Studium und Spitzensport: Der Traum von Olympia

Die TH Köln ist offizielle Partnerhochschule des Spitzensports und unterstützt besonders intensiv junge Menschen, die den Leistungssport mit dem Studium verbinden wollen. Wie kompliziert das im Alltag ist, erzählen sieben erfolgreiche Athletinnen und Athleten. Sie zeigen auch: Die Erfahrung mit dem Sport hilft enorm dabei, sich selbst zu organisieren. Damit man mit 24 Stunden am Tag auskommt.

Dieser Artikel ist Anfang des Jahres 2020 entstanden und berücksichtigt daher nicht die Situation, wie sie sich für die Studierenden und SpitzensportlerInnen in Folge der Corona-Pandemie darstellt.

Tobias Weckerle: Degenfechten

Tobias Weckerle Tobias Weckerle (Bild: privat)

Ein ganz normaler Montag fängt für Tobias Weckerle um sieben Uhr an und endet kurz vor Mitternacht. Dazwischen liegen Physiotherapie, Kraft- und Ausdauertraining, eine kurze Mittagspause, danach Einzeltraining, nach zwei Stunden Pause noch Gruppentraining bis nach 21 Uhr, und dann noch an den Schreibtisch und Lernen. Weckerle ist 20 Jahre alt, hat zum Wintersemester das Studium der Pharmazeutischen Chemie begonnen und träumt davon, bei den Olympischen Spielen 2024 in Paris auf der Matte zu stehen. Auf der Planche, genauer gesagt, denn Weckerle ist Fechter. Seine Waffe ist der Degen, damit wurde er 2019 Deutscher U20-Meister.

Ein Programm wie an dem besagten Montag ist normal. Normal ist auch, dass neben Studium und Sport absolut keine Freizeit bleibt. „Manchmal fragt man sich schon, warum man das alles macht“, sagt Weckerle, der aus Baden-Württemberg stammt und ins Rheinland gekommen ist, weil er hier mit dem TSV Bayer Leverkusen den besten deutschen Degen-Fechtverein und zugleich noch seinen Wunsch-Studienplatz bekommen hat. Bei dem Antrag auf bevorzugte Zulassung, die für Kader-Angehörige in olympischen Sportarten möglich ist, half ihm der Sportlerbeauftragte Sebastian Meusel. Der 20-jährige Weckerle absolviert sein Studium in Vollzeit. Außerdem hat er einen Vorteil gegenüber vielen anderen studierenden Spitzensportlern an unserer Hochschule: Er wohnt, trainiert und studiert in Leverkusen, die Wege dazwischen absolviert er oft zu Fuß.


Nina Hemmer: Ringen

Nina Hemmer Nina Hemmer: Trainings- und Wettkampfreisen um die Welt (Bild: Thilo Schmülgen/TH Köln)

Das sieht bei Nina Hemmer ganz anders aus. Von ihrem Wohnort Neuss fährt sie, meist zweimal täglich, zum Training ins Ringer-Leistungszentrum Dormagen. Für das Studium der Sozialen Arbeit muss sie dann noch zum TH-Campus in der Kölner Südstadt. Dabei ist sie für ihren Sport mehr als genug unterwegs. Allein im Wintersemester standen Lehrgänge und Turniere in China, Italien, Russland, der Ukraine und Ungarn an. Im Vorfeld Olympischer Spiele, wie sie diesen Sommer in Tokio eigentlich stattfinden sollten, ist das noch mehr als sonst (Am 24. März hat das internationale Olympische Komitee die Spiele in Tokio auf 2021 verschoben. Sie verbleiben aber unter dem Namen Tokyo 2020.)

Die Präsenzpflicht in der Hochschule zu erfüllen, war für Nina Hemmer im letzten Wintersemester schlicht unmöglich. „Als ich in den Kalender sah, war das schnell klar. Deshalb habe ich das Semester auch frühzeitig abgehakt“, sagt die 27-Jährige. Zwar zeigten viele Dozentinnen und Dozenten Verständnis und Entgegenkommen, aber von dem neuen Status der TH Köln als Partnerhochschule erhofft sich Nina Hemmer noch bessere Möglichkeiten, Studium und Sport miteinander zu verbinden: „Ich muss ja eh die Prüfung schaffen. Wo und wie ich dafür lerne, sollte nicht so wichtig sein.“

Bei der Ringerin, die schon bei den Olympischen Spielen in Rio für Deutschland auf der Matte stand, kommt noch ein zweites Problem hinzu: Sie ist Sportsoldatin. Soll heißen: Der Sport ist ihr Beruf, weil die Bundeswehr sie beschäftigt und fast komplett dafür freistellt – abgesehen von der vierwöchigen Grundausbildung und acht Pflichttagen pro Jahr. Die Bundeswehr erlaubt auch das Studium, aber nur unter der Bedingung, dass die Sportsoldaten nicht einen einzigen Lehrgang oder sonstige vom Bundestrainer angesetzte Maßnahmen wegen des Studiums verpassen. Das macht die Planung noch komplizierter.


