FREI-Projekt
Mit dem Projekt FREI (Fernsteuerung von realen Experimenten über das Internet ) kann fakultätsübergreifend ein breiteres Lehrangebot an Praktika geschaffen werden. Dabei wird das klassische Praktikum lediglich ergänzt und nicht ersetzt: Neben den von Studierenden im Labor selbst durchgeführten Versuchen werden verschiedene Versuche via Internet durchgeführt.
(Bild: Ait Tahar)Dr. Ait Tahar Ausgangsfrage lautete: Wie können wir bei zunehmenden Studierendenzahlen die Qualität und Anzahl der Praktika im Studium beibehalten oder ausbauen?
Den Studierenden gefiel besonders gut, dass das FREI-Projekt große Freiheiten in der Gestaltung des Lernprozesses lässt. Sie können sich ihre Zeit frei einteilen und Versuche so oft wie nötig wiederholen. Damit passen sie ihr Lerntempo den persönlichen Bedürfnissen an.
Motivation
Die konventionellen Praktika an den deutschen Hochschulen stoßen durch den Bologna-Prozess, der eine Internationalisierung der Studiengänge und somit eine Verkürzung der Regelstudienzeiten ausgelöst hat und durch die Umstellung der gymnasialen Oberstufe von G9 auf G8, an Kapazitäts- und Qualitätsgrenzen.
Müssen wegen der zunehmenden Studierendenzahlen Versuche gestrichen werden, bedeutet das eine drastische Kürzung der anwendungsbezogenen Lehre, wie z.B. in der Physik, die ein wichtiges Fach in den Hochschulen für angewandte Wissenschaften ist.
Da das Lernen durch Experimentieren ein wesentliches Element in den Natur- und Ingenieurwissenschaften ist, sah ich die Notwendigkeit, nach Lösungen unter Nutzung heutiger multimedialer Möglichkeiten zu suchen.
Hierzu wurde das FREI-Projekt entwickelt. Die Abkürzung „FREI“ steht für „Fernsteuerung von realen Experimenten über das Internet“ und ist ein Hochschulprojekt der TH Köln in Zusammenarbeit mit dem Institut für Physik und ihre Didaktik der Universität zu Köln.
Es bietet den Studierenden fakultätsübergreifend die Möglichkeit, reale Laborversuche über das Internet ferngesteuert durchzuführen, wodurch ein breiteres Lehrangebot an Praktika geschaffen werden kann.
Das FREI-Projekt soll das klassische Praktikum lediglich ergänzen und nicht ersetzen: Neben den von den Studierenden im Labor selbst durchgeführten Versuchen werden zusätzlich Versuche via Internet durchgeführt. Bei den Versuchen via Internet handelt es sich nicht um Simulationen, sondern um reale Experimente, wie sie auch im Labor durchgeführt werden, nur dass die Hände der Studierenden durch rechnergesteuerte Aktoren und die Augen durch eine Kamera ersetzt werden.
Wie gestaltete sich das weitere Vorgehen?
Im Rahmen dieses Projektes wurde mit Hilfe eines studentischen FREI-Teams ein E-Learning-Portal zur Fernsteuerung von Laborversuchen erstellt, welches Studierenden der TH Köln und in naher Zukunft auch anderen Hochschulen und Schulen ermöglichen soll, Versuche über ein Onlineportal zu steuern.
Am Institut für Physik wurden bereits sechs Versuche realisiert. Sie sind seit vier Semestern erfolgreich in der Lehre etabliert und stoßen auf ein positives Feedback der Studierenden und Lehrenden, wie es sich in der begleitenden Evaluation des Projektes zeigt.
Die FREI-Technologie kann nicht nur in der Physik sondern auch in anderen Modulen angewendet werden. So wurde ebenfalls mit Hilfe des FREI-Teams am Institut für Regelungstechnik und Mechatronik ein Wasserstandregelkreis-Versuch und ein weiterer Versuch zur Schadensdiagnose an Zahnrädern und Kugellagern am Institut für Landmaschinentechnik und Regenerative Energien realisiert.
Das FREI-Projekt der TH Köln verfolgt ein einheitliches technisches Konzept der Hardware und Software, damit die Reproduzierbarkeit der Versuche so einfach wie möglich ist. Die Standardisierung der FREI-Versuche ist einer der entscheidenden Erfolgsfaktoren für die schnelle Umsetzung des FREI-Konzepts.
