Barrierefrei studieren: Hasan Koparan
Auf sein Blindsein musste sich Hasan Koparan (26) viele Jahre einstellen – und abwarten. Die Diagnose einer genetisch bedingten Netzhautablösung war von Geburt an bekannt.
Aber bis zu seinem dreizehnten Lebensjahr konnte Hasan sehen, als Kind sogar noch ähnlich gut wie seine Freunde und Schulkameraden. „Ich habe als kleines Kind nicht richtig realisiert, was mit mir passiert. Als mein Sehvermögen immer schlechter wurde, habe ich das auf die Umwelt geschoben und mich gefragt, warum in den Büchern die Schrift immer kleiner gedruckt wird. Ich musste auch nur deshalb immer näher an den Bildschirm rücken, weil immer schlechtere Computerspiele produziert werden.“
Alles, nur kein Mitleid
Heute sieht er nur noch helle und dunkle Flächen. Daran wird sich auch nichts ändern. Seine Krankheit ist operativ nicht heilbar. Deshalb ist Hasan im Studium auf eine Arbeitsassistenz angewiesen. Sein Kommilitone Chris ist „sein Auge“: er digitalisiert ihm alle Bücher und Skripte, damit sie Hasan über einen Screenreader lesen kann. Chris liest ihm während den Vorlesungen und Seminaren auch Inhalte vor, die der Screenreader nicht wiedergeben kann, Grafiken zum Beispiel. Die finanzielle Unterstützung für die Assistenz bekommt Hasan vom Landesverband Rheinland. Das „sein Auge“ mit ihm das gleiche studiert, entspricht seinem Wunsch. „Chris hat mir seine Hilfe angeboten und ist dabei sehr kompetent. Wir arbeiten eng zusammen. Das macht mir viel Spaß, denn wir müssen uns nicht groß absprechen. Ich wollte nicht mit einem Externen arbeiten, der mich nachher nur aus Mitleid unterstützt.“
Mitleid, davon will er nichts wissen. Solche Leute begegnen Hasan immer noch.
„Bereits im zweiten oder dritten Satz merke ich, dass mir solche Leute aufgrund meiner Behinderung eigentlich nichts zutrauen.“ Es sind Szenen wir die des Mitreisenden, der ihm nicht glauben will, wann der Zug planmäßig eintreffen soll. Zur Sicherheit fragte der Mann einen anderen Fahrgast mit der Begründung, Hasan sei schließlich blind. „Solche Leute sind Opfer ihrer eigenen Vorurteile.“
Mit Selbstironie zur Gleichberechtigung
Hasan macht sich mittlerweile über solche Mitmenschen lustig. Als Student im Master Unternehmensführung muss er seine Lebenstauglichkeit nicht extra beweisen. Später will er im Bereich Personalentwicklung oder Marketing arbeiten. In seiner Freizeit spielt er Blindenfußball und Torball – und genießt mit Freunden die Atmosphäre in Fußballstadien. Sein Verein ist Schalke 04. In allen Bundesligastadien gibt es spezielle Plätze für Blinde mit Kopfhörern, das Spiel wird extra dazu moderiert.
An der Hochschule fühlt sich Hasan weder bevorzugt noch benachteiligt, er schreibt die gleichen Klausuren wie seine Kommilitonen. Die begegnen ihm sehr aufgeschlossen, seine Professoren haben ihm bei Bedarf ihre Unterstützung angeboten. „Meine Behinderung ist kein großes Thema. Genauso möchte ich das auch haben.“ Im Lexikon der Political Correctness wird oft der Begriff „beeinträchtigt“ benutzt. Warum? „Ich glaube, viele Menschen ohne Behinderung haben ein größeres Problem damit umzugehen, als die Behinderten selbst. Ich sage auch, dass ich eine Behinderung habe. Natürlich hört es sich anders an, wenn ich sage: ‚ich bin behindert‘. Aber eine ‚Beeinträchtigung‘ kann auch eine Farbenblindheit bedeuten. Insofern finde ich den Begriff verharmlosend.“
Dennoch bezweifelt Hasan, dass in Deutschland beide Seiten wirklich schon bereit sind zur Inklusion – nichtbehinderten wie behinderten Menschen. Bei einer Satire in der Zeitung taz über Blindenfußball waren viele seiner Sportkameraden empört, das sei Diskriminierung. Hasan fand die Satire sehr gelungen. „Wenn wir gleichberechtigt werden wollen, dann gehört so etwas dazu – zumindest auf der Ebene des Humors.“
Monika Probst
Dezember 2014