Prof. Dr. Carsten Knaut

Schmalenbach Institut für Wirtschaftswissenschaften (WI)

  • Telefon+49 221-8275-5259

Herausforderung Fachkräftemangel

In vielen Branchen werden händeringend Mitarbeitende gesucht. Doch oft bleiben die Stellen unbesetzt, weil es an qualifiziertem Personal mangelt. Prof. Dr. Carsten Knaut vom Schmalenbach Institut für Wirtschaftswissenschaften spricht im Interview über die Ursachen und Folgen des Fachkräftemangels und erklärt die Rolle der Digitalisierung.

Porträt Prof. Dr. Carsten Knaut (Bild: privat)

Prof. Knaut, welche Branchen sind besonders vom Fachkräftemangel betroffen?

Eine der am stärksten betroffenen Branchen ist die Pflege, wo bereits heute über 370.000 Fachkräfte fehlen und nach Schätzungen des Institutes der deutschen Wirtschaft bis 2035 circa eine halbe Million Fachkräfte fehlen werden.

Des Weiteren leidet das Handwerk unter dem Fachkräftemangel: In Schreiner-, Dachdecker-, Installateur-, Fliesenverlegungs-, Rolladenbau-, Trockenbau und Maurerbetrieben sind laut einer Studie des Kompetenzzentrums Fachkräftesicherung (KOFA) am Institut der deutschen Wirtschaft (IW) circa 60.000 Stellen unbesetzt.

Was sind die Gründe für den Mangel?

Eine grundsätzliche Ursache ist der demografische Wandel. Weitere Gründe können unterschiedlicher Natur sein: Die Attraktivität des Berufsbildes und Faktoren wie Gehalt, Arbeitszeiten, körperliche Belastung, Anerkennung in der Gesellschaft oder das Sinnerleben sind von Bedeutung. Diese Faktoren spielen in der Pflege und im Handwerk eine wichtige Rolle.

Viele Unternehmen beklagen zudem, dass Bewerberinnen und Bewerber aus den Bereichen Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik (MINT) nicht gut ausgebildet seien.

Welche Rolle spielt die Digitalisierung dabei?

Die Digitalisierung betrifft alle Bereiche der Arbeitswelt. Dies setzt Wissen, Fähigkeiten und Fertigkeiten voraus, die in vielen Ausbildungsberufen und auch an Hochschulen noch nicht in dem Umfang vermittelt werden, wie es die berufliche Praxis heute bereits erfordert.

Maschinelles Lernen ermöglicht zum Beispiel die Entwicklung flexibler Schichtpläne. Flexible Schichtpläne wiederrum können Pflegeberufe attraktiver machen. Um Pflegeberufe attraktiver zu machen, muss man sich also unter anderem mit maschinellem Lernen auseinandersetzen.Virtual und Augmented Reality ermöglichen es zudem, neue Möbelstücke in den eigenen vier Wänden zu simulieren. Shops im Internet bieten diese Funktion bereits an. Ein kleines Möbelunternehmen muss sich auf einmal mit digitalen Tools beschäftigen, um mit den Online-Shops mithalten zu können.

In der Industrie werden komplexe Produktionsprozesse zunehmend automatisiert. Qualitätssicherung- und Dokumentation erfolgt nicht mehr manuell und auf Papier, sondern mit Hilfe von Sensoren und maschinellem Lernen. Die Kolleginnen und Kollegen an der Produktionslinie müssen nun Tablets bedienen und Sensoren kalibrieren oder sogar programmieren können.

Welche Folgen entstehen durch den Mangel?

Positiv ist diese Entwicklung für gut ausgebildete Arbeitnehmerinnen und -nehmer, denn sie sind gefragt und haben eine sehr gute Verhandlungsposition.

Die negativen wirtschaftlichen und gesamtgesellschaftlichen Folgen sind in der Pflege gerade für jeden beobachtbar: Wir haben mehr medizinische und technische Ausstattung als Menschen, die Patientinnen und Patienten versorgen können. Gäbe es den Fachkräftemangel in der Pflege nicht, könnte mehr Menschen das Leben gerettet werden.

Im Vergleich dazu wirken die rein wirtschaftlichen Konsequenzen im ersten Moment harmlos: Eine Schreinerei kann beispielsweise Aufträge nicht annehmen, weil sie zu wenig Mitarbeitende hat. Die langfristigen Folgen sind jedoch leider nicht weniger fatal: Der Fachkräftemangel gefährdet unser aller Wohlstand.

Wie lässt sich dem entgegenwirken?

Mit Zuwanderung von Fachkräften, signifikanten Investitionen zur Steigerung der Attraktivität der Berufsbilder mit dem größten Mangel und fairer Bezahlung. Arbeitszeiten müssen auch dann familienfreundlich sein, wenn Homeoffice nicht möglich ist und dafür braucht es entsprechend gute Personaldecken. Außerdem braucht es attraktive Aus- und Weiterbildungsmöglichkeiten sowie eine frühe Integration wichtiger Schlüsselqualifikationen in die schulische Lehre.

Die Notwendigkeit all dieser Maßnahmen wurde von Politik und Wirtschaft bereits vor langer Zeit erkannt. Aber die Umsetzung ist hochkomplex und erfordert ein ständiges Austarieren verschiedener Interessen, das Ausprobieren von Maßnahmen und das Lernen aus dem Zusammenspiel der wirkenden Kräfte.

Januar 2022

Prof. Dr. Carsten Knaut

Schmalenbach Institut für Wirtschaftswissenschaften (WI)

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