Verantwortungsbewusst forschen

Prof. Dr. Dagmar Brosey und Prof. Dr. Uwe Oberheide (Bild: TH Köln)

Mit der eingerichteten Kommission zur Verantwortung in der Wissenschaft möchte die TH Köln für ihre Wissenschaftler*innen gute Rahmenbedingungen schaffen für eine verantwortungsbewusste Forschung. Was das konkret heißt und welche Aufgaben die Kommission hat, erklären die beiden Vorsitzenden Professor*innen Dr. Dagmar Brosey und Dr. Uwe Oberheide.

Wurden Sie beide in Ihrer Forschungsarbeit bereits öfter mit ethischen Fragestellungen konfrontiert?

Dagmar Brosey: Ja, mit ethischen Fragestellungen werde ich oft konfrontiert, da ich über die Situation von Menschen forsche, die einen komplexen Unterstützungsbedarf haben, also eine rechtliche Betreuung, und die zudem oft eine Behinderung, eine psychische oder eine demenzielle Erkrankung haben. Wenn man über diese Personen forscht, sie interviewt oder mit ihnen eine teilnehmende Beobachtung durchführt, stellt sich natürlich die Frage nach der Einwilligungsfähigkeit dieser Person. Und es können sich noch weitere Fragen stellen. Wenn man diese Personen zu bestimmten Situationen interviewt, die zum Beispiel Zwangsmaßnahmen beinhaltet haben, könnte das zu (Re-)Traumatisierungen führen. Für diese ethischen Fragen muss ich im Vorfeld des Forschungsprozesses Sicherungsvorkehrungen treffen, aber auch während dieser Gespräche und Beobachtungen und natürlich auch im Nachgang. Das Ziel ist, dass für diese Person keine Nachteile oder sogar Schäden entstehen.

Und haben Sie sich das notwendige Know-how selbst angeeignet oder können Sie auch auf Unterstützung zurückgreifen?

Dagmar Brosey: Als Juristin beschäftige ich mich bereits mit der rechtlichen Perspektive, und rechtliche und ethische Fragen gehen oft nebeneinander. Außerdem haben wir an unserer Fakultät für Angewandte Sozialwissenschaften verschiedene Fachdisziplinen wie die Wissenschaft der Sozialen Arbeit, Philosophie oder Psychologie, um solche Fragen auch auf kollegialer Ebene zu erörtern. Darüber hinaus gibt es natürlich fachliche Standards von Fachgesellschaften, auf die man zurückgreifen kann.

Und bei Ihnen, Professor Oberheide? Dominiert im Ingenieurbereich eher die Dual-Use-Problematik?

Uwe Oberheide: Die Dual-Use-Problematik hängt immer vom jeweiligen Gebiet ab, zu dem man forscht. Da mein Schwerpunkt die Entwicklung medizinischer Produkte ist, berühren mich tatsächlich überwiegend die ethischen Fragestellungen. Wenn ich zusammen mit einem Unternehmen neue Geräte konstruiere oder neue Therapieformate mitentwickle, führen wir oft Befragungen mit Betroffenen durch und auch Tests mit Probandinnen und Probanden, um die Handhabung und Bedienbarkeit zu prüfen – noch bevor das Unternehmen eine klinische Studie durchführt, bei der ich dann nicht mehr involviert bin. Und auch beim Zulassungsprozess bin ich gegebenenfalls beteiligt, indem ich bei technischen Fragestellungen unterstützend mitarbeite. Das heißt, auch ich muss mich mit Persönlichkeitsrechten auseinandersetzen, mit Fragen des Datenschutzes oder mit Vorerkrankungen der Probanden. Die Dual-Use-Problematik kenne ich persönlich nur aus dem Kollegium, wenn Kooperationsfirmen ihre Aktivitäten nicht nur auf den zivilen Markt beschränken, sondern auch im nicht-zivilen Bereich aktiv sind. Hier muss man immer genau schauen, dass der Anwendungsfall der Forschungskooperation eindeutig im zivilen Bereich liegt, um diese Mehrfachnutzungsmöglichkeit ausschließen zu können.

Wenn das Unternehmen im Laufe der Entwicklung seine Strategie doch hin zu einer zweigleisigen Nutzung ändert, können Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler darauf überhaupt noch Einfluss nehmen?

Uwe Oberheide: In die direkte Entwicklung kann man in diesem Moment nicht mehr einwirken, da man ja die Entwicklung für den zivilen Bereich mit unterstützt. Man kann sich nur noch in der Außendarstellung gegenüber der Firma positionieren. Dabei geht es dann um das persönliche Auftreten und auch um das Auftreten der Hochschule. Letztlich muss man sich klar positionieren zwischen der eigentlich erbrachten Forschung und den Konsequenzen, die aus einer anderen Nutzung als der ursprünglich intendierten erwachsen können. Das bedeutet auch, dass man darauf achten muss, in welchem zeitlichen Zusammenhang diese Veränderungen entstanden sind. Wenn ich als Wissenschaftler bereits während der Entwicklung merke, dass eine andere Nutzungsmöglichkeit gewünscht ist, muss ich überlegen, wie ich in meinem Forschungsbereich und wie man als Hochschule intern damit umgeht. Wenn hingegen während der Entwicklungsphase überhaupt noch kein Dual Use absehbar war, wird mir als Wissenschaftler jegliche Entscheidungsfreiheit darüber genommen.

Wenn man während des Entwicklungsprozesses merkt, dass sich die Richtung ändert, wie kommt man dann aus der Kooperation wieder heraus?

