Corona und die soziale Lage

Prof. Dr. Markus Ottersbach (Bild: Thilo Schmülgen/TH Köln)

In fast allen größeren Städten in NRW gibt es besonders hohe Corona-Ansteckungsraten in sozial benachteiligten Vierteln. Auch in Köln unterscheidet sich das Infektionsgeschehen in den Quartieren teils massiv. Prof. Dr. Markus Ottersbach vom Institut für Interkulturelle Bildung und Entwicklung über den Zusammenhang von sozialem Status und der Wahrscheinlichkeit einer Infektion.

Herr Prof. Ottersbach, wenn man Medienberichte über Stadtteile mit hohen Inzidenzen liest, begegnet einem immer mal wieder der Begriff ,vulnerabler Sozialraum‘. Was ist das?

Vulnerable Sozialräume sind Quartiere, in denen überproportional viele Menschen wohnen, die von Arbeitslosigkeit betroffen sind, Sozialhilfe beziehen und in schwierigen Wohnverhältnissen – zum Beispiel mit vielen Personen auf engem Raum – leben. In der Mehrzahl der Medienberichte wird in diesem Zusammenhang auch von Brennpunkten gesprochen – diesen Begriff halte ich aber für schwierig. Bei ,vulnerablen Sozialräumen‘ kommt stärker zum Ausdruck, dass es sich bei den Schwierigkeiten in den Quartieren um gesellschaftliche Probleme handelt – und dass es dort nicht unbedingt brennt. Dieses Bild ist nämlich sehr stigmatisierend.

Ist das Infektionsrisiko auch eine soziale Frage?

Auf jeden Fall. In den Vierteln, in denen die Inzidenz besonders hoch ist, leben überwiegend sozial benachteiligte Menschen und diese haben in besonderem Maße mit den Auswirkungen der Pandemie zu kämpfen. Die dahintersteckende Dynamik ist allerdings kein coronaspezifisches Problem, das haben schon Finanz- und Klimakrise gezeigt. Die Verlierer solcher massiven Einschnitte sind in der Regel Menschen mit geringem sozialen Status – und das unabhängig von Herkunft oder Religion. Diese Differenzierung ist sehr wichtig, da es mitunter zu falschen Annahmen kommt. Weil viele Bewohnerinnen und Bewohner der vulnerablen Sozialräume einen Migrationshintergrund haben, wird teilweise daraus gefolgert, dass bei den hohen Infektionszahlen ethnische oder religiöse Aspekte eine Rolle spielen könnten – das stimmt allerdings nicht. Es geht um soziale Benachteiligung – und diese wirkt sich unmittelbar auf die Gesundheit aus.

Welche Ursachen können hinter diesem Zusammenhang stecken?

Hier muss man sich die Lebenslagen genau ansehen, also Einkommen sowie Beschäftigungs- und Wohnverhältnis. Diese Aspekte haben Auswirkungen auf die gesundheitliche Gefährdung der Menschen. So sind Menschen mit geringem sozialen Status häufig stärker durch beengte Wohnverhältnisse belastet. Das erhöht auch das Risiko einer Corona-Infektion. Hinzu kommt, dass diese Personen deutlich weniger Möglichkeiten haben, im Homeoffice zu arbeiten und sich dadurch besser zu schützen. Wer in Fabriken arbeitet, kann das schließlich nicht von Zuhause aus tun. Wohlhabende Gruppen sind da deutlich mobiler und können somit ihr Risiko eher minimieren.

Wie kann man diesen Risiken nun begegnen?

Zunächst einmal ist sehr begrüßenswert, dass dieser Zusammenhang zwischen sozialer Lage und Inzidenz erkannt wurde und nun – wie beispielsweise mit den Impfmobilen in stark betroffenen Vierteln in Köln – gehandelt wird. Wichtig ist aber auch die Kommunikation. Bislang fehlten zielgruppengerechte Informationen. Es ist ratsam, dass aufklärende Informationen mit allgemein verständlichen Worten und in mehreren Sprachen transportiert werden. Deshalb ist es sinnvoll, mit bereits in den vulnerablen Sozialräumen aktiven Streetworkerinnen und Streetworkern zusammenzuarbeiten. Diese kennen die Bewohnerinnen und Bewohner, ihnen wird vertraut und sie können nicht nur als Sprach-, sondern auch als soziale Mittlerinnen und Mittler fungieren.

Auf der anderen Seite lässt sich auch das Phänomen beobachten, dass sozial benachteiligte Menschen sich häufig über Medien informieren, die nicht unbedingt zur Aufklärung beitragen – etwa über die sozialen Medien, in denen vermehrt auch Fake News grassieren. Es gibt also einerseits ein Problem fehlender oder mangelhaft vermittelter Informationen, andererseits aber auch ein Problem in der Bildung – und hier müssen langfristige Lösungen her.

Welche Lösungen wären das?

Wir sehen soziale Probleme jetzt sehr stark im Brennglas. Ich würde mir für die Zukunft wünschen, dass man stärker präventiv agiert, um Menschen zu schützen. Dazu gehört es, Maßnahmen zu ergreifen, um die Lebenslage von sozial benachteiligten Menschen zu verbessern. Es muss also besserer und günstigerer Wohnraum geschaffen werden. Es bedarf breiterer Bildungsmöglichkeiten. Das heißt, die in Deutschland relativ frühe schulische Segregation muss gestoppt und es sollte mehr und länger gemeinsames Lernen wie zum Beispiel in Gesamtschulen ermöglicht werden. Zudem müssen sicherere und besser bezahlte Arbeitsverhältnisse geschaffen werden, weil insbesondere auch dort Hotspots auftreten, wo es prekäre Beschäftigungsverhältnisse wie Leiharbeit, Werkverträge oder Mini-Jobs gibt. All diese Aspekte wirken sich auf die Gesundheit aus, wie zahlreiche Studien belegen. Je weiter man bei der Prävention kommt, desto effektiver sind die Menschen in zukünftigen Krisenzeiten geschützt.

Mai 2021

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