Das FREI-Projekt wurde in enger Anlehnung an das traditionelle Praktikum entwickelt, so dass beide Lernformen eine identische Zielsetzung und eine ähnliche Konzeption aufweisen. Bei der Entwicklung der FREI-Versuche wurden einige Anforderungen gestellt:
1. Die Bedienung des Versuchs sollte für Nutzer*innen möglichst authentisch und transparent sein.
2. Der Zugriff sollte leicht möglich und die Bedienung intuitiv sein.
3. Die Beobachtung / bzw. die Messergebnisse sollten möglichst schnell verfügbar sein.
4. Darüber hinaus sollten Benutzer*innen alle benötigten Informationen zum Versuch erhalten.
Einsatz von FREI in der Lehre
In einem eigens entwickelten Buchungssystem können sich die Studierenden anmelden und ein Zeitfenster für das gewünschte Experiment reservieren. Von zu Hause aus starten sie das Experiment, stellen die gewünschten Parameter (z.B. Spannung oder Strom)ein und können nicht nur die Ergebnisse elektronisch auslesen und speichern, sondern das Geschehen auch per Web-Cam live verfolgen.
Mit der internetbasierten Versuchsdurchführung ist das Praktikum jedoch nicht abgeschlossen. Im Sinne einer flipped classroom strategy müssen die Studierenden ihre Ergebnisse vor der Gruppe in sogenannten invertierten Praktikumsterminen präsentieren. Zu jedem FREI-Versuch gehört auch ein Präsenztermin, der fest im Praktikumsplan verankert und den Studierenden schon zu Beginn des Semesters bekannt ist.
Diesen Präsenz- oder Berichtstermin könnte man als invertierten Praktikumstermin (flipped lab) auffassen. Dieser Präsenztermin, der wie ein klassischer Praktikumstermin von Dozent und Tutoren betreut wird, ist von folgenden Merkmalen geprägt:
1. Studierende präsentieren ihre Messergebnisse vor der Gruppe.
2. Messergebnisse, insbesondere die Fehlerrechnung der einzelnen Gruppen, werden untereinander verglichen.
3. Studierende sehen ihre Ergebnisse erstmals im Vergleich zu anderen und können ihre Leistungen nun besser einordnen.
4. Studierende müssen sich kritischen Fragen stellen und ihre Ergebnisse verteidigen.
5. Studierende stehen in einer Wettbewerbssituation mit anderen Gruppen. Es besteht die Möglichkeit, eine Selbsteinschätzung durch die Gruppe vorzunehmen.
Die Erfahrung hat gezeigt, dass für diese wichtigen Elemente im klassischen Praktikum oft die Zeit fehlt.
Und was geschah noch?
Im Rahmen meiner Dissertation habe ich eine Lernzuwachsstudie durchgeführt. Darin wurde die Frage geklärt, ob die Art der Versuchsdurchführung und Auswertung einen Einfluss auf den Lernzuwachs der Studierenden hat.
Um die Lernwirksamkeit zu untersuchen wurde im Rahmen dieser Studie eine Studierenden-gruppe zufällig in zwei Untergruppen aufgeteilt. Eine Gruppe führte die Praktikumsversuche über das FREI-System durch, die andere absolvierte die Versuche vor Ort am Institut für Physik.
Die Ergebnisse der Studie zeigen, dass der Lernzuwachs der beiden Gruppen nahezu als gleich anzuerkennen ist und somit die Art der Praktikumsdurchführung, online über FREI oder vor Ort als Präsenzversuch, keinen Einfluss auf den Lernerfolg der Studierenden hat.
Die Evaluation der letzten vier Semester zeigten, dass das FREI-Projekt sehr positiv von den Studierenden angenommen wurde und durchaus der Wunsch besteht, weitere Versuche im Zuge dieser neuen Lehrform durchzuführen. Die FREI-Technologie hat sich als optimale Lösung für Qualitäts- und Kapazitätsfragen etabliert und sollte weiterentwickelt und zusätzlich in anderen Fakultäten eingesetzt werden.
Vorteile des FREI Projektes
- Die Anzahl der Experimente muss aufgrund steigender Studierendenzahlen oder verminderter Semesterwochenzahl nicht reduziert werden.
