Sind die goldenen Jahre des Autodesigns vorbei?

Wer an einen Oldtimer denkt, hat vermutlich ein ganz spezifisches Bild im Kopf – zum Beispiel ein Fahrzeug mit kutschenähnlichem Design oder einen Hippiebus. Aber was macht historische Fahrzeuge aus? Und gibt es überhaupt einen eindeutigen Oldtimer-Look? Darüber und über die Veränderungen im Automobildesign spricht Prof. Paolo Tumminelli von der Köln International School of Design im Interview.

Paolo Tumminelli Prof. Paolo Tumminelli (Bild: Victor Kaiser)

Prof. Tumminelli, wann ist ein Oldtimer ein Oldtimer?

Hier gibt es eine klare gesetzliche Regelung. Diese besagt, dass Automobile mit einem Alter ab 30 Jahren als Oldtimer angemeldet werden können. Sie erhalten dann das H-Kennzeichen – H steht für historisch. Mit diesem kann man Umweltzonen befahren, auch wenn das Fahrzeug nicht den Kriterien dafür entspricht. Allerdings wird das Label nur an Fahrzeuge vergeben, die weitestgehend im Originalzustand sind oder aber fachgerecht restauriert wurden. Weil das Interesse an Oldtimern um die Jahrtausendwende rasant gestiegen ist, sind ab dann zudem jüngere Oldtimer als Sammelobjekte in den Fokus gerückt – so wurde der Begriff des Youngtimers geprägt. Das sind jüngere Klassiker, die mindestens 15, aber eben nicht älter als 30 Jahre alt sind. Im Gegensatz zu Oldtimer können diese nicht angemeldet werden.

Gibt es spezifische Design-Eigenschaften von Oldtimern?

Da sich das Automobil im stetigen Wandel befindet, lassen sich allgemeine Eigenschaften nur schwer ausmachen. Was vor 30 Jahren als Oldtimer klassifiziert wurde, ist etwas ganz Anderes als das, was heute als solcher gekennzeichnet wird. Früher haben zum Beispiel von der Karosserie abgesetzte Kotflügel das Bild von einem historischen Automobil geprägt. Heute können schon die ersten Autos aus den 90ern ein H-Kennzeichen erhalten. Es gibt also keinen eindeutigen Oldtimer-Look.

Wenn nicht der Stil, was prägt Oldtimer dann besonders?

Das ist meiner Meinung nach der Ausdruck der jeweiligen Automobilkultur, der in ihnen steckt. Autos haben sich im Laufe der Jahrzehnte nämlich zu ganz anderen Produkten entwickelt und das spiegelt sich eben auch im Design der Fahrzeuge wider. Dazu hat vor allem der technologische Fortschritt mit der Elektrifizierung und Digitalisierung beigetragen. Durch Einparkhilfen müssen Autos für Fahrerinnen und Fahrer beispielsweise nicht mehr so übersichtlich gestaltet werden, wie das bei vielen Oldtimern der Fall ist. Aber auch neue Nutzungsformen wie Sharing-Konzepte und ein verändertes Konsumverhalten verändert das Produkt Auto. Wenn wir von Oldtimern sprechen, dann reden wir also ebenfalls über einen kulturellen Wert. Wenn man nun die Automobilkultur im Allgemeinen betrachtet, dann muss man leider sagen, dass sich dieser insbesondere seit den 2000er Jahren drastisch verändert hat – und das nicht zum Besseren, wie ich finde.

Wieso?

Bis in die 90er Jahre war der Gipfel dessen, was Autodesign anbieten kann, eigentlich schon erreicht: aktive und passive Sicherheit, Komfort, Leistung und Effizienz – all das vereint in leichten, kompakten Fahrzeugen mit einer guten Übersicht. Seit den 2000er Jahren ist diese Kultur des Entwurfs leider komplett verlorengegangen. Die Automobilindustrie orientiert sich meiner Ansicht nach seitdem nicht mehr am Wohle der Konsument*innen, sondern am Wohle der Investor*innen. So ist das Streben nach Perfektion, das die Industrie im 20. Jahrhundert noch geprägt hat, in den Hintergrund gerückt. Heute steht eine möglichst günstige Produktion im Fokus. Die Konstruktionspreise wurden bei gleichbleibenden Listenpreisen stetig verringert. Autos werden in der Folge nicht mehr für die Ewigkeit gebaut, sondern sind Wergwerfprodukte geworden.

Inwiefern prägt dieser kulturelle Wandel das Design heutiger Autos?

Damit die Herstellungsverfahren möglichst günstig sind, ist Standardisierung heutzutage ein Muss. So gibt es zwar viele unterschiedliche Modelle und Modellreihen, allerdings werden diese in standardisierten Produktionsverfahren gefertigt. Dadurch können sich zwar einzelne Elementen in der Form oder Größe unterscheiden; wenn man sich aber die Kernmassen oder gar die Form von Windschutzscheiben und Türgriffen anschaut, dann lässt sich deutlich weniger Einzigartigkeit ausmachen als das früher noch der Fall war. Es geht nicht mehr um Perfektion, sondern um Vervielfältigung. So wird der Markt am Leben gehalten. Deshalb werden Autos heute ohne konkreten Nutzen einfach immer größer, schwerer und schneller gemacht, um Kundinnen und Kunden davon zu überzeugen, dass es ein besseres Produkt ist.

Was bedeutet dieser Wandel für den Begriff des Oldtimers?

So wie Autos heute gefertigt werden, leben sie durchschnittlich neun bis zehn Jahre. Durch diese geringe Überlebensdauer verändert sich auch unsere Kultur, denn immer weniger Fahrzeuge werden aufbewahrt und vererbt. Das sieht man am angemeldeten Oldtimerbestand der letzten 10 Jahre: So wächst die Anzahl an Autos, die 50 Jahre und älter sind, stetig an. Bei Fahrzeugen zwischen 40 und 49 bleibt der Bestand relativ konstant und die Zahl der Autos zwischen 30 und 39 sinkt. Dabei hat man früher befürchtetet, dass irgendwann alle Automobile einmal Oldtimer werden – und das Gegenteil ist nun aufgetreten. Autos von heute sind einfach nicht mehr gedacht für das ewige Leben. Daher müsste man zur Bewahrung der ursprünglichen Automobilkultur des 20. Jahrhunderts den Begriff des Oldtimers neu definieren, wie ich finde. Meiner Meinung wäre es sinnvoll, dass nur noch Fahrzeuge, die bis zum Jahr 2000 gefertigt wurden, als Oldtimer klassifiziert werden. Spätere Modelle könnten dann unter einer anderen Prämisse oder unter einem anderen Label als New-Oldtimer geschützt beziehungsweise erhalten werden – oder eben nicht.

November 2022

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