Offener Brief zum Vorgehen der Polizei gegen Flüchtlinge
Mitarbeiter_innen der Fakultät für Angewandte Sozialwissenschaften haben einen offenen Brief als Protest gegen die Polizeirazzia in der Flüchtlingsunterkunft Herkulesstrasse am 6. November in Köln verfasst.
Offener Brief
An den Innenminister des Landes Nordrhein-Westfalen Jäger
An den Polizeipräsidenten Albers
An die Fraktionen des Rates der Stadt Köln
An den Oberbürgermeister der Stadt Köln Jürgen Roters
An die Presse
Köln, den 07.11.2014
Angesichts der gestrigen Polizeiaktion in der Flüchtlingsunterkunft „Herkulesstrasse“ sowie „Poller Holzweg" möchten wir als Lehrende und Forschende der Sozialen Arbeit Stellung beziehen zu der unseres Erachtens unverhältnismäßigen Razzia und den Übergriffen gegenüber Schutzsuchenden im Rahmen des Asylrechts.
Wir beschäftigen uns an unserer Fakultät in unserem Fachgebiet täglich mit sozialen Problemlagen, so auch mit den Lebensbedingungen von Flüchtlingen. Desto mehr entsetzt uns die Entscheidung über die am 06. November und zuvor am 21. Oktober durchgeführten polizeilichen Maßnahmen, die unseres Erachtens einen unrechtmäßigen und massiv zu kritisierenden Eingriff in die Privatsphäre der Menschen und den ohnehin nur ungenügend ausgestatteten Privatraum von oft traumatisierten Schutzsuchenden darstellen. Nach Krieg, Folter, Armut und existenzbedrohender Flucht benötigen diese Menschen eine möglichst ruhige und sichere Umgebung, sicherlich keine Re-Traumatisierung. Besonders erschüttert die Tatsache, dass von dem gestrigen Einsatz durch 600 uniformierte Beamt_innen morgens um 6 Uhr auch 300 Kinder in der Unterkunft betroffen waren. Dies verdeutlicht nachdrücklich, dass die Frage der Verhältnismäßigkeit offenbar an keiner Stelle des Entscheidungsprozesses gestellt wurde. Die Vermutung, dass sich Straftäter in der Unterbringung aufhalten, erscheint uns als mageres Argument für die Legitimation einer massiven polizeilichen Maßnahme.
Das Recht auf Unverletzlichkeit der Wohnung ist ein verfassungsrechtlich abgesichertes Allgemeingut, das besonderem Schutz bedarf. Die Durchsuchung aller Wohnräume und die Feststellung von Personendaten aller Bewohner_innen des Flüchtlingswohnheims in der Herkulesstrasse, scheint unseres Erachtens nicht zu rechtfertigen.
Auch die Argumentation, dass einzelne Bewohner_innen des Heims sich durch Mitbewohner_innen bedroht fühlen (Kölner Stadtanzeiger vom 07.11.2014), ist unseres Erachtens sicherlich ein Argument für eine menschenwürdigere und sicherere Unterbringung sowie für den Ausbau von Angeboten der parteilichen Sozialen Arbeit, jedoch keinerlei Grundlage für eine Polizeirazzia diesen Ausmaßes. Diese nachträgliche moralische Legitimation der polizeilichen Aktion wirkt mit Bezug auf das „sich bedroht fühlen“ der Menschen in der Herkulesstrasse zynisch.
Durch den Hinweis von Innenminister Jäger, dass diese Aktionen Teil einer europäischen Sicherheitsinitiative sind, drängt sich die Frage auf, welche politischen Motivationen hier aufscheinen. Die derartige Entrechtung der Menschen, die hier Schutz suchen, befeuert Ressentiments in der Bevölkerung, schürt Vorurteile und Rassismen und liefert rechten Gruppierungen Argumentationen, die mit der Pauschalkriminalisierung von Flüchtlingen ihr Alltagsgeschäft betreiben. Wir stellen uns die Frage, ob die Stadtgesellschaft ein solches Bild abgeben will und bitten die zuständigen und verantwortlichen Personen in Polizeiverwaltung und Politik öffentlich um Stellungnahme zu den stattgefundenen Aktionen und der Missachtung des persönlichen Schutzrechts der Betroffenen. Wir wünschen uns ihre Teilnahme an der öffentlichen Auseinandersetzung über die Verantwortung im Umgang mit Flüchtlingen in dieser Stadt.
Profin. Dr. Sigrid Leitner
Prof. Dr. Andreas Thimmel
Yasmine Chehata, Dipl. Sozialarbeiterin, M.A.
Judith Knabe, Dipl. Sozialarbeiterin, M.A.
Petra Ladenburger, Rechtsanwältin
Mitarbeiter_innen der Fakultät für Angewandte Sozialwissenschaften der Fachhochschule Köln
November 2014