Unverkaufte Waren – pandemiebedingt gespendet statt vernichtet

Porträt Michael Urselmann (Bild: Heike Fischer / TH Köln)

Unverkäufliche Waren werden von Unternehmen aus steuerlichen Gründen oft vernichtet statt gespendet. Erst eine Sonderregelung, die vor allem der von der Pandemie besonders betroffenen Modebranche helfen soll, ermöglicht für dieses Jahr Sachspenden im größeren Stil. Warum dies nur ein erster Schritt sein kann, erklärt Prof. Dr. Michael Urselmann vom Institut für Sozialpolitik und Sozialmanagement.

Prof. Urselmann, Handelsverbände schätzen, dass durch die Schließung des Einzelhandels eine halbe Milliarde brandneuer Textilien, Schuhe und Lederwaren nicht verkauft wurde. Um ihre Lager zu leeren, hätten die meisten Unternehmen bis vor Kurzem diese Bestände vernichtet, statt sie Nonprofit-Organisationen zu spenden. Warum?

Die Schwierigkeiten der Modebranche werfen ein Schlaglicht auf das grundsätzliche Problem: Wenn in Deutschland Unternehmen Produkte spenden möchten, die sie nicht mehr verkaufen können (z.B. bei Falschetikettierung oder Auslaufmodellen), dann müssen sie darauf an das Finanzamt 19 Prozent Mehrwertsteuer abführen. Und damit ist die Vernichtung der Waren schlicht und ergreifend günstiger. Konservativen Schätzungen zufolge betrifft dies pro Jahr etwa 2,5 bis drei Prozent aller in Deutschland produzierten Waren und Lebensmittel mit einem Wert von rund sieben Milliarden Euro. Nur eine Sonderregel des Bundesfinanzministeriums ermöglicht dem Einzelhandel coronabedingt eine andere Vorgehensweise.

Warum werden normalerweise diese 19 Prozent fällig?

Um das zu beantworten, müssen wir einen Blick in das deutsche Steuerrecht werfen. Wenn Unternehmen Rohstoffe oder Halbfertigprodukte einkaufen, zahlen sie darauf 19 Prozent Umsatzsteuer in Form von Vorsteuer an ihre Lieferanten. Diese 19 Prozent erhalten sie über den sogenannten Vorsteuerabzug vom Finanzamt zurück. Wenn sie anschließend ihre fertigen Produkte weiterverkaufen, müssen sie darauf jedoch wieder 19 Prozent Mehrwertsteuer abführen. So ist sichergestellt, dass im Verlauf der gesamten Wertschöpfungskette der Staat immer nur den Mehrwert besteuert – deshalb der Begriff Mehrwertsteuer. Wären Sachspenden für die Unternehmen umsatzsteuerfrei, entgingen dem Fiskus diese Einnahmen. Zudem wird befürchtet, dass umsatzsteuerfreie Sachspenden in irgendeiner Form mit betrügerischen Absichten genutzt werden könnten.

Was wäre ein besserer Weg?

Von einer Vernichtung der Waren hat jedenfalls niemand etwas. Von einer Sachspende profitieren hingegen viele: Gemeinnützige Organisationen können die Sachspenden an bedürftige Menschen weiterleiten, die diese Waren noch gut gebrauchen können; die Umwelt, weil eine Vernichtung der Waren die Umwelt belastet; und die Unternehmen, die damit soziales Engagement zeigen und ihre Nachhaltigkeitsbilanz verbessern können. Der Staat erhält zwar auf Sachspenden keine Umsatzsteuer mehr, die hätte er bei Vernichtung der Waren aber auch nicht erhalten.

Die scheinbar einfache Lösung, also die Abschaffung der Umsatzsteuerpflicht auf Sachspenden, ist mit EU-Recht nicht zu vereinbaren. Einen Lösungsansatz hat 2012 das Bundesfinanzministerium aufgezeigt. Damals ging es um einen Bäckermeister, der abends das übriggebliebene Brot an die Tafel spenden wollte und dafür Umsatzsteuer zahlen sollte. Es wurde dann entschieden, dass unverkaufte, verderbliche Waren einen Wert von null haben sollen. Die Umsatzsteuer wird weiterhin fällig, beträgt bei einem Warenwert von null aber auch nur null Euro.

Bislang gilt dies aber nur für verderbliche Produkte. Eine aktuelle Initiative namens „Spenden statt Vernichten“ fordert, dass die Regelung auf alle Sachspenden angewendet wird. Denn Produkte, die Unternehmen nicht verkaufen können, sondern vernichten würden, haben für diese ja tatsächlich keinen Wert mehr.

Was besagt die eingangs erwähnte Sonderregel?

Durch Corona hat die Debatte Fahrt aufgenommen – gerade aufgrund der Probleme der Modebranche. Die Finanzbehörden räumen „von Corona negativ betroffenen Einzelhändlern“ aus Billigkeitsgründen bis Jahresende im Rahmen der Überbrückungshilfen III ein, die letzte Wintersaisonware umsatzsteuerfrei spenden zu dürfen. Obwohl dies grundsätzlich zu begrüßen ist, geht mir diese Regelung nicht weit genug. Sie sollte auf alle Wertschöpfungsstufen ausgedehnt wird, also auch für Hersteller und Großhändler gelten, unabhängig ob diese vor Ort oder im Internet verkaufen.  Zudem bin ich der Meinung, dass die zeitliche Begrenzung ein Fehler ist. Auch nach der Pandemie wird es besser sein, Produkte zu spenden anstatt sie zu vernichten – sowohl aus sozialer als auch aus ökologischer Perspektive.

März 2021

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