Neue Impulse setzen

Prof. Dr. Klaus Becker (Bild: Thilo Schmülgen/TH Köln)

In unserer modernen Wissensgesellschaft sollten wissenschaftlicher Einfluss, der sogenannte Impact, und Wissenstransfer im Sinne von Open Science nicht mehr getrennt voneinander betrachtet werden. Doch mit welchen Mitteln kann eine Hochschule für angewandte Wissenschaften das erreichen?

Ein Interview mit Prof. Dr. Klaus Becker, Vizepräsident für Forschung und Wissensstransfer, über das erweiterte Transferverständnis der TH Köln, Open Access und die Sichtbarkeit von Forschungsleistungen.

Wie hat sich das Anforderungsprofil an Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in den vergangenen 15 Jahren verändert?
Die Bevölkerung erwartet zu recht, dass die Wissenschaft dazu beiträgt, gesellschaftliche Verantwortung zu übernehmen und Lösungen zu erarbeiten, welche beispielsweise zum Erreichen der nachhaltigen Entwicklungsziele der UN beitragen. Im Hinblick auf die Hochschulen für angewandte Wissenschaften hat sich definitiv der Stellenwert der Forschung verändert. Dadurch hat dieser Aspekt einen deutlich stärkeren Anteil bei den Berufungsverfahren als noch vor 20 Jahren. Für Professorinnen und Professoren gilt es mitzudenken, dass Transfer gleichermaßen in Forschung und Lehre realisierbar ist.

Was versteht unsere Hochschule unter dem Begriff Transfer konkret?
Nach dem klassisches Transferverständnis arbeiten Wirtschaft und Wissenschaft kollaborierend zusammen, dafür werden Räume geschaffen und Zentren aufgebaut. Um Wissen gesellschaftlich wirksam zu machen, sollte bei den Vorhaben aber stets die gesellschaftliche Perspektive mitgedacht werden: Gibt es gesellschaftliche Implikationen und kann ich einen Mehrwert schaffen, in dem ich gesellschaftliche Sichtweisen miteinbeziehe? Das muss nicht in allen Fällen zutreffen, aber es ist sinnvoll, dass man sich bei seinem Vorhaben zumindest bewusst damit befasst. Wir stehen als TH Köln für ein erweitertes Transferverständnis: für komplexe Austauschbeziehungen zwischen den Stakeholdern aus Wissenschaft, Wirtschaft, Zivilgesellschaft und Politik, und zwar von der Ideenfindung bis zur Umsetzung. Das ist meiner Meinung nach die Voraussetzung, um „Soziale Innovation zu gestalten“. Das bedeutet bei Forschungskonzepten wie Lehrveranstaltungen gleichermaßen, den Transfergedanken von Anfang an mitzudenken. Kann ich die Studierenden im Rahmen des forschenden Lernens an Forschung heranführen oder durch forschungsbasierte Lehre in die eigene Forschung einbeziehen? Natürlich unterscheidet sich bei den verschiedenen wissenschaftlichen Disziplinen das Setting, aber wir sehen diese Umsetzung gesellschaftlicher Verantwortung als eine Frage der Haltung. Die erfordert eine gewisse Offenheit im Denken.

Wie fördert die Hochschule diese Haltung bei den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern?
Wir haben zum Beispiel einen Transferfonds eingerichtet, bei dem wir Professorinnen und Professoren finanziell unterstützen, wenn sie konkrete Lehrforschungsprojekte mit direktem gesellschaftlichem Nutzen vorschlagen, die mehrere Stakeholder bei der Entwicklung und Umsetzung miteinbeziehen.  

In Berufungsverfahren lassen sich Offenheit und Kompetenz für Wissenstransfer abfragen, aber wie motivieren Sie langjährige Kolleginnen und Kollegen zum Umdenken?
Die wissenschaftliche Kompetenz steht bei unseren Professorinnen und Professoren vollkommen außer Frage. Wir sehen auch, dass Forschung in der Breite der Hochschule anders gelebt wird als vor 15 Jahren. In den meisten Fakultäten gibt es mittlerweile Prodekanate für Forschung sowie verschiedene Maßnahmen, um die Forschung institutionell  voranzutreiben: Erfahrene Kolleginnen und Kollegen nehmen die neuen huckepack und es wird zum Teil eine Anschubfinanzierung für wissenschaftliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter geboten. Wir wollen zukünftig alle Kolleginnen und Kollegen außerdem durch ein Coaching-Programm „Forschung und Transfer” unterstützen. Die neuen Kolleginnen und Kollegen begleiten wir vor allem in der Anfangsphase. Beispielsweise darin, wie man einen erfolgversprechenden Antrag auf Drittmittel schreibt. Ein Drittel unserer aktuell Neuberufenen hat hier nach eigenen Angaben keinerlei Erfahrungen. Solche Angebote wollen wir auch langjährigen Kolleginnen und Kollegen zur Verfügung stellen, die wieder in die Forschung einsteigen wollen.

