denen Verfahren und Methoden optimiert werden können.
Besonders spannend und mit viel Potenzial verbunden sind aus meiner Sicht Prozesse, in denen aus bisherigen Abfallstoffen höherwertige Produkte entstehen. Das ist uns beispielsweise in einem kürzlich abgeschlossenen Projekt mit Terpentinöl, einem Abfallprodukt der Papierindustrie, das bisher nur verbrannt wurde, gelungen. Mit Hilfe eines neuartigen Membranverfahrens und anschließender Destillation konnten wir hochwertige Inhaltsstoffe, die als Duft- und Aromastoffe genutzt werden, in einer sehr hohen Reinheit gewinnen. Solche Lösungen zu entwickeln und in industrielle Anlagen zu übersetzen, ist die Aufgabe der Verfahrenstechnik.
August 2023