Autonome Fahrzeuge in der Infektionsprävention

Tim Jannusch promoviert am Institut für Versicherungswesen der TH Köln und an der Universität Limerick. Gemeinsam mit seinen irischen Kolleginnen und Kollegen hat er Szenarien für technologische Lösungen für die Corona- und künftige Pandemien entwickelt.

Herr Jannusch, Sie arbeiten zurzeit an Ihrer Dissertation in Kooperation mit der Universität Limerick. Wie kam es dazu, dass sich Ihre Arbeitsgruppe Gedanken zu Covid-19 gemacht hat?
Jannusch: An der Universität Limerick bin ich Mitglied von Lero, einem Forschungszentrum für Software. Dort beschäftigt man sich mit neuen Technologien sowie ihren Chancen und Risiken für die Gesellschaft. In meiner Promotion befasse ich mich mit selbstfahrenden Autos und Telematiktarifen zum Schutz junger Fahranfängerinnen und Fahranfänger. Die Coronakrise hat natürlich das Leben aller Mitglieder des Teams beeinflusst, und so haben wir darüber nachgedacht, welchen positiven Einfluss unser Themenfeld haben könnte. Auf diese Weise ist ein Artikel entstanden zur Rolle von selbstfahrenden Autos und der Automobiltechnologie bei der Bewältigung künftiger Pandemien.

Was sind Ihre Ideen?
Jannusch:
Ausgangspunkt unserer Überlegungen war, dass Wirtschaft und Forschung stetig nach neuen Wegen suchen, Autos intelligenter zu gestalten. Sie zielen darauf ab, dass Autos in Zukunft die gesamte Komplexität der Fahrumgebung verstehen. Dabei machen sie nicht vor den Personen im Inneren des Fahrzeuges halt. So könnten hochintelligente Fahrzeuge schon in absehbarer Zeit Informationen über Symptome eines Virus wie Covid-19 sammeln, analysieren und Fahrerinnen und Fahrer über eine mögliche Infektion informieren. Das Auto könnte auf diese Weise verhindern, dass infektiöse Menschen mit gesunden Menschen in Kontakt treten.

Welche Möglichkeiten sehen Sie dafür?
Jannusch:
Nach Angaben des Center for Disease Control and Prevention in den USA sind die Symptome von Covid-19 zum Beispiel Müdigkeit, Kopfschmerzen, Halsschmerzen, Husten, Fieber oder Kurzatmigkeit. Da gibt es einige Anknüpfungspunkte für bereits bestehende oder künftige Fahrerüberwachungstechnologien. VW-Fahrzeuge erkennen bereits heute Müdigkeit, indem eine Kamera die Lidbewegungen erfasst und die Dauer misst, wie lange das Auge zu mehr als 80 Prozent geschlossen ist – ein deutliches Zeichen für Müdigkeit. Geräuschsensoren können zudem Rückschlüsse darauf ziehen, ob Insassen husten oder kurzatmig sind. Wärmekameras sind in der Lage, eine erhöhte Körpertemperatur wahrzunehmen.

Anhand dieser Informationen könnten hochintelligente Autos schon bald ermitteln, ob die Fahrerin oder der Fahrer mit einer bestimmten Wahrscheinlichkeit an Covid-19 oder einer anderen Virusinfektion erkrankt ist, und einen entsprechenden Warnhinweis ausspielen. Zugleich kann die Information auch dafür genutzt werden, weitere Schutzmaßnahmen einzuleiten, um Leben zu retten. So könnte ein Fahrzeug einen medizinischen Notfall wie zum Beispiel schwere Atemnot entdecken und einen Notruf veranlassen. Etwas futuristisch, aber dennoch denkbar ist auch, dass das Auto selbstständig zum Krankenhaus fährt.

Diese Technologie eröffnet große Chancen, zugleich ist sie ein erheblicher Eingriff in die Privatsphäre. Wie schätzen Sie dies ein?
Jannusch:
Zunächst muss man sagen, dass die Bereitschaft private Daten zu teilen, von Land zu Land durchaus unterschiedlich ist. Die Menschen in Deutschland scheinen bei diesem Thema eher zurückhaltend zu sein. Ein gutes Beispiel sind Tracking Apps, die die Bekämpfung einer Pandemie unterstützen könnten. Datenschützer sehen hierin allerdings den ersten Schritt zum „gläsernen Bürger“. Diese Kritik ist berechtigt, wenn man zum Beispiel Chinas Bemühungen um ein Sozialkreditsystem bedenkt. Dieses soll das Verhalten der Menschen im Alltag erfassen und bewerten. Alles, was der Staatsführung missfällt, kann so bestraft werden. Solche Entwicklungen sind gefährlich und werden durch hochintelligente Autos, die Gesundheitsdaten erfassen könnten, erweitert.

Dennoch bin ich davon überzeugt, dass man zwischen guter und schlechter Überwachung unterscheiden kann. Tracking Apps und Sensoren in Autos können künftig Menschenleben retten. Werden die Gesundheitsdaten ausschließlich hierfür genutzt und zum Beispiel nur im eigenen Auto gespeichert, analysiert und nicht an Dritte weitergeben, sehe ich eine geringe Gefahr für die Privatsphäre. Die entscheidende Frage ist, wem die erhobenen Daten gehören – ganz klar den Nutzerinnen und Nutzern. Diese Tatsache muss auf EU-Ebene diskutiert und verbindlich verabschiedet werden.

Was auch zu bedenken ist: Obwohl in Deutschland viele Menschen sich öffentlich für den Schutz der Privatsphäre aussprechen, nutzen die meisten dennoch WhatsApp, Google Maps oder andere Online-Services. Der kontextbezogene Mehrwert scheint also viele Kritiker dazu zu bewegen, persönliche Daten zu teilen. Hier stellt sich also die Frage, ob der Schutz der eigenen Gesundheit als Mehrwert ausreicht, um die Menschen zur Nutzung solcher Technologien zu bewegen. Ich glaube ja.

Bis wann könnten diese Überlegungen Realität werden?
Jannusch: Diese Frage ist nicht leicht zu beantworten. Noch im Jahr 2016 haben viele große Automobilproduzenten gesagt, dass sie bis 2020 vollständig autonome Fahrzeuge auf den Markt bringen wollen. Nun haben wir 2020, und auf den Straßen sehen wir höchstens partiell autonome Fahrzeuge wie von Tesla. Nach wie vor trägt der Fahrer und nicht das Auto die Verantwortung für die Fahraufgabe. Milliardeninvestitionen in die Entwicklung von Sensoren und Künstlicher Intelligenz sind nötig, damit unsere Ideen Realität werden.Die größte Herausforderung ist dabei die Intelligenz des Autos. Mit Blick auf unser Gedankenspiel müssen wir dem Auto beibringen, erhobene Daten selbständig und zielgerichtet zu verknüpfen, um zuverlässige Rückschlüsse auf Symptome oder Krankheitsbilder zuzulassen. Das ist besonders dann schwierig, wenn nur wenig über einen Virus bekannt ist. Zudem dürfen wir eins nicht vergessen: Selbst, wenn ein solch intelligentes Auto Realität wird, muss die Lösung flächendeckend eingesetzt und akzeptiert werden. Nur dann entstehen positive Effekte für die Pandemie-Bekämpfung.

An der TH Köln wird Jannusch von Prof. Dr. Michaele Völler, Leiterin der Forschungsstelle Versicherungsmarkt, betreut.

Juni 2020

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