Prof. Thorsten Burgmer

Institut für Energieeffiziente Architektur (EEA)

  • Telefon+49 221-8275-2576

Stopp der Effizienzhaus-Förderung: Sinn oder Unsinn?

Prof. Thorsten Burgmer  (Bild: Thorsten Burgmer )

Es war ein förderpolitisches Beben, als Wirtschafts- und Klimaschutzminister Robert Habeck im Januar 2022 das sofortige Ende der staatlichen Unterstützung für Neubauten nach dem Standard EH 55 und EH 40 verkündete. Prof. Thorsten Burgmer von der Fakultät für Architektur ordnet die Entscheidung ein.

Prof. Burgmer, EH 55 und EH 40 – was bedeutet das?

Das Effizienzhaus 55 beziehungsweise 40 ist ein bestimmter Standard, den Neubauten erreichen müssen, um gefördert zu werden. Grundlage ist ein theoretisches Referenzgebäude, das dem geplanten Objekt im Volumen und anderen Eigenschaften gleicht. Anhand eines vorgegebenen Rechenverfahrens werden Energieverbrauch und Wärmeverlust berechnet. Um die gesetzlichen Anforderungen zu erfüllen, darf das neue Gebäude nur 75 Prozent des theoretischen Referenzverbrauchs haben. Bei 55 beziehungsweise 40 Prozent gibt es dann entsprechende staatliche Zuschüsse.

Warum wurde diese Förderung nun eingestellt?

Es gibt zwei Begründungen: Zum einen stünden nicht genügend Haushaltsmittel zur Verfügung, weil es zu viele Anträge gab. Das ist nachvollziehbar, da es noch keinen neuen Bundeshaushalt gibt. Und zum anderen seien die unterstützten Ziele gar nicht unterstützenswert, denn der Standard 55 sei sowieso schon am Markt etabliert. Ich kenne keine wissenschaftlichen Studien dazu, kann das aus den Erfahrungen in meinem Architekturbüro aber bestätigen. Der Standard 40 wurde mit gestrichen, weil er zu leicht erreichbar sei.

Wie bewerten Sie diese Entscheidung?

Die Grundlage für diese Förderungen ist, dass Deutschland als Ganzes bis 2045 klimaneutral sein soll. Der Gebäudesektor darf dann im Betrieb keinen oder nur noch einen sehr geringen CO2-Ausstoß verursachen. Ich bin der festen Überzeugung, dass die bisherigen Vorgaben nicht genügen, um dieses Ziel zu erreichen. Was wir heute nach EH 55 oder EH 40 bauen, verursacht immer noch zu hohe CO2-Emissionen.  Also bauen wir heute schon die Sanierungsfälle von morgen, vorausgesetzt wir halten am Ziel der Klimaneutralität im Gebäudebestand fest. Insofern halte ich es für absolut richtig, diese Förderungen einzustellen, da sie uns auf diesem Weg nicht genügend weiterbringen.

Was man aber deutlich kritisieren muss, sind die handwerklichen Fehler, die gemacht wurden. Die Programme wurden eingestellt, ohne dass bekannt ist, was die Alternativen sein werden – denn es wird auch künftig Förderungen für sehr effiziente Häuser geben. Und es war zunächst nicht klar, wie denjenigen geholfen wird, die bereits einen Antrag gestellt haben.

Mich stört aber ganz besonders, dass die aktuelle Debatte viel zu emotional, zu hitzig und viel zu wenig sachlich-differenziert geführt wurde. Meines Erachtens muss man klar unterscheiden zwischen inhaltlichen Aspekten und der Frage, wie diese Maßnahmen dazu beitragen, den Klimawandel einzudämmen, sowie der handwerklichen Umsetzung.

Gibt es denn bereits die Technologien, um Häuser zu bauen, die klimaneutral sind?

Ja, diese Technologien sind vorhanden und es gibt verschiedene Wege zu diesem Ziel. Der eine Weg ist, die Hülle sehr stark zu dämmen. Da muss man sich fragen, wie viel Sinn das macht. Denn die Energieeinsparung verläuft nicht linear. Mit den ersten 20 Zentimeter Dämmung spart man sehr viel. Um darüber hinaus eine relevante Ersparnis zu generieren, muss man so viel Dämmstoff aufbringen, dass dessen Produktion in bestimmten Szenarien mehr CO2 verursacht als man durch ihn einsparen kann. Der andere Weg ist es, die Restenergie regenerativ über Wärmepumpe oder PV-Anlage zu erzeugen. Die Mischung zwischen beiden Maßnahmen ist dann der sinnvolle Weg.

Nun gibt es nicht nur Neubauten, sondern auch Bestandsgebäude…

Richtig. Immerhin 63 Prozent der Wohngebäude in Deutschland sind vor der ersten Wärmeschutzverordnung im Jahr 1979 gebaut worden. Die sind weit davon entfernt, überhaupt irgendwelche Ziele zu erreichen. Diese Gebäude haben einen Energieverbrauch, der bis zu fünfmal höher ist als bei nach 2001 errichteten Gebäuden. Um dieses Problem anzugehen, brauchen wir einen komplett anderen ordnungspolitischen Rahmen mit anderen Bilanzierungs-, Zertifizierungs- und Anreizsystemen. Statt bei Neubau oder Sanierung nur auf energetische Aufwendungen im Betrieb zu schauen, könnte man beispielsweise Lebenszyklusbetrachtungen für Energieverbrauch und Treibhausgasemissionen verlangen. So werden heute Bestandsgebäude häufig mit der Begründung abgerissen, dass eine Sanierung nicht wirtschaftlich sei. Wenn man aber sowohl die Jahrzehnte mit einberechnet, die das alte Gebäude besteht, und die ökologischen Folgen des Abrisses, der Entsorgung und der Herstellung der neuen Baumaterialien, dann würde dies in vielen Fällen vermutlich ein völlig anderes Bild ergeben.

Februar 2022

Prof. Thorsten Burgmer

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