Neues Graduiertenkolleg

Porträt Carolin Höfler (Bild: privat)

Die Philosophische Fakultät der Universität zu Köln hat gemeinsam mit der Kunsthochschule für Medien (KHM) und der TH Köln ein neues Graduiertenkolleg zum Verhältnis von Teilhabe und Ausschluss eingeworben. Unter dem Thema „Anschließen – Ausschließen. Kulturelle Praktiken jenseits globaler Vernetzung“ werden dort Praktiken und Verständnis globalisierter Netzwerkgesellschaften hinterfragt.

Das Graduiertenkolleg wird ab Oktober 2021 von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) mit rund 3,3 Millionen Euro und über einen Zeitraum von viereinhalb Jahren gefördert. Insgesamt elf Professorinnen und Professoren der drei beteiligten Hochschulen werden in der Einrichtung zusammenarbeiten. Hinzu kommen elf Promotionsstellen und eine Post-doc-Stelle. Prof. Dr. Carolin Höfler von der Köln International School of Design ist an dem Studien- und Forschungsprogramm beteiligt und erläutert im Interview die Aufgaben und die Bedeutung der neuen transdisziplinären Einrichtung.

Frau Prof. Dr. Höfler, was soll am neuen Graduiertenkolleg untersucht werden?

Zunächst freue ich mich sehr, dass ich an dem neuen Graduiertenkolleg partizipieren und die TH Köln in diesem Gemeinschaftsprojekt der drei Hochschulen vertreten darf. In der Einrichtung untersuchen wir Praktiken, die Verbindungen schaffen und Beteiligung ermöglichen und gleichzeitig Unterbrechungen und Ausschlüsse bewirken. In globalisierten Netzwerken gilt die Fähigkeit, sich Gruppen und Systemen anzuschließen und in ihren Logiken zu agieren, als wesentliche Voraussetzung von Teilhabe. Das Graduiertenkolleg interessiert sich für die „andere Seite“ medialer, gesellschaftlicher, wirtschaftlicher, politischer, wissenschaftlicher und kultureller Netzwerke. Es fragt nach den Reibungen, Konflikten und Brüchen, die mit den gängigen Praktiken des Vernetzens und Anschließens einhergehen, nach ihren Folgen für die betroffenen Akteurinnen und Akteure, aber auch nach ihren Potenzialen für die Gestaltung künftiger Lebenswelten.

Was wären Forschungsbeispiele?

Es könnte erforscht werden, welche Auswirkungen globale digitale Plattformen auf städtische Räume und räumliches Handeln haben, und welche Vermittlungs- und Verdrängungsprozesse sie anstoßen. Ferner ließe sich fragen, inwiefern eine vernetzte Kommunikation neue Möglichkeiten für das Entstehen politischer Öffentlichkeiten schafft. Versammlungen im öffentlichen Raum werden heute durch soziale Netzwerke koordiniert und gleichzeitig von digitalen Diskursen begleitet. Die Proteste in Hongkong, die Black-Lives-Matter-Bewegung oder die Demonstrationen in Belarus sind prominente Beispiele für das Zusammenspiel von Aktivitäten in digitalen Netzwerken und der Besetzung von öffentlichen Räumen. In den Fokus rücken hierbei jene Praktiken, durch die Konflikte und Ausschlüsse sichtbar werden und die zugleich alternative Formen von Öffentlichkeit und Teilhabe ermöglichen.

Welche Bedeutung hat der transdisziplinäre Ansatz?

Die Kooperation der drei Hochschulen und die Beteiligung unterschiedlicher Fächer wie Medienwissenschaft, Kunst- und Designwissenschaft, Ethnologie und kulturvergleichende Disziplinen sowie Literaturwissenschaft hilft dabei, alternative Dialogformen zu entwickeln, die neue Sichtweisen ermöglichen. Dieser Ansatz wird besonders im Rahmen der Promotionen zum Tragen kommen, die von den beteiligten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern der drei Hochschulen in Teams betreut werden. Um einen Kommunikationsprozess mit offenem Ausgang in Gang zu setzen, findet bereits im kommenden Sommersemester eine kooperative Lehrveranstaltung mit allen Professorinnen und Professoren des zukünftigen Graduiertenkollegs sowie mit Gästen und Studierenden der drei Hochschulen statt. Dabei wird es um potenzielle Forschungsthemen und Fragestellungen sowie theoretische und methodische Perspektiven des Graduiertenkollegs gehen.

Welche Programmangebote wird es neben der Betreuung von Promotionen geben?

Neben Kolloquien werden Workshops zu den vier geplanten Arbeitsbereichen „Vernetzung“, „Speicherung“, „Standardisierung“ und „Übersetzung“ organisiert. Außerdem finden fünf Summer Schools statt, von denen vier an einer außereuropäischen Partnerhochschule ausgerichtet werden. Auch wird es Lehrkooperationen zwischen den Hochschulen im Bereich der Masterstudiengänge geben. Besonders freue ich mich auf ein Ausstellungsprojekt, das in Köln konzipiert und umgesetzt wird. Dabei sollen städtische Räume untersucht werden, die durch das Aufeinandertreffen heterogener Netzwerke, Infrastrukturen, Akteurinnen und Akteure sowie Interessen gekennzeichnet und materiell wie diskursiv umkämpft sind. Im Zuge der geplanten Ausstellung erproben die jungen Forschenden zusammen mit Kunstschaffenden, Gestalterinnen und Gestaltern, experimentierenden Kollektiven und Kultureinrichtungen Wege zur gemeinsamen Gestaltung solcher Räume. Dieses Vorhaben knüpft an die thematischen Schwerpunkte der Forschungsstelle „Echtzeitstadt | Real-Time City“ an, in deren Rahmen ich eine Forschungskooperation mit der Stadt Köln unterhalte.

Was ist das Ziel des Graduiertenkollegs?

Ziel des Graduiertenkollegs ist es, Fragen der Macht, der Teilhabe, der Selbst- und Fremdbestimmung sowie der Wahrnehmung und Gestaltung von Welt in einer globalen digitalen Gegenwart zu stellen. Entwickelt werden soll eine transdisziplinäre Methodik zum Verhältnis von Beteiligung und Ausschluss, um kulturelle und mediale Praktiken, digitale Öffentlichkeiten, hybride Räume und gesellschaftliche Transformationsprozesse jenseits globaler Vernetzung zu erforschen und ihre Potenziale auszuloten. 

Und welchen Beitrag kann die Designwissenschaft hierzu leisten?

Der Designwissenschaft bietet sich die Möglichkeit, normative Gestaltungspraktiken und Gesellschaftsbilder in Design und Architektur kritisch zu reflektieren und zu befragen. In welcher Weise sind gestalterische Praktiken und Praxen in das Gefüge vorherrschender Machtverhältnisse eingebettet und inwieweit reproduzieren oder produzieren sie Ausschlüsse? Wie lassen sich stereotype Zuschreibungen und Privilegien im Design erkennen und verändern? Wie können Ansätze für eine Gestaltung zukünftiger Lebenswelten entwickelt werden, ohne dabei Gefahr zu laufen, abwertende Konstruktionen von „race“, Klasse, Geschlecht und Befähigung zu bestätigen? Im Horizont solcher Fragen und im transdisziplinären Zusammenschluss soll Designerinnen und Designern die Fähigkeit mitgegeben werden, das eigene Forschen und Handeln zu hinterfragen und zugleich neue Zugänge und Praktiken zu etablieren.

Januar 2021

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