Bibliotheken: Mehr als Bücher

Bibliotheken bieten längst mehr als nur Bücher zum Ausleihen an. Über die weiteren Funktionen spricht Prof. Dr. Ursula Georgy, Leiterin des ZBIW – Zentrum für Bibliotheks- und Informationswissenschaftliche Weiterbildung der TH Köln, im Interview.

Porträt Ursula Georgy Prof. Dr. Ursula Georgy ist Leiterin des ZBIW - Zentrum für Bibliotheks- und Informationswissenschaftliche Weiterbildung der TH Köln. (Bild: Heike Fischer / TH Köln)

Prof. Georgy, welche Funktionen haben Bibliotheken über den Bücherverleih hinaus?

Wir müssen heute stärker denn je zwischen öffentlichen und wissenschaftlichen Bibliotheken differenzieren. Öffentliche Bibliotheken leisten einen starken Beitrag zu gesellschaftlichen Entwicklungen und Trends, wie zu den Themen Ökologie, Urbanisierung und Gesundheit. Sie engagieren sich etwa in den Bereichen Smart City und Klimaschutz: Solaranlagen auf dem Dach, eigens angelegte Gärten und Grünflächen sowie Repair-Cafés sind da nur ein paar Bespiele. Es finden zahlreiche Workshops und Aktionen zu sehr unterschiedlichen Themen statt. Darüber hinaus verstehen sich Bibliotheken als Orte der gelebten Demokratie, die ein Demokratieverständnis vermitteln und sich für ein Miteinander in der Gesellschaft engagieren.

Was sind die Aufgaben der wissenschaftlichen Bibliotheken?

Diese befinden sich heute im Spannungsfeld zwischen dem Massenmarkt der Studierenden und dem individuellen Forschungsmanagement. Sie schulen fast alle Studierenden in Sachen Informations- und Medienkompetenzen und im Umgang mit Datenbanken. Die Betreuung und Beratung von Forschenden über den Forschungszyklus hinweg ist hingegen sehr individuell. Dazu gehören das Sammeln, Aufbereiten und Archivieren von Daten sowie die Unterstützung bei Publikationen und diese zum Beispiel Open Access zur Verfügung zu stellen.

Wie sehen Sie die Rolle von öffentlichen Bibliotheken als soziale Orte?

Bibliotheken haben eine Nähe zur Bevölkerung wie kaum eine andere städtische Einrichtung. Sie sind offen für alle Schichten der Gesellschaft, jeder kann dort ohne Termin hin. Es ist ein Treffpunkt, sobald das wieder möglich ist. Dieser sichere Aufenthaltsort wird individuell und in Gruppen genutzt. Dabei existiert eine Verknüpfung von Begegnung und Wissen: Beide Aspekte sind dort nie losgelöst voneinander, sondern stets in dieser Kombination. Denn die Medien und der Raum stehen direkt zur Verfügung. Das Prinzip „Open Library“ stellt zudem einen Trend dar, bei dem außerhalb der regulären Öffnungszeiten ohne Fachpersonal geöffnet wird.

Welche Veränderungen hat die Digitalisierung bisher bewirkt?

Die Digitalisierung tangiert heute alle Bereiche von Dienstleistungen und betrifft Bibliotheken in hohem Maße. Immer mehr Angebote sind digital, wie die „Onleihe“, mit der man e-Books ausleihen kann. Einige versuchen im Bereich Streaming Fuß zu fassen, indem sie eigene Streaming-Dienste bereitstellen. Bei wissenschaftlichen Bibliotheken läuft ohnehin viel online, da zahlreiche Zeitschriften und Fachbücher rein digital publiziert werden.

Das bedeutet aber, Bibliothekarinnen und Bibliothekare müssen neue Kompetenzen erwerben. Das merken wir im Zentrum für Bibliotheks- und Informationswissenschaftliche Weiterbildung durch zahlreiche Nachfragen. Heute ist eine systematische Personalentwicklung unumgänglich. Es ist keine leichte Situation, da der Altersschnitt in den Bibliotheken hoch ist. Die Herausforderung: das gesamte Personal für die digitalen Bereiche fit zu machen.

Wie hat sich Corona auf die Bibliotheken ausgewirkt?

Selbstverständlich wurden digitale Angebote stärker genutzt als zuvor. Systeme wie die „Onleihe“ haben zugenommen. Das Prinzip „Click and Collect“ hat Einzug in die Bibliotheken gefunden. Nutzerinnen und Nutzer konnten im Katalog Bücher aussuchen und diese anschließend in Tüten gepackt abholen. Es war beeindruckend, wie viele davon Gebrauch machten und machen. Manche Bibliotheken sind in die Produktion von Lehr- und Lernvideos eingestiegen und haben Erklär-Videos für ihre verschiedenen Angebote gedreht. Online-Workshops, die per Zoom gehalten wurden, fanden ebenfalls Anklang. Viele interessante Dinge sind sehr schnell entstanden und haben durch Corona einen Schub erfahren.

Wie sieht die Zukunft von Bibliotheken aus?

Öffentliche Bibliotheken werden sich noch mehr gesellschaftlichen Themen annehmen und sollten daran arbeiten, proaktiver als Orte für alle wahrgenommen zu werden. Es wird auch eine stärkere Vernetzung von IT und Medien- sowie Informationskompetenz geben.

In der Forschungsbegleitung wird sich die Arbeit des „klassischen“ Fachreferats deutlich verändern. Die Bibliothekarinnen und Bibliothekare werden weniger zentral in der Bibliothek arbeiten, sondern vielmehr im direkten Kontakt bei den Forscherinnen und Forschern. Des Weiteren werden alternative Messverfahren zur Resonanz von Forschungsarbeiten wie Social Media immer wichtiger: Wie werden Publikationen in den Sozialen Medien diskutiert? Wie kann meine Publikation mehr Aufmerksamkeit in den sozialen Medien erlangen? Das sind Themen, die in Zukunft eine größere Rolle spielen werden.

März 2021

M
M