- Es können mehr Versuche durchgeführt werden. Die fachliche Breite steigt.
- Die Betreuung der Studierenden wird durch zusätzliche Seminartermine intensiviert.
- Die Studierenden erwerben zusätzlich Kompetenzen bei der Präsentation der Ergebnisse im Bereich Diskussion, Analyse von Fehlern etc.
- Die Studierenden genießen freie Zeiteinteilung bei der Durchführung und auch bei einer evtl. nötigen Wiederholung des Versuchs. Sie können das Lerntempo ihren persönlichen Bedürfnissen anpassen.
- Der Versuchsaufbau ist besser ausgelastet, da der Versuch auch von Lernenden anderer Hochschulen und Schulen durchgeführt werden kann.
Ausblick
Mittelfristig soll das Projekt FREI auch auf Versuche mit Gefahrenpotential, z.B. Radioaktivität oder auch in der Chemie ausgeweitet werden. Da diese Versuche oft einen erheblichen Aufwand und Kosten verursachen, können sie in geeigneten Institutionen, die die notwendigen Räumlichkeiten haben, durchgeführt und durch FREI anderen zugänglich gemacht werden. Die technische Ausstattung kann vom FREI Team der TH Köln bereitgestellt werden.
Fazit
Durch das Projekt FREI wird der praxisorientierte Ansatz der TH Köln gestärkt, da der erwünscht hohe Anteil der Praktika am Studium auch in Zeiten hoher Studierendenzahlen aufrechterhalten werden kann. Darüber hinaus ermöglicht die Einführung von FREI mit der Kombination von Seminarterminen einen im Land NRW neuen Ansatz zum Aufbau von kompetenzorientierten Praktika, passend zu den im Projekt ProfiL2 formulierten Ziele. Durch Einführung von FREI an der TH Köln ergeben sich neue Möglichkeiten der Zusammenarbeit mit anderen Hochschulen, Schulen oder Institutionen.
Weiterführende Quellen
M. Ait Tahar: „Fernsteuerung von realen Experimenten über das Internet – das FREI-Projekt
an der Technischen Hochschule Köln“, Dissertation Uni Köln 2015
J. Stollenwerk: „Antrag auf Förderung nach Profil2 im Rahmen des Qualitätspakts“,
Köln, 3 f. 04.10.2013
A. Göhrich, J. Görres: „Ferngesteuertes realen Experiment über das Internet am Beispiel
des Pohlschen Rades“ Köln: Fachhochschule Köln, 05/2014
P. Damjanov, S. Lichte, A. Tjaden: „Evaluierung und Beurteilung neuer Lehrformen an
der Fachhochschule Köln“ Köln: Fachhochschule Köln, 05/2014
A. Klein: „Entwicklung eines über das Internet durchführbaren, real existierenden Praktikumsversuchs zur Untersuchung elektrischer Schwingkreis unter Verwendung von Lab-
VIEW, HTML5 und JavaScript“ Köln: Fachhochschule Köln, 08/2014
S. Chaaraoui: „Auslegung und Integration eines dynamisch fernsteuerbaren Prüfstandes
für das E-learning-Portal „FREI“ der Fachhochschule Köln am Beispiel einer Füllstandsregelung“ Köln: Fachhochschule Köln, 09/2014
L. Reuver, B. Ukur, S. Mwaniki, F. Furmuli: Lernzuwachsstudie „Ein Vergleich zwischen
ferngesteuerter und realer Versuchsdurchführung mit Messung des Lernzuwachses“
Köln: Fachhochschule Köln, 12/2014
D. Klemecki: „Konzeption und Realisierung einer Datenbank mit Buchungssystem im
Rahmen des „FREI“ Projektes“ Köln: Fachhochschule Köln, 12/2014
M. Hupperich, J. Kitscher, L. Rath, J. Lapp, M. Stratomeier: „Weltweite Recherche
zu ferngesteuerten Versuchen und Evaluation des FREI-Projekt“ Köln: Fachhochschule
Köln, 01/2015
A. Klosterhalfen, B. Asla, C. Holzheier, V. Jakubi: „Mechanische gedämpfte Schwingung
als FREI-Versuch mit weltweiter RCL-Recherche“ Köln: Fachhochschule Köln,
01/2015
September 2017