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Annika Spahn

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Diversität und Inklusion geraten aus dem Blick

Interview mit Annika Spahn, wissenschaftliche Mitarbeiterin im hochschulweiten Projekt „Gender als Handlungskompetenz und transdisziplinäre Analyseperspektive – Soziale Innovation in Studium und Lehre“.

Annika Spahn Annika Spahn (Bild: TH Köln)

Trotz des großen Engagements aller Beteiligten bei der Umsetzung der digitalen Lehre macht das rasante Tempo es gerade schwer, alle Aspekte guter Lehre gleichermaßen im Blick zu haben. In ihren Leitlinien hat sich die TH Köln unter anderem zum Ziel gesetzt, die Digitalisierung für eine verstärkt inklusive, diversitätsgerechte Gestaltung von Bildung zu nutzen. Welche Schwierigkeiten hier gerade entstehen nennt Annika Spahn, wissenschaftliche Mitarbeiterin im hochschulweiten Projekt „Gender als Handlungskompetenz und transdisziplinäre Analyseperspektive – Soziale Innovation in Studium und Lehre“.

Fällt durch den hohen Zeitdruck Geschlechtergerechtigkeit, Diversität und Inklusion gerade unter den Tisch?
Grundsätzlich bin ich beeindruckt, wie engagiert und kreativ Lehrende in kurzer Zeit versuchen, ihre Veranstaltungen komplett in digitale Formate zu übersetzen. Doch die geschlechter- und diversitätsgerechte Gestaltung dieser digitalen Lehre rutscht dabei auf der Prioritätenliste nach hinten. 

Welche Gruppen sind denn dadurch besonders betroffen?
In der breiteren öffentlichen Diskussion ist derzeit viel von „Risikogruppen“ die Rede. Mit diesem Begriff werden medizinisch-epidemiologische Forschungsbefunde von einer fachfremden Öffentlichkeit aufgegriffen. Geschlechterforschung als transdiziplinäres Forschungsfeld kann hier weitere, auch sozialwissenschaftliche Perspektiven beitragen. Durch diese „Brille“ lässt sich die Rede von „Risikogruppen“ gesellschaftlich auch als eine Verdrängung der grundsätzlichen Verletzbarkeit menschlichen Lebens erkennen. Die Bedrohung, die das Virus für unser aller Gesundheit und Leben darstellt, wird auf diese Weise vor allem bestimmten Gruppen zugeschrieben. Das hat eine wichtige psychologische Funktion: Es reduziert unsere Angst, weil wir uns selbst vergewissern, dass wir nicht zur Risikogruppe gehören. Allerdings kann das dazu verleiten, die Gefährdung der eigenen Gesundheit zu niedrig einzuschätzen und dadurch sich und andere Menschen unnötig zu gefährden. Wenn wir statt von „Risikogruppen“ hingegen von „besonders gefährdeten Personen“ sprechen, erinnern wir uns durch unsere Wortwahl, dass wir alle verletzlich sind und einen gemeinsamen Umgang damit finden müssen.

Was heißt das konkret mit Blick auf die Hochschulen?
Wir sollten uns zunächst vor Augen halten, dass wir alle uns aktuell in einer Ausnahmesituation befinden – Lehrende wie Studierende. Manche erkranken selbst, andere sorgen sich um erkrankte Familienmitglieder, Freund*innen oder haben Todesfälle zu beklagen. Als Lehrende sollten wir unseren Studierenden daher signalisieren, dass wir diese psychosozialen Belastungen wahrnehmen und nicht die Erwartung haben, dass alles so läuft wie vorher, nur eben digital. Es kann und sollte aktuell nicht darum gehen, dass die Studierenden dieselbe Menge an Stoff lernen wie sonst auch. Sowohl Lehrende als auch Studierende sind an ihrer Kapazitätsgrenze – und wir müssen nicht unmenschliches von uns allen verlangen.

Sie plädieren also grundsätzlich für eine bestimmte Haltung im Umgang mit der Pandemie – in Gesellschaft wie Hochschule. Was können Lehrende darüber hinaus tun, um ihre digitale Lehre diversitätsgerecht zu gestalten?
Es ist utopisch zu verlangen, dass ad hoc digitalisierte Lehre reibungslos klappt. Und es ist ebenso utopisch, jetzt fertige Konzepte zu haben, die alle Studierenden in ihrer Vielfalt und ihren unterschiedlichen Lebenslagen mitdenken. Damit würden wir uns als Lehrende noch zusätzlich überfordern. Wir müssen auch mit unseren eigenen Ressourcen pfleglich umgehen und deswegen pragmatisch sein. Wichtig ist aber, dass Dozierende ihren Studierenden ausdrücklich signalisieren, dass sie um Herausforderungen wie Barrierefreiheit, Vereinbarkeit des Studiums mit Kinderbetreuung, Pflege und Nebentätigkeiten wissen und ihr Ziel ist, allen zu ermöglichen, an den angebotenen Veranstaltungen teilzunehmen und diese erfolgreich abzuschließen. Das reduziert für Studierende die Hemmschwelle, solche Fragen und Probleme zu kommunizieren. Eine wichtige Rückmeldung ist dabei, dass sie dankbar für Hinweise und Anregungen der Studierenden sind und sich bemühen, diese bestmöglich aufzugreifen.

Gibt es außerdem auch praktische Aspekte, die Lehrende grundsätzlich berücksichtigen können?
Um auch Studierenden mit Hör- oder Sehbeeinträchtigungen die Nutzung von Lernmaterialien zu ermöglichen, sollten bei Videos Untertiteln eingebaut werden. Bei Präsentationen in Powerpoint sollte die integrierte Funktion „Barrierefreiheit überprüfen“ genutzt werden.

Was Studierende betrifft, die zuhause nicht über die nötige technische Ausstattung für digitales Lernen verfügen, z.B. kein gutes WLAN, keinen eigenen Computer oder auch keinen ruhigen Arbeitsplatz, sind vor allem institutionelle Lösungen gefordert. Als Dozent*in kann ich für Videokonferenzen sowohl bei DNFconf als auch bei Zoom neben dem Link zum virtuellen Meetingroom eine Telefonnummer generieren, um zumindest die Teilnahme per Telefon zu ermöglichen. Davon profitieren auch Studierende, deren Internetverbindung nicht ausreichend belastbar für eine Videokonferenz ist. 

Um Studierenden die Vereinbarkeit von Studium und Kinderbetreuung, Pflege oder Nebenjobs besser zu ermöglichen, sollten Lehrende möglichst sparsam mit synchronen Formaten umgehen. Statt feste Vorgaben zu machen, können sie ihren Studierenden Empfehlungen geben, welche Lernschritte sie in einem Zeitraum von zwei bis drei Wochen absolviert haben sollten. Damit nehmen sie auch auf Studierende Rücksicht, denen es in der stets gleichbleibenden häuslichen Umgebung schwer fällt, ihre Lernprozesse komplett selbst zu strukturieren.

Interview: Monika Probst

Das Projekt „Gender als Handlungskompetenz und transdisziplinäre Analyseperspektive - Soziale Innovation in Lehre und Studium” erstellt aktuell eine Handreichung, die Lehrende mit konkreten Tipps unterstützen soll. Daran beteiligt sind Expertinnen und Experten aus ganz Deutschland. Für eine individuelle Beratung können sich Lehrenden auch mit konkreten Fragen direkt an Annika Spahn vom Institut für Geschlechterstudien wenden. Im ILIAS-Forum des ZLE zu Digitaler Lehre betreut sie außerdem einen Thread zu gender- und diversitätsgerechter digitaler Lehre.

Mai 2020

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