Interview: Promovendin Sonja Stahn

Sonja Stahn ist seit Februar 2012 wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Fakultät für Angewandte Naturwissenschaften und promoviert an der Naturwissenschaftlichen Fakultät I – Biowissenschaften der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg.

Ihre Promotion wird an der Universität Halle-Wittenberg von Prof. Dr. rer. nat. Johannes-Peter Stasch betreut und an der TH Köln von Prof. Dr. rer. nat. Nicole Teusch. Ihr Thema: "Charakterisierung neuer Inhibitoren des Proteinase aktivierten Rezeptors (PAR) 2 als Ansatz für eine anti-metastatische Tumortherapie".

Promovendin Sonja Stahn Promovendin Sonja Stahn (Bild: privat)

Ich erforsche…
... Möglichkeiten, das Wachstum von Tumoren sowie deren Ausbreitung in anderes Gewebe zu verlangsamen. Dazu habe ich mich auf einen bestimmten Rezeptor konzentriert, der vermehrt auf Krebszellen vorhanden ist, zum Beispiel auf Brustkrebs- oder Lungenkrebszellen. Ein Rezeptor ist ein Protein, das sich in den meisten Fällen in der äußeren Membran einer Zelle befindet. Er kann durch bestimmte Faktoren wie Hormone aktiviert werden und gibt dann Signale an die Zelle und ihre Umgebung ab. Der Rezeptor in meiner Forschung ist der sogenannte Protease-aktivierte Rezeptor 2 (PAR2). Wird er aktiviert, gibt er den Tumorzellen das Signal, sich zu teilen, ihre Beweglichkeit zu steigern und proangiogene Mediatoren auszuschütten, die das Wachstum von Blutgefäßen in der Nähe des Tumors anregen. Dies hat zur Folge, dass der Tumor verstärkt wächst und Metastasen bilden kann. Zudem beeinflusst der Rezeptor, wie invasiv der Tumor ist, also wie gut er sich im restlichen Körper über Blut- oder Lymphgefäße verteilen und in andere bis dato gesunde Gewebe eindringen kann. In meiner Doktorarbeit habe ich einen Naturstoff analysiert, der den Protease-aktivierten Rezeptor 2 blockieren kann.

Um was für einen Naturstoff handelt es sich?
Der Naturstoff ist ein kleines chemisches Molekül, das aus einer Bakterienart isoliert wurde. Wenn PAR2 aktiviert wird, setzen Speicher in der Tumorzelle den Botenstoff Calcium frei. Der dadurch erhöhte Calcium-Spiegel in der Zelle kann mit einem Indikator-Testsystem gemessen werden.
An dieser Stelle wirkt der Naturstoff. Er unterdrückt die Freisetzung von Calcium in Brust- oder Lungenkrebszellen, die damit verbundene Signalweiterleitung wird gehemmt und die erhöhte Mobilität, beispielsweise einer Brustkrebszelle, unterdrückt. Dies geschieht zudem mit sehr hoher Wirkung. Es werden nur sehr geringe Mengen des Naturstoffs benötigt, um die beschriebene Wirkung zu erzielen. Zudem hat der Naturstoff den Vorteil, dass er spezifisch auf PAR2 wirkt und damit viel weniger stark auf andere Rezeptoren. Dies verringert potenzielle Nebenwirkungen.

Ist damit schon ein fertiges Medikament entstanden?
Bis meine Erkenntnisse in einem Medikament oder einer Therapie münden, braucht es noch viel Forschung und Tests. Einen entscheidenden Schritt dorthin habe ich aber bereits in Kooperation  mit dem Institut für organische Chemie der Universität zu Köln gemacht. Dort konnten Derivate des Naturstoffs chemisch synthetisiert werden. Die Grundstruktur der neuen Derivate entspricht der des Naturstoffs. Im Rahmen der chemischen Synthese wurden gezielt chemische Gruppen entfernt, angefügt oder ausgetauscht. So konnten mehrere hochwirksame neue Wirkstoffkandidaten identifiziert werden, die insgesamt stärker und noch spezifischer als der Naturstoff auf PAR2 wirken.

Daran zu forschen lohnt sich, weil …
... Tumorerkrankungen weltweit die zweithäufigste Todesursache sind. Bei Krebsneuerkrankungen stehen Tumore der Lunge bei Männern und der Brustdrüsenkrebs bei Frauen weltweit an vorderster Stelle. Vor allem im späten Stadium sind Brustdrüsenkrebs und Lungenkrebs nach wie vor schwer zu therapieren. Den Rezeptor PAR2 in seiner Funktion auf Tumorzellen zu unterdrücken, ist ein neuer, interessanter Ansatzpunkt für eine potenzielle Therapie gegen metastasierenden Krebs.

An meiner Arbeit fasziniert mich, …
... dass ich jeden Tag auf neue, hoch interessante Ergebnisse stoßen kann, mit denen ich nicht gerechnet habe – es gibt jeden Tag etwas Neues zu entdecken und es wird nie langweilig. Zudem mag ich die Herausforderung, immer neue Probleme und Fragestellungen zu lösen. Auch der Austausch und die Zusammenarbeit mit meinen motivierten Kolleginnen und Kollegen sowie den Studierenden und die Arbeit im jungen Team der Arbeitsgruppe Bio-Pharmazeutische Chemie von Frau Teusch gefällt mir sehr.

Interview: Christian Sander

Dezember 2015

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