Gebärden lernen mit der Maus und dem Gorilla

Für Kinder mit einer schweren geistigen Behinderung, die hören, aber nicht oder noch nicht sprechen können, sind einfache Gebärden eine große Hilfe auf dem Weg zur Lautsprache. Meike Hein stellte fest: Es fehlt an geeigneten Lernmaterialien. Daher nutzte sie ihre Abschlussarbeit für den Masterstudiengang Handlungsorientierte Medienpädagogik, um eigene Lernvideos zu entwickeln.

Illustration Paul Maar: „Die Maus, die hat Geburtstag heut“ Illustration Paul Maar: „Die Maus, die hat Geburtstag heut“ (Bild: Verlag Friedrich Oetinger, Hamburg 1997/Video: Meike Hein)

„Für Kinder mit einer geistigen Behinderung sind Gebärden ein wichtiger Schritt dahin, sich mitteilen und am sozialen Leben teilhaben zu können. Es handelt sich dabei nicht um die vollständige Deutsche Gebärdensprache, wie sie Gehörlose verwenden, sondern um einfache Zeichen ohne Grammatik – man spricht dabei auch von gebärdenunterstützter Kommunikation“, erklärt Hein. Während ihrer Arbeit in der Beratungsstelle für Unterstützte Kommunikation und Assistive Technologien in Bad Kreuznach macht sie die Erfahrung, dass das Lernen für die Kinder aufgrund ihres Alters und ihrer Behinderung eine Herausforderung ist. Wörterbücher und Vokabelkarten sind zu statisch, um die dynamischen Gesten zu vermitteln; Videos, in denen ausschließlich Gebärden vorgemacht werden ohne eine Geschichte zu erzählen, erhalten nicht lang genug die Aufmerksamkeit.

Paul Maar: Die Maus, die hat Geburtstag heut - mit Gebärden

Mit freundlicher Genehmigung von Paul Maar. METACOM Symbole © Annette Kitzinger

Hein entschied sich daher für einen spielerischen Ansatz. Vor einem Green Screen in der Medienwerkstatt des Instituts für Medienforschung und Medienpädagogik erzählte sie verschiedene Kindergeschichten und machte Gebärden vor, die zur Handlung passen. Im Hintergrund wurden die Bilder aus den Geschichten Die kleine Raupe Nimmersatt von Eric Carle, Gute Nacht, Gorilla! von Peggy Rathmann und Die Maus, die hat Geburtstag heut von Paul Maar eingeblendet. Neben alltagstauglichen Gesten wie „Apfel“, „essen“ oder „Baum“ vermittelte Hein auch Beziehungsbegriffe wie „Gute Nacht“ oder „Schatz“.

Illustration Paul Maar: „Die Maus, die hat Geburtstag heut“ Illustration Paul Maar: „Die Maus, die hat Geburtstag heut“ (Bild: Verlag Friedrich Oetinger, Hamburg 1997/Video: Meike Hein)

„Drei Familien haben die Videos vier Wochen lang regelmäßig zusammen angeschaut. Ich habe sie dabei beobachtet und die Eltern interviewt“, erläutert Hein ihren Ansatz. Um zu untersuchen, wie gut die Videos von den Kindern angenommen werden, nutzte sie die Leuvener Engagiertheitsskala (LES-K). Anhand von Beobachtungskriterien wie Blickrichtung, Körperhaltung oder verbalen Äußerungen beschreibt die fünfstufige Skala, wie stark Kinder an dem mediengestützten Angebot teilnehmen. „Die Aufmerksamkeit der Kinder hatte einen Mittelwert von 4,25 – ein insgesamt gutes Engagement“, so Hein.

Die Interviews bestätigten die Beobachtungen: „Die Eltern waren überrascht, wie gut ihre Kinder auf die Videos reagiert haben. Schon während des Anschauens haben sie einzelne Gebärden nachgemacht, Kommunikationsprozesse wurden angeregt. Auch Geschwister oder die Großeltern konnten in das spielerische Lernen eingebunden werden“, berichtet Hein.

„Digitale Medien und speziell Videos sind offenbar gut geeignet, um Kinder mit schwierigen Lernvoraussetzungen in ihrer Entwicklung zu unterstützen. Das funktioniert besonders gut, wenn die Videos in einen authentischen, spielerischen und kindgerechten Kontext eingebettet sind“, zieht Prof. Dr. Isabel Zorn, die die Untersuchung fachlich begleitete, Bilanz. Die Masterthesis wurde als eine der besten Abschlussarbeiten des Jahrgangs an der Fakultät für Angewandte Sozialwissenschaften ausgezeichnet. Die Videos will Hein künftig – das Einverständnis der Verlage vorausgesetzt – bei ihrer Arbeit in der Beratungsstelle der Kreuznacher Diakonie einsetzen. Für "Die Maus, die hat Geburtstag heut'" von Paul Maar und für "Gute Nacht, Gorilla!" von Peggy Rathmann hat Hein bereits die Erlaubnis dazu erhalten und darf diese Videos zudem öffentlich machen. Auch ein Forschungsprojekt unter Leitung von Prof. Dr. Isabel Zorn ist angedacht, um Lizenzen zur Veröffentlichung anzukaufen, und gemeinsam mit interessierten Verlagen weitere Videos zu produzieren und zu evaluieren.

Eric Carle: Die kleine Raupe Nimmersatt – mit Gebärden

© 1969 Eric Carle mit freundlicher Genehmigung von den Verlagen Penguin Random House und Gerstenberg

Masterarbeit „Eine qualitative Studie über den Einsatz von audiovisuellen Lernangeboten auf dem Tablet zum Erlernen von Gebärden bei Kindern mit kognitiven und kommunikativen Beeinträchtigungen und deren Eltern“
Weiterbildungsstudiengang Handlungsorientierte Medienpädagogik der TH Köln und der Donau-Universiät Krems.
Eingereicht an der Fakultät für Bildung, Kunst und Architektur der Donau-Universität Krems
Betreuerin: Prof. Dr. Isabel Zorn, Institut für Medienforschung und Medienpädagogik der Fakultät für Angewandte Sozialwissenschaften der TH Köln

November 2020

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