Julika Funke: Säbelfechten

Julika Funke Julika Funke: Gute Tageseinteilung seit der Kindheit (Bild: Thilo Schmülgen/TH Köln)

Gleichwohl ist die Förderung durch die Bundeswehr sehr wertvoll in Sportarten, die wenig mediale Präsenz und entsprechend wenig Sponsoren haben. Genau deshalb ist auch Julika Funke Sportsoldatin. Sie ist Säbelfechterin, und wie ihr Fechtkollege Weckerle kam sie aus Baden-Württemberg nach Köln, um an unserer Hochschule studieren und zugleich in einem nationalen Leistungszentrum trainieren zu können. In ihrem Fall ist dieser Stützpunkt in Dormagen, und so pendelt die International-Business-Studentin ebenfalls viel zwischen dem Studienort in Köln und dem Trainingsort.

Gerade im zweiten Semester hat sie noch wenig Erfahrung mit der Koordination von Studium und Leistungssport, obwohl sie hier schon einiges aus der Schule mitbringt: Mit neun Jahren fing sie mit dem Fechten an, ein paar Jahre später stand schon vier- bis fünfmal die Woche Training auf dem Programm. „Jede Fahrt zum Training dauerte eine halbe Stunde. Man lernt durch den Sport früh, sich den Tag gut einzuteilen.“ Zumal es kein Training gab, wenn die Hausaufgaben nicht vorher gemacht waren. „Der Anfang an der Hochschule war echt hart“, räumt Julika Funke ein. Kein Wunder: Kaum hatte das erste Semester begonnen, standen die Military World Games in China an, als Sportsoldatin war das Pflichtprogramm. Dass man mit dem Fechten kein Geld verdienen kann und die Sportart zumindest in Deutschland nicht sehr populär ist, lässt sie relativ kalt. „Mir ist wichtig, dass es eine olympische Sportart ist. Wenn ich da mal auf der Planche stehen würde, das wäre cool!“ Realistische Chancen auf eine Olympiateilnahme hat die heute 19-Jährige für Paris 2024.


Jule Erdorf: Judo

Jule Erdorf Jule Erdorf: Umgang mit Siegen und Niederlagen lernen (Bild: Thilo Schmülgen/TH Köln)

So weit denkt Jule Erdorf noch gar nicht. Im Herbst 2019 hat die Judoka ihr Studium der Sozialen Arbeit aufgenommen, und „so richtig“ Leistungssport hat sie erst eineinhalb Jahre vorher begonnen. Das heißt zweimal am Tag trainieren, viele Lehrgänge und Turniere absolvieren. Ihr bislang größter Erfolg war der zweite Platz beim European Cup in Österreich 2019. Für dieses Jahr standen unter anderem die Deutsche Meisterschaft und die EM auf der Agenda, aber wegen eines Schlüsselbeinbruchs sind diese Pläne ins Wanken geraten.

„Wie gut das mit dem Studium klappt, weiß ich noch nicht, weil ich in der Schulzeit größtenteils noch gar nicht so intensiv trainiert habe. Aber ich will auf jeden Fall das Studium in Vollzeit durchziehen“, sagt die 19-Jährige. Die Entscheidung für das Studienfach jedenfalls, so viel ist nach wenigen Monaten klar, war richtig: „Ich wollte ursprünglich ins Lehramt, aber jetzt bin ich hier und unglaublich glücklich!“ Irgendwann wird sie vielleicht den Sport und den Beruf verbinden, etwa bei der Resozialisierung von Häftlingen: „Im Kampfsport lernst du Respekt vor dem Gegner und den Umgang mit Siegen und Niederlagen – das ist für jeden wertvoll.“


Cimberly Dreistein: Kugelstoßen

Cimberly Dreistein Cimberly Dreistein: Leistungsorientiert und selbstdiszipliniert (Bild: Thilo Schmülgen/TH Köln)

Ähnliche berufliche und auch sportliche Ziele verfolgt Cimberly Dreistein, die ebenfalls 2019 mit dem Studium der Sozialen Arbeit begonnen hat. „Erstmal international antreten“, heißt die Vorgabe für 2020, nachdem die 19 Jahre alte Kugelstoßerin die EM in ihrer Altersklasse im vergangenen Jahr um ganze drei Zentimeter verpasst hat. Aktuell liegt ihre Bestweite bei glatt 15 Metern, für eine Teilnahme bei der U20-Leichtathletik-WM in Kenia dieses Jahr hätte sie auf jeden Fall noch einen halben Meter draufpacken müssen (Die WM ist wegen der Corona-Epidemie verschoben). Das ist eine Menge, aber „es gibt bei mir noch viel Luft nach oben, bei Kraft und auch bei der Technik“.