Im klassischen Belohnungssystem sind Publikationen und Forschungsgelder nach wie vor die Währung für die wissenschaftliche Reputation.
Als Hochschule für angewandte Wissenschaften verfügen wir leider noch nicht über eine Grundfinanzierung für die Forschung. Das ist eines unserer hochschulpolitischen Ziele für die nächsten Jahre. Modelle wie  Forschungsprogramme oder Forschungsprofessuren, wie es Hessen und Bayern vormachen, haben hier Vorbildfunktion. Voraussetzung ist in jedem Fall eine hohe intrinsische Motivation der Kolleginnen und Kollegen. Zum Glück gibt es an unserer Hochschule eine Menge Kolleginnen und Kollegen, die sich sehr stark für die Forschung engagieren und fakultätsübergreifend kooperieren.  Dies macht unsere Hochschule in der Breite sehr forschungsstark. Außerdem hat sich die Zahl unserer eingeworbenen Drittmittel deutlich erhöht, vor allem die Zahl der eingereichten Anträge hat sich in den letzten zwei Jahren verdoppelt. 2019 wurden uns dadurch 23 Millionen Euro zugesprochen. Außerdem reichen nicht nur mehr Professorinnen und Professoren Anträge ein, mehr erfahrene Kolleginnen und Kollegen, wenden sich großen Projekten zu mit Fördersummen im Millionenbereich. Und das erfolgreich.

Wie unterstützt die Hochschule Open Access von wissenschaftlichen Publikationen?
Neben unserem eigenen, qualitätszertifizierten Hochschulschriftenserver sind wir unlängst den DEAL-Verträgen mit den Verlagen Springer und Wiley beigetreten. Dadurch steht uns ein großes Portfolio an Publikationen zur  Verfügung, die wir kostenfrei lesen können. Die Herausforderung ist allerdings, wie wir zukünftig mit den damit einhergehenden Kosten für die Publikationsveröffentlichungen umgehen. Denn pro Artikel wird in vielen Fällen eine Veröffentlichung rund 2.700 Euro kosten. Bei stark wachsenden Forschungsaktivitäten müssen wir mit einer zeitgleichen Zunahme von Publikationen rechnen. Das dafür erforderliche Budget sprengt den Rahmen unserer derzeit dafür verfügbaren Hochschulmittel, übrigens auch die unserer UAS7-Partnerhochschulen. Daher prüfen wir jetzt verschiedene Finanzierungsmöglichkeiten. Unter anderem haben wir, vielmehr die Professorinnen Dr. Ursula Arning und Dr. Inga Tappenbeck vom Institut für Informationswissenschaften zusammen mit Dr. Margarete Busch und Kerstin Klein von der Hochschulbibliothek, einen Forschungsantrag formuliert, um die Transformation zu Open Access an der TH Köln sowohl zu erforschen als auch umzusetzen. Die Frage ist zum Beispiel, ob man nicht statt bei einem Verlag auf einem eigenen, qualitätsgesicherten Server publizieren sollte.

