Wie Start-ups durch die Corona-Krise kommen

Die Corona-Pandemie hat die Wirtschaft in eine tiefe Krise gestürzt, die insbesondere Start-ups vor besondere Herausforderungen gestellt hat. Wie diese bisher durch die Krise gekommen sind, hat die Studentin Lucia Walter von der Fakultät für Wirtschafts- und Rechtswissenschaften in ihrer Masterarbeit untersucht.

Lucia Walter studiert Marktorientierte Unternehmensführung am Schmalenbach Institut für Wirtschaftswissenschaften (WI). In ihrer Masterarbeit hat Walter die unternehmerische Resilienz – also die Fähigkeit, schwierige Situationen ohne anhaltende Beeinträchtigung zu meistern – von 145 verschiedenen Start-ups aus ganz Deutschland untersucht. Im Interview sprechen Walter und ihr Betreuer Prof. Dr. Marc Mehlhorn vom WI über Krisen, die Start-up-Branche und die Ergebnisse der Arbeit.

Lucia Walter Lucia Walter (Bild: Anne Cüppers)

Frau Walter, Prof. Mehlhorn, was unterscheidet die Corona-Krise von anderen Krisen?

Walter: Die von der Corona-Krise betroffenen Unternehmen haben kaum Einfluss darauf, was passiert – die Umstände sind für sie sehr unvorhersehbar und das ist in dieser Intensität so noch nie dagewesen. Dementsprechend hat die Pandemie weniger den Charakter einer Unternehmenskrise, sondern vielmehr denjenigen einer ganzheitlicheren Wirtschaftskrise.

Mehlhorn: Im Vergleich zur Finanzkrise 2007/2008, die zunächst den Finanzmarkt und später den Arbeitsmarkt erreicht hat, hat die Corona-Krise einen eher abrupten Effekt – sie hat unmittelbar und gleichzeitig die Angebots- und Nachfrageseite betroffen. Das führt dazu, dass Industrien wie der Tourismus, Airlines, Einzelhandel, Automobil- und Logistikbranche extrem hart getroffen wurden. Auch an den Aktienmärkten hat sich das überaus speziell geäußert: Es gab bis zu 40 Prozent Verluste im Februar 2020 und quasi eine vollständige Erholung bis Juni 2020 – das ist sehr untypisch.

Marc Mehlhorn Marc Mehlhorn (Bild: Grafilms)

Welche Faktoren tragen allgemein dazu bei, dass Unternehmen gut durch Krisenzeiten kommen?

Walter: Es gibt unterschiedliche Theorien darüber, wie unternehmerische Resilienz hergestellt werden kann, aber keinen wissenschaftlichen Konsens. Grundlegende Eigenschaften, die zu einer Beständigkeit gegenüber Krisen beitragen können, sind aber die Fähigkeit, Veränderungen zu beobachten und sich auf Auswirkungen dieser vorzubereiten. Hinzu kommt die Fähigkeit, sich Lösungen zu überlegen und schnell umzusetzen. Wichtig ist darüber hinaus, was man aus den Veränderungen für die Zukunft lernt.

Mehlhorn: Ein zusätzlicher eher äußerer Faktor ist zudem, wie gut oder schlecht die Politik im Land unterstützen kann – beispielsweise mit Kurzarbeitergeld.

Wie kamen deutsche Start-ups durch die Corona-Krise?

Walter: Start-ups sind grundsätzlich wachstumsorientiert und haben einen hohen Kapital- und Investitionsbedarf. Die Corona-Krise hat das zunächst limitiert: Projekte wurden auf Eis gelegt und Kooperationen beendet. Das hat dazu geführt, dass sie sich zunächst akut existenzbedroht gefühlt haben, so eine Befragung des Bundesverbands Deutsche Startups – rund 80 Prozent der Start-ups gaben das an. Nach etwas mehr als einem Jahr – im Mai 2021 – sah das aber schon wieder anders aus: Für diesen Zeitpunkt gaben fast 55 Prozent der Start-ups, die ich befragt habe, an, gestärkt aus der Krise zu kommen. Bei etwa 25 Prozent war die Lage unverändert und nur noch 20 Prozent fühlten sich geschwächt – das spricht für eine grundsätzliche Anpassungsfähigkeit.

Mehlhorn: Diesen Trend bestätigen auch Zahlen der Bundesregierung: Diese hat Start-ups ein Unterstützungsprogramm von knapp zwei Milliarden Euro zugesagt, wovon letztendlich aber weniger als die Hälfte beantragt wurde. Einige kleinere Start-ups waren zwar sicherlich etwas überfordert mit der nicht unkomplizierten Antragstellung, grundsätzlich zeigt das aber, dass die Corona-Krise die deutschen Start-ups nicht so schlimm getroffen hat wie anfangs befürchtet.

Was hat begünstigt, dass deutsche Start-ups verhältnismäßig gut durch die Krise gekommen sind?

Walter: Konkrete Faktoren waren etwa Anpassungsfähigkeit, Flexibilität, kurze Entscheidungswege, kleine Teams und Digitalkompetenz. Zudem sind viele Start-ups in Deutschland sehr digitalorientiert und haben daher sogar eher noch von der Corona-Krise profitiert, wie meine Befragung ergeben hat.

Mehlhorn: Das wird auch mit Blick auf die Top-4-Start-up-Branchen in Deutschland deutlich: Software, Medizin, E-Commerce und Lebensmittel waren allesamt nicht so stark betroffen wie andere – das ist ein absolutes Spezifikum des deutschen Start-up-Marktes. Hinzu kommt aber auch ein starker Start-up-Verband, der sich für die Interessen der Jungunternehmen eingesetzt und für schnelle Unterstützung gesorgt hat.

Das Investitionsvolumen im Start-up Bereich liegt derzeit auf einem Höchststand. Warum?

Mehlhorn: Weltweit und in Deutschland ist das Volumen 2020 rückläufig gewesen. 2021 gab es weltweit eine rasante Erholung und in Deutschland sammeln Start-ups derzeit Rekordsummen ein. Im ersten Halbjahr 2021 haben sie 7,6 Milliarden Euro von Investorinnen und Investoren erhalten – dreimal so viel wie im Vorjahreszeitraum und mehr als im Gesamtjahr 2020. Die Anzahl der Finanzierungsgelder stieg um 62 Prozent – es bekamen so viele Start-ups wie nie zuvor neues Kapital. Das liegt unter anderem daran, dass Krisen wie die Corona-Pandemie meist aktuelle Herausforderungen aufzeigen. Für Gründerinnen und Gründer bietet sich dadurch vermehrt die Chance, Lösungen für existierende Probleme zu entwickeln. In diesen Lösungen erkennen Investorinnen und Investoren derzeit völlig neue Perspektiven für innovative Technologien – und deshalb wird mehr investiert.

Ist derzeit also eine gute Zeit, um zu gründen?

Mehlhorn: Wenn künftige Jungunternehmerinnen und -unternehmer aktuelle Herausforderungen ausfindig gemacht haben, ist es sicher eine gute Zeit, um zu gründen, weil man gut zu Kapital kommt. Das Investitionsvolumen ist grundsätzlich aber zyklusgesteuert – das heißt, dass auf ein hohes Volumen auch wieder ein geringes folgt und so weiter. Wenn die Zinsen steigen, wird wieder weniger investiert. Deshalb ist es schwer abzusehen, wie lange das Investitionsvolumen noch derart hoch bleibt wie es aktuell ist.

August 2021

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