An der Hochschule hat Cimberly Dreistein von Anfang an die gute Beratung gefallen. Auch die bevorzugte Wahl der Module hat ihr geholfen, Studien- und Trainingsplan miteinander in Einklang zu bringen. Die gebürtige Leverkusenerin kann in ihrer Heimatstadt optimal trainieren und hat es nicht allzu weit zum Campus Südstadt. Dennoch dürfte auch für sie der Tag gerne mal ein paar Stunden mehr haben, schließlich muss sie sich auch noch an der Supermarktkasse ein paar Euro dazuverdienen. Aber für sie wie für alle anderen Spitzensportlerinnen und -sportler gilt eben, was banal klingt und doch entscheidend ist: Leistungsorientierung, Selbstorganisation und die dafür notwendige Selbstdisziplin haben sie lange vorher schon gelernt.


Dominic Schüler: Lacrosse

Dominic Schüler Dominic Schüler (Bild: Thilo Schmülgen/TH Köln)

Etwas anders liegt der Fall nur bei Dominic Schüler, der erst mit Mitte 20 den Weg zum Leistungssport fand. Nach der Schule eine Lehre als Landschaftsgärtner, danach zum Rettungsdienst, wo er den Spruch „Wer rettet, der fettet“ kennenlernte. Woran auch immer das liegt, bei Schüler hat es gestimmt. Um dauerhaft von den 100 Kilo bei 1,84 Größe runterzukommen, war neben besserer Ernährung auch Sport gefragt. Ein schlichter Flyer gab den Anstoß dafür, dass er mit 24 Jahren eine ganz neue Sportkarriere im Lacrosse begann und innerhalb weniger Jahre zum Nationalspieler wurde. Lacrosse ist ein Mannschafts-Ballsport, bei dem die Spielerinnen und Spieler einen Hartgummiball mit einem Schläger, der gleichzeitig auch Fangnetz ist, passen und im gegnerischen Tor unterzubringen versuchen.

In dieser Sportart, die in Kanada als Nationalsport gilt, gibt es in Deutschland nur rund 50 Vereine und 3.000 Aktive, aber auch hier trainieren die Spitzenleute bis zu zehn Mal pro Woche. Entsprechend schwierig kann die Koordination mit dem Studium sein. „Darunter hat schon mal die eine oder andere Klausur gelitten. Aber dafür erlebt man einmalige Dinge, in meinem Fall waren es bis jetzt schon fünf internationale Turniere. Und es ist alles eine Frage des Zeitmanagements“, sagt Schüler, der in Köln Rettungsingenieurwesen studierte und jetzt gerade an seiner Masterarbeit sitzt. Mit inzwischen 32 Jahren peilte Dominic Schüler bei der EM dieses Jahr eine Medaille an. Die sollte eigentlich im Juli in Polen stattfinden. (Die EM wurde wegen der Corona-Epidemie abgesagt.) Zu der Zeit wollte Nina Hemmer in Tokio um eine olympische Medaille kämpfen. Tobias Weckerle, Jule Erdorf, Julika Funke und Cimberly Dreistein denken dann wahrscheinlich an Paris 2024.


Younes Zarraa: Boxen

Younes Zarraa Younes Zarraa: Profiliga statt Olympia (Bild: Thilo Schmülgen/TH Köln)

Younes Zarraa, den wir in einer früheren Ausgabe von Inside out schon vorgestellt haben, hat seinen Traum von Olympia 2020 bereits vor der offi ziellen Absage durch die Organisatoren begraben. Er hatte als Boxamateur schon große Erfolge, unter anderem als dreifacher deutscher Meister in seiner Gewichtsklasse bis 56 Kilo. Jetzt aber verfolgt der 23-Jährige neue Ziele: als Profi. Seine bislang fünf Profi kämpfe gewann er allesamt. Zarraa hat einen Vertrag mit einem Promoter in Karlsruhe, trainiert aber weiterhin in Köln, und er setzt auch sein Studium an unserer Hochschule fort, aktuell im sechsten Semester BWL. Der Bachelorabschluss ist also nicht mehr weit.

„Mein Management ermöglicht mir das“, sagt der junge Mann, der in einer ausgewiesenen Einzelsportart aktiv ist. Und doch betont er immer wieder die Bedeutung von Teamgeist. Das galt für seine Laufbahn in der Bundesliga, das gilt ganz besonders für das Studium. Natürlich helfen ihm Disziplin und Zielstrebigkeit, die er in seinem Sport gelernt hat. Aber vor allem helfen ihm Freunde, die notfalls verpassten Stoff mit ihm durchgehen: „Im Studium ist es wie beim Boxen: Man trainiert gemeinsam, aber im Ring und in der Klausur ist man dann alleine.“

Text: Werner Grosch

Juli 2020

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