Aber viele Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler wollen für die Reputation in einem bestimmten Fachmedium publizieren.
So ist es, aber das scheint eine subjektive Reputationsfrage zu sein. In der breiten Masse zählt die Reputation der kommerziellen Verlage, selbst im Vergleich mit so renommierten Hochschulen wie beispielsweise dem  Massachusetts Institute of Technology und seinem Universitätsverlag MIT Press. Aber wenn wir keine hinreichende Finanzierung haben, müssen wir vielleicht auf diesen subjektiven Reputationseffekt verzichten und auf Servern veröffentlichen, die für uns kostenfrei sind – und Open Access. Diese Publikationen sind in jedem Fall weltweit auffindbar, langzeitverfügbar und der Inhalt sollte ebenfalls der gleiche sein wie bei Veröffentlichung in einem renommierten Verlag. Voraussetzung ist natürlich eine hinreichende wissenschaftliche Qualitätssicherung. Die Vergangenheit hat schon mehrfach gezeigt, dass der Impactfaktor einer Publikation auch bei konventionellen Publikationen missbraucht werden kann. Wenn man den Artikel im Netz finden kann und seine Forschungsergebnisse auf einem Kongress vorstellt, ist die Chance, sich der wissenschaftlichen Community zu präsentieren, gleich groß.

Öffentliche Medien, soziale wie klassische, gewinnen auch in der Wissenschaftskommunikation immer mehr an Bedeutung. Steigen damit auch die Erwartungen an Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, sich hier mehr zu engagieren?
Begutachtete Publikationen sind ein wertvolles Gut. Wobei sich hier das Kriterium, was eine Publikation ist, nicht mehr alleine auf eine Veröffentlichung in einem wissenschaftlichen Journal beschränkt. Beispielsweise können auch Interviews in Fachmedien laut Kerndatensatz Forschung als wissenschaftliche Publikation gewertet werden. Das gibt den Forschenden eine größeren Handlungsspielraum. Letztlich entscheidet aber die Scientific Community der jeweiligen Fachdisziplin, in welchen Medien die Publikationen auch als Forschungsnachweis anerkannt werden.

Die Hochschule engagiert sich seit Jahren darin, das Forschungsengagement der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler zu dokumentieren. Warum ist dieses Monitoring nicht als Kontrolle und Arbeitsnachweis zu verstehen?
Die Dienstaufgabe jedes Professors und jeder Professorin an unserer Hochschule besteht aus Lehre, Forschung und Transfer. Es ist grundsätzlich in Ordnung, dass diese drei Themen individuell unterschiedlich ausbalanciert werden. Aber dort, wo Forschung stattfindet, ist es auch nötig, sie zu dokumentieren und sichtbar zu machen. Wir wollen intern Sichtbarkeit schaffen und den Anteil der Professorinnen und Professoren, die wissenschaftlich publizieren und/oder Drittmittel einwerben, auf zwei Drittel steigern. Diesbezüglich sind wir derzeit auf einem guten Weg. Dazu ist es unumgänglich, dass wir unsere Forschungsleistungen auch einheitlich dokumentieren. Derzeit nutzen wir dafür unsere Broschüre Projekte und Publikationen, die jährlich einen sehr guten Überblick über die an der TH Köln stattfindenden Forschungsaktivitäten gibt. Der Input dafür kommt von den forschenden Kolleginnen und Kollegen und ist für uns ein wichtiger Indikator für die Forschung in der Breite der Hochschule. Aus meinem Verständnis heraus hat das nichts mit Kontrolle oder Arbeitsnachweis zu tun. Aber wir wollen eine bessere Infrastruktur für alle Beteiligten schaffen, mit einem Forschungsinformationssystem, das bis Ende 2023 etabliert sein soll.

Verfolgt die Hochschule auch die Idee einer Academic Balance Score Card?
Ja, schon seit längerem. Wir haben auch erste Raster entwickelt. Aber es gilt, mit Augenmaß zu arbeiten. Im Sinne unserer Forschungsstrategie macht es Sinn, auf institutioneller Ebene Indikatoren zu definieren wie Drittmittel, Publikationen, Promotionen, Ausgründung und Preise, um die Entwicklung von Forschung und Transfer beobachten zu können Dazu wird ein Forschungsinformationssystem einen wichtigen Beitrag leisten. Für nicht sinnvoll halte ich personenbezogene Score Cards. Das Gleiche gilt für Zielvereinbarungen mit einzelnen Personen oder Fakultäten. Wir wollen nicht agieren nach dem Motto „Höher, schneller, weiter“. Meine Erfahrung hat gezeigt, dass wir uns mit einem vernünftigem, sachorientierten Umgang miteinander, bei dem wir Wertschätzung entgegenbringen und Engagement befördern, als forschende Hochschule in den letzten Jahren sehr gut entwickelt haben und auch weiter entwickeln werden.

Januar 2021

M
M