Was sich hinter Kryptoaktien verbirgt

Mit dem Boom an den Aktienmärkten und dem Hype um Kryptowährungen wie Bitcoin oder Ethereum ist ein neues Finanzprodukt entstanden: Kryptoaktien, die auch als Stock Token bezeichnet werden, und analog zum Kryptogeld nur virtuell existieren. Prof. Dr. Marc Mehlhorn vom Schmalenbach Institut für Wirtschaftswissenschaften erklärt im Interview, was es mit der neuen Geldanlage auf sich hat.

Porträt Marc Mehlhorn Prof. Dr. Marc Mehlhorn (Bild: Grafilms Production)

Prof. Mehlhorn, was ist der Unterscheid zwischen „normalen“ Aktien und Stock Token?

Mit einer Aktie erwerben Käuferinnen und Käufer einen Anteil am Unternehmen – sie werden also Miteigentümerin oder Miteigentümer der Aktiengesellschaft und dürfen auf der Hauptversammlung von ihrem Stimmrecht Gebrauch machen. Typischerweise wird eine Aktie, bestehend aus Mantel und Bogen, physisch emittiert, also herausgegeben, und dann werden die Eigentumsrechte an dieser Aktie digital gehandelt.

Als Stock Token bezeichnet man eine digitalisierte Form einer Aktie. Um diese anzubieten, kauft eine Zweckgesellschaft meist eine ,normale‘ Aktie an. Die Zweckgesellschaft wird dann tokenisiert, so dass der Vermögenswert der Aktie mittelbar via Blockchain in kleinste Einheiten, die Token, zerlegt wird. Die Menge an Token, die Käuferinnen und Käufer erwerben, repräsentiert die Eigentumsanteile an der Aktie. Es handelt sich also um synthetische Aktien, die die Echtzeitkurse von Aktien eins zu eins abbilden – die Idee ähnelt sehr stark einem Derivat. So kann man an der Preisveränderung börsennotierter Unternehmen partizipieren, ohne die wahre Eigentümerin oder der wahre Eigentümer der Aktie sein zu müssen.

Wie funktioniert der Handel mit Stock Token?

Da Stock Token übertragbar, handelbar und mit wertpapierähnlichen Rechten ausgestattet sind, werden sie rechtlich von den Aufsichtsbehörden auch als Wertpapier behandelt. Während eine wertvolle Uhr zwischen zwei Personen zum Beispiel über Online-Verkaufsplattformen bilateral und direkt gehandelt werden kann, benötigt man für die Übertragung von Wertpapieren in fast allen Ländern dieser Welt eine regulierte Wertpapierhandelsbank. Damit ist der Handel mit Stock Token ähnlich streng geregelt wie der Handel mit echten Aktien. Tatsächlich sind es derzeit regulierte Kryptobörsen, die den Handel mit Stock Token anbieten und hier Vorreiter sind. Das sind vollelektronische Börsen, die sich auf den Handel mit Kryptowerten spezialisiert haben. Traditionelle Börsen wie Frankfurt und Stuttgart arbeiten jedoch vermutlich auch sehr intensiv daran, tokenisierte Wertgegenstände handelbar zu machen.

Welche Vorteile bietet das neue Finanzprodukt?

Während eine Aktie von Tesla mehrere hundert Euro kostet, kann man aufgrund der speziellen Tokenstruktur mit einem Stock Token für deutlich weniger als einen Cent an der Wertentwicklung der Teslaaktie teilhaben. Dies ist eventuell für Kleinanlegerinnen und -anleger interessant, die ihr möglicherweise begrenztes Vermögen gerne auf mehrere Aktiengesellschaften aufteilen würden. Weil Kryptobörsen nicht wie traditionelle Börsenplätze feste Handelszeiten definieren, kann man diese Token zudem quasi rund um die Uhr handeln.

Die Tokenisierung könnte zudem neue Geschäftsmodellen hervorbringen: So könnte es zum Beispiel möglich werden, dass die wenigen Cent Rückgeld an der Supermarktkasse oder am Pfandautomaten nicht ausbezahlt, sondern direkt in einen Stock Token fließen.

Wie sind Stock Token in Deutschland reguliert und welche Nachteile haben diese?

Auch die BaFin, die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht, stuft die Stock Token in Deutschland als Wertpapier ein und hat diesbezüglich auch schon große Kryptoplattformen wie zum Beispiel Binance darauf aufmerksam gemacht, den Verpflichtungen nachzukommen, welche bei einer Wertpapieremission in Deutschland zu beachten sind.

Das wirtschaftliche Risiko einer echten Aktie ist geringer als das eines Stock Token: Anders als bei einer Aktie tragen die Käuferinnen und Käufer dieser Token nämlich nicht nur das unternehmerische Risiko der Aktiengesellschaft. Sie müssen zusätzlich bedenken, dass die Insolvenz des Tokenemittenten, also der Zweckgemeinschaft, welche die Aktie herausgibt, auch zu einer sofortigen Wertlosigkeit des Stock Token führen würde.

November 2021

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