Auf dem Weg zu einem neuen Lernen – Poetikvorlesungen starten am 25. Oktober 2022

Verletzlichkeit, Wildheit, Gnade: Das sind die Titel von drei Poetikvorlesungen, welche die Schriftstellerin Marica Bodrožic im Rahmen des Projekts „Pantherzeiten. Ein Buch für die TH Köln“ dieses Wintersemester an der Hochschule halten wird. Dabei soll der Verbindung von Literatur und inklusiver Pädagogik nachgegangen werden. Im Interview spricht Bodrožic über das Projekt und die