Trendlinien der frühkindlichen Pädagogik

Porträt von Prof. Dr. Marc Schulz (Bild: Heike Fischer/FH Köln)

Die Kommission „Pädagogik der frühen Kindheit“ der Deutschen Gesellschaft für Erziehungswissenschaft kommt am 11. und 12. März 2021 zu ihrer Online-Jahrestagung zusammen. Die Fakultät für Angewandte Sozialwissenschaften wird als digitale Gastgeberin rund 400 Teilnehmende begrüßen. Prof. Dr. Marc Schulz vom Institut für Kindheit, Jugend, Familie und Erwachsene ist Sprecher der Kommission.

Herr Prof. Schulz, die Tagung steht unter dem Titel „Kontinuität und Wandel in der Pädagogik der frühen Kindheit“ und zwar in Bezug auf „Handlungsfelder, pädagogische Ansätze und Professionalisierung“. Welche Rolle spielen diese drei Schwerpunkte in der Arbeit der Fakultät?

Als Fakultät finden wir uns in allen drei Bereichen wieder. So beobachten und untersuchen wir bei den kindheitspädagogischen Handlungsfeldern, dass viele Einrichtungen für die Kleinsten immer umfangreichere Betreuungszeiten anbieten bzw. hier die Nachfrage deutlich höher ist als das Angebot. Zudem kommt es zu einer weiteren Ausdifferenzierung, weil es neben gemeinnützigen und staatlichen Anbietern zunehmend auch in privat-kommerzieller Trägerschaft organisierte Kitas gibt. Bei den pädagogischen Ansätzen stellen wir fest, dass die strenge Unterteilung nach Montessori, Situationsansatz etc. an Bedeutung verliert und Einrichtungen häufig konzeptuell Elemente aus verschiedenen Ansätzen kombinieren. Auch bei den Berufsbildern hat sich eine große Vielfalt entwickelt. Diesen Phänomenen gehen wir etwa im Forschungsschwerpunkt „Bildungsräume in Kindheit und Familie“ nach.

Diese sehr komplexe Situation wirkt sich auch auf das Berufsbild aus und wir bilden dies in unserem Bachelorstudiengang „Kindheitspädagogik und Familienbildung“ ab. Dort beschäftigen sich die Studierenden intensiv kritisch-analytisch mit Aspekten, die im Berufsalltag benötigt werden, wie der angemessenen Begleitung von Bildungs- und Lernprozessen, der Gestaltung von pädagogischen Räumen aber auch Überlegungen zur inklusiven Kita. Auf der anderen Seite betreiben wir auch Grundlagenforschung, etwa zur eingangs beschriebenen dynamischen Entwicklung des Praxisfeldes oder Bedeutung und Wirkung des pädagogischen Raums in Kindertageseinrichtungen.

Welche Trendlinien machen Sie in der Pädagogik der frühen Kindheit aus?
Es gibt ganz eindeutig einen Trend zur Privatisierung der frühkindlichen Bildung. In den 1990er Jahren entstanden die ersten kommerziellen Anbieter, die ihren Marktanteil seitdem ständig vergrößern konnten, auch weil sie sich für breitere Bevölkerungsgruppen geöffnet haben. Trotzdem handelt es sich um Einrichtungen für die Kinder wohlhabender Eltern, die durch hohe Beiträge bspw. einen besseren Betreuungsschlüssel, zweisprachige Sprachförderung oder einen eigenen Koch finanzieren können. Das Problem dabei: Kitas – und auch Grundschulen – stehen eigentlich für die Möglichkeit der gesellschaftlichen Durchmischung, prinzipiell sollen dort alle Milieus und Schichten zusammenkommen, aber diese demokratische Idee wird zunehmend durchbrochen.

Ein weiterer Trend ist die Ausdifferenzierung der Qualifikationen derjenigen, die in den kindheitspädagogischen Arbeitsfeldern tätig sind. Neben Erzieher*innen sind heute Heilpädagog*innen, Kindheitspädagog*innen, Sonderpädagog*innen, Kindheitspsycholog*innen und viele andere Professionen in Kitas anzufinden. Die daraus entstehende Zusammenarbeit bringt neue Chancen und Herausforderungen mit sich. Zudem wollen – und müssen – sich die Eltern verstärkt einbringen und die Kitas öffnen sich ihrem jeweiligen Stadtteil und kooperieren mit den dortigen Institutionen. Die Einrichtungen sind heute also vielfältiger in Bezug auf die Kinder und die Mitarbeitenden und in Bezug auf ihre Beziehungen zu anderen Akteur*innen.

Welchen Einfluss hat die Corona-Pandemie auf die Kitas?
Bei dieser Frage liegt noch viel Forschungsarbeit vor uns, die Kolleg*innen aus der Bildungsökonomie und Entwicklungspsychologie sind in ihren Prognosen deutlich pessimistisch. Es wird aus erziehungswissenschaftlicher Perspektive intensiv untersucht werden müssen, wie sich die Schließungen und Teilschließungen der Häuser auf die Entwicklung der Kinder und die Bildungsgerechtigkeit ausgewirkt haben. Kitas stehen dafür, Bildungsungleichheit zumindest zu minimieren – kann das noch eingehalten werden? In der Pandemie ist zudem die pädagogisch-bildnerische Arbeit der Kitas an den Rand gedrängt worden. Oftmals ging es nur noch darum, dass die Kinder „betreut“ werden. Dabei geschieht dort viel mehr. So spielen die Einrichtungen zum Beispiel eine wichtige Rolle beim Kinderschutz, einige Kinder erhalten dort regelmäßig öffentlich finanzierte Mahlzeiten, es sind für Kinder einzigartige Orte, um Gleichaltrige zu treffen und Fachkräfte begleitet die Bildungsprozesse der Kinder, auch beim Übergang in die Grundschule.

März 2021

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