Prof. Dr. Eberhard Waffenschmidt

Institut für Elektrische Energietechnik (IET)

  • Telefon+49 221-8275-2020

Modellregion Ahrtal: Der Wiederaufbau als Chance für erneuerbare Energien

Nach der Flutkatastrophe im Juli 2021 muss die Infrastruktur im Ahrtal vielerorts komplett erneuert werden. Der Wiederaufbau könnte für den Ausbau erneuerbarer Energien nun eine große Chance bieten, wie Wissenschaftler im Impulskonzept „Aus Ahrtal wird SolAHRtal“ schreiben. Daran beteiligt ist auch Prof. Dr. Eberhard Waffenschmidt vom Institut für Elektrische Energietechnik (IET).

Mann Prof. Dr. Eberhard Waffenschmidt (Bild: privat)

Prof. Waffenschmidt, worum geht in dem Impulskonzept?

Bei der Flutkatastrophe im vergangenen Sommer wurde im Ahrtal und in den angrenzenden Regionen wichtige Energieinfrastruktur wie das Gasnetz teilweise komplett zerstört. Angesichts dieser drastischen Auswirkungen der weltweiten Klimakatastrophe gehen wir in unserem Impulskonzept der Frage nach, wie die regionale Energieversorgung im Kreis Ahrweiler nachhaltig und zukunftsfähig neu aufgestellt beziehungsweise umgestaltet werden kann. Dabei sollen die alten fossilen Strukturen möglichst nicht wiederaufgebaut werden, sondern die Region soll konsequent auf eine Versorgung mit 100 Prozent erneuerbaren Energien ausgerichtet werden. Ein solcher Kurswechsel bietet große Chancen nicht nur für die von der Flut betroffenen Gebiete, sondern für den gesamten Kreis und die Region des Ahrtals, die dadurch als Modellregion bundesweit zu einem Vorbild für die Energiewende werden können. Wenn jetzt die richtigen Weichen gestellt werden, könnte das Ziel 100 Prozent erneuerbare Energien im Ahrtal schon 2027 erreicht werden.

Welche nachhaltigen Energiequellen sollten künftig zum Einsatz kommen?

Der Wiederaufbau sollte ganzheitlich betrachtet werden. Nicht nur die Stromversorgung muss in den Blick genommen werden, sondern auch Wärmeversorgung und Mobilität. Konkret wollen wir mit Photovoltaik und Windkraft eine regenative Stromversorgung aufbauen und fossile Heizungen durch alternative Technologien ersetzen. Das heißt: Wärmenetze statt Erdgas- und Erdölanlagen – und in den Siedlungen, wo ein Anschluss ans Wärmenetz nicht möglich ist, können Wärmepumpen und Solarthermie zum Einsatz kommen. Wir haben darüber hinaus auch untersucht, ob Tiefengeothermie, also Erdwärme aus der Tiefe, möglich wäre – das ist aber leider nicht der Fall. Und schließlich zur Mobilität: Hier sollen der öffentliche Nahverkehr in der Region ausgebaut werden. Für den individuellen Verkehr bietet sich Elektromobilität an – dazu soll eine entsprechende Ladeinfrastruktur mit öffentlichen und privaten Ladepunkten geplant und realisiert werden.

Welche Herausforderungen gibt es dabei?

Rein technisch sind diese nachhaltigen Lösungen umsetzbar. Allerdings müssten deutlich mehr Solaranlagen gebaut werden, als das in den vergangenen Jahren der Fall war. Zudem bedarf es entsprechender Speichertechnologien. Bei der Wärmenutzung müssten theoretisch auch bestehende und funktionierende beziehungsweise inzwischen wieder errichtete Heizungen durch nachhaltige Heizsysteme ersetzt werden. Das kann man von der Bevölkerung vor Ort natürlich nicht ohne Weiteres verlangen, hier müssen Anreize von der Politik geschaffen werden, diese funktionierenden Lösungen auszutauschen. Ganz grundsätzlich muss die Bevölkerung frühzeitig in Planungsprozesse involviert werden. Es ist sehr wichtig, dass wir alle Menschen mitnehmen.

Welche Vorteile bietet die Umstellung auf 100 Prozent erneuerbare Energien?

In erster Linie hilft sie Klima und Biodiversität. Das Verbrennen von Öl zum Beispiel ist immer klimaschädlich. Zudem kann ausgelaufenes Öl, wie die Flutkatastrophe gezeigt hat, massiv zu einer Umweltverschmutzung beitragen. Erneuerbare Energien dagegen leisten einen aktiven Beitrag zum Klimaschutz. Sie bringen darüber hinaus aber auch weitere Vorteile mit sich: Zum Beispiel könnten so genannte Erosionsschutz-Solaranlagen an Hangflächen den Wasserabfluss reduzieren und somit auch den vorsorgenden Hochwasserschutz stärken. Und nicht zuletzt gibt es für Bürgerinnen und Bürger auch finanzielle Vorteile: Bei einem Nahwärmenetz, das mit erneuerbaren Energiequellen läuft, kann man auf jeden Fall eine sehr gute Preisprognose für die Zukunft machen. Für Erneuerbare-Energien-Anlagen gibt es in der Regel nur die Anfangsinvestition und Reparaturen als Kostenfaktoren – Brennstoffkosten entfallen, Wind und Sonne sind kostenlos.

Wie geht es jetzt weiter?

Der Kreis- und Umweltausschuss des Landkreises Neuenahr-Ahrweiler hat ein Projekt – so wie in unserem Konzeptpapier beschrieben – bereits beschlossen. Das heißt es gibt einen Beschluss mit dem Ziel, das Gebiet mit erneuerbaren Energien zu versorgen. Gemeinsam mit Politikerinnen und Politikern aus dem Kreis sowie Mitarbeitenden aus der Kreisverwaltung, der Energieagentur Rheinland-Pfalz und betroffenen Institutionen aus dem Ahrtal arbeiten wir nun daran, unsere Bestrebungen in einem konkreten und förderfähigen Projekt zu definieren. Darüber hinaus ist auch die Gründung einer Innovationsgesellschaft geplant, welche die ganze Region entwickeln soll. Meine persönliche Hoffnung ist, dass es am Ende nicht bei einem einzelnen Projekt „SolAHRtal“ bleibt, sondern es viele kleinere und koordinierte Vorhaben geben wird – ich denke, so könnte die Region nachhaltig und zukunftsfähig ausgebaut werden.

Der wesentliche Initiator der Idee „Ahrtal wird SolAHRtal“ ist Rainer Döhmen, Mitgründer des „Runden Tisch Erneuerbare Energien“ und Vorstandsmitglied im Solarenergie-Förderverein Deutschland. Das wissenschaftliche Konzept wurde unter Beteiligung von Prof. Dr. Waffenschmidt, Prof. Dr. Urban Weber von der Technischen Hochschule Bingen, Dr. Jens Clausen von der Borderstep Institut für Innovation und Nachhaltigkeit gGmbH, Prof. Mario Tvrtković von der Hochschule Coburg und Prof. Dr. Frank Hergert von der Hochschule Koblenz – alle Mitglieder bei Scientists for Future – verfasst.

Februar 2022

Prof. Dr. Eberhard Waffenschmidt

Institut für Elektrische Energietechnik (IET)

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