Windkraftmythen erklärt

Dr. Eva-Maria Grommes (Bild: privat)

Um Windkraftanlagen wird eine intensive gesellschaftliche Diskussion geführt, etwa wegen der „Verspargelung der Landschaft“. Es kursieren aber auch zahlreiche Fehlinformationen. Dr. Eva-Maria Grommes ist Leiterin der Forschungsgruppe Engineering Sustainable Technologies an der TH Köln und betreibt auf TikTok den Kanal @energiewende.erklaert. Im Interview räumt sie mit fünf Mythen auf.

Frau Grommes, Windkraftgegner beklagen, dass die Rotorblätter ein Vogelsterben verursachen. Ist das korrekt?

Jährlich kommen in Deutschland auf diese Weise etwa 150.000 Vögel ums Leben. Insofern ist die Kritik auf der einen Seite richtig, auf der anderen Seite muss man diese Zahl aber auch ins Verhältnis setzen. Denn andere menschgemachte Ursachen schaden der Vogelwelt um ein Vielfaches mehr. Laut dem Naturschutzbund Deutschland sterben in Deutschland rund 17 Millionen Vögel jährlich durch den Auto- und Bahnverkehr, 90 Millionen durch Hauskatzen und 110 Millionen durch Glasscheiben. Insofern sind Windkraftanlagen ein relativ kleines Übel, trotzdem sollte weiterhin daran geforscht werden den Vogelschlag zu vermeiden. Bereits bestehende Maßnahmen sind etwa automatische Abschaltsysteme, wenn sich Vogelschwärme nähern, oder ein Rotorblatt schwarz anzustreichen, um es besser sichtbar zu machen.

Ein weiterer Mythos betrifft die Rotorblätter selbst: Diese würden am Ende ihres Lebenszyklus gar nicht recycelt, sondern vergraben.

Wie so oft speisen sich diese Mythen aus Teilwahrheiten. Das Bundesumweltamt hat 2019 berichtet, dass Rotorblätter in Einzelfällen vergraben worden sind. Aber natürlich ist das nicht der Alltag, sondern es gibt strenge Vorschriften zum Recycling. Richtig ist aber auch, dass Rotorblätter aus Verbundwerkstoffen bestehen, die nur schwer wieder zu trennen und zu recyceln sind. Insofern tangiert dieser Mythos eine große Herausforderung für die Branche. Erste Ansätze für höhere Recyclingquoten sind etwa, dass Rotorblätter gehäckselt und dann als Betonzusatzstoff verwendet werden. Die Betonfundamente und der Turm können hingegen relativ gut wiederverwendet werden, so dass zwischen 80 bis 90 Prozent der gesamten Anlage am Ende des Lebenszyklus recycelt werden können.

Es wird auch behauptet, dass Windkraft nur dort funktioniert, wo der Wind sehr stark weht.

Wir müssen bei der Frage zunächst bedenken, dass die Windverhältnisse, die wir auf dem Boden erleben, nicht die gleichen sind wie in 150 Metern. Wo wir Windstille wahrnehmen, kann es auf Höhe der Nabe ganz anders aussehen. Hinzu kommt, dass Windräder Strom schon bei einer leichten Brise bzw. Windgeschwindigkeiten von zwei bis drei Metern pro Sekunde erzeugen. Für moderne Anlagen sind zwölf bis 16 Meter pro Sekunde ideal, also ein sogenannter steifer Wind.

Sind Windkraftanlagen umweltschädlich, weil Abrieb der Rotoren als Mikroplastik die umliegenden Felder belastet?

Auch dieser Mythos hat einen wahren Kern: Rotorblätter unterliegen einem gewissen Verschleiß bzw. der Erosion. Dadurch werden Teile der Oberflächenbeschichtung abgelöst. Die Technische Universität Dänemark schätzt in einer Studie, dass jedes Rotorblatt pro Jahr etwa 30 bis 540 Gramm Material verliert. Pro Jahr geben deutsche Anlagen demnach 1.400 Tonnen Abrieb ab. Das klingt nach relativ viel, aber auch hier hilft es uns, die Zahlen ins Verhältnis zu setzen. Der Reifenabrieb in Deutschland beträgt rund 100.000 Tonnen pro Jahr, bei Schuhsohlen sind es etwa 9.000 Tonnen. Hinzu kommt, dass dieser Abrieb direkt auf unserer Atemhöhe entsteht, während sich Rotorblätter auf etwa 150 Meter Höhe befinden und abgelöste Partikel sich so viel besser in der Luft verteilen.

Unser letztes Thema betrifft eine weitere angebliche Umweltbelastung: den sogenannten Infraschall, der Menschen krank machen soll. Was hat es damit auf sich?

Infraschall ist ein Schall unterhalb von 20 Hertz und somit für das menschliche Ohr nicht wahrnehmbar. Er wird von allen sich bewegenden technischen Anlagen verursacht. Bei einem Haus, das sich im gesetzlichen Mindestabstand von 1.300 Metern von einer Windkraftanlage befindet, kommt die gleiche Menge Infraschall an, die auch ein Kühlschrank verursacht. Menschen, die von Windkraftanlagen krank werden, müssten demnach auch von ihren Haushaltsgeräten beeinträchtigt werden. Ein anderes Beispiel: Eine dreieinhalbstündige Autofahrt verursacht die gleiche Infraschallbelastung wie 27 Jahre neben einem Windrad zu wohnen.

Dr. Eva-Maria Grommes arbeitet im Cologne Innovation and Transfer Lab unter der Leitung Prof. Dr. Anja Richert und Prof. Dr. Valérie Varney. Für ihre Doktorarbeit gewann sie den Promotionspreis 2025 der TH Köln.

Video: Eva-Maria Grommes im Porträt

Eva-Maria Grommes steht auf einem Dach. Hinter Ihr ist die Stadt Köln zu sehen. (Bild: Benedict Bremert / TH Köln)

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Juni 2025

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Christian Sander

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