Uwe Oberheide: Ich hatte so einen Fall glücklicherweise noch nicht. Sicher kommt man aus einem Projekt wieder heraus, aber damit sind an anderen Stellen Konsequenzen verbunden: Bei einem öffentlich geförderten Projekt werden von den Geldern oft wissenschaftliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter für den Förderzeitraum finanziert, womöglich ist damit auch eine Promotion verbunden. Man hat also auch eine gewisse Verantwortung den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern gegenüber, wenn man sich sofort von einem laufenden Projekt distanzieren möchte. Wie kann man die Promotion vernünftig zu Ende führen? Wie kann man die vorgesehene Vertragslaufzeit so gestalten, dass man das Ganze sicher umsetzen kann?

Schaubild zur Funktion der Kommission zur Verantwortung in der Wissenschaft So funktioniert die Kommission zur Verantwortung in der Wissenschaft. (Bild: TH Köln)

Es ist also vor allem eine individuelle Herausforderung für alle Forschenden, sich für diese Themen zu sensibilisieren und zu schulen. Würde es dann nicht ausreichen, wenn die Hochschule entsprechende Weiterbildungsangebote schafft? Worin liegt der Vorteil einer Kommission?

Dagmar Brosey: Die Sensibilisierung der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler ist eine der Aufgaben unserer Kommission. Gleichwohl reicht es aber nicht aus, nur zu sensibilisieren. Nach wie vor tragen die Forschenden die Verantwortung für ihre Forschungsprojekte. Aber es gibt auch im Hinblick auf bestimmte Antragsverfahren oder bestimmte Publikationen mittlerweile die Anforderung an die Forschenden, durch das Votum einer Kommission eine besondere Form der Qualitätssicherung ihre Arbeit nachweisen zu können. Außerdem schafft ein offiziell eingesetztes Gremium eine Form des verbindlichen Prozesses: Der besteht zunächst in erster Linie in einer Selbsteinschätzung der Forschenden, die zu jedem Forschungsauftrag dazugehört. Diese Selbsteinschätzung dient der Sensibilisierung, hat aber eben nicht zwingend zur Folge, dass eine Antragstellung an und Begutachtung durch die Kommission erfolgt. Wir wollen mehr Verbindlichkeit schaffen, ohne hohe Hürden zu setzen.

Uwe Oberheide: Genau. Die Verbindlichkeit besteht darin, dass Forschende eine Selbsteinschätzung über ihr Projekt durchführen sollen. Wir als Kommission prüfen aber nicht jeden Einzelfall, ob diese Selbsteinschätzung tatsächlich vorgenommen wurde. Wir wollen definitiv nicht in die Freiheit jedes einzelnen Forschenden eingreifen, sondern letztendlich nur den Reflexionsprozess anstoßen: Gibt es tatsächlich ethische Fragestellungen in meinem Projekt? Und gibt es vielleicht weitere Aspekte, die angrenzend an mein Forschungsgebiet betroffen sind und im weiteren Verlauf eine Rolle spielen können?

Die Kommission kommt also nur ins Spiel, wenn sich Forschende an Sie wenden. Und welche Aufgaben hat sie dann?

Dagmar Brosey: Wenn wir einen Antrag erhalten, benötigen wir vom Antragstellenden ein konkreteres Bild über die ethischen Aspekte oder die sicherheitsrelevanten Fragestellungen, die sich ergeben. Unsere Aufgabe ist dann zu prüfen und gegebenenfalls in einem Gespräch mit den Antragstellenden zu bearbeiten, ob es tatsächlich diesen Aspekt gibt und wie diesem zu begegnen ist. Denn alleine die Tatsache, dass es sich um eine ethische Fragestellung handelt, führt ja nicht unbedingt dazu, dass das Forschungsprojekt ethisch problematisch ist. Es ist vielmehr eine Frage des Umgangs und des Vorgehens. Dazu beraten wir, beantworten Fragen, geben aus unserer Sicht Hinweise und Lösungsvorschläge.

Uwe Oberheide: Wir geben zwar eine Stellungnahme ab. Aber die Kommission verbietet natürlich niemandem, seine Forschung zu betreiben. Wir sind keine Entscheidungsträger.

Was ist außerdem explizit nicht Ihre Aufgabe als Kommission?

Dagmar Brosey: Es gibt in einigen Bereichen Überlappungen, zum Beispiel beim Datenschutz und den sich damit berührenden Persönlichkeitsrechten. Zu diesen Fragen verweisen wir je nach Sachlage auf den Datenschutzbeauftragten unserer Hochschule, zu anderen, rechtlichen Aspekten auf unser Justiziariat.

Uwe Oberheide: Und im medizinischen Bereich ist eine öffentlich-rechtliche Ethikkommission als Votum notwendig, das wäre nach dem Heilberufsgesetz NRW die Ärztekammer Nordrhein zuständig. Als Kommission der TH Köln beschäftigen wir uns also nur mit den rein gesellschaftsethischen Fragestellungen und mit dem Thema Dual Use.

Wenn Sie sich für Ihre Kommissionsarbeit etwas wünschen könnten, was wäre das?

Uwe Oberheide: Wir waren im vergangenen Jahr primär damit beschäftigt, diesen Prozess zu standardisieren, Unterlagen zu erstellen und genau zu überlegen, an welcher Stelle eine Antragstellung erforderlich ist. Jetzt wäre mein Wunsch, dass jede Person, die ein neues Forschungsprojekt beantragt, sich tatsächlich mit den Fragestellungen in der Selbsteinschätzung auseinandersetzt.

Dagmar Brosey: Dem schließe ich mich an. Ich würde mir wünschen, dass die Forschenden auch in ihren Teams diese Fragen diskutieren – also in den Forschungsschwerpunkten, in den Instituten, in den Fakultäten – damit sich ein Austausch und ein besserer Umgang etabliert. Das kann uns alle weiterbringen.

Mai 2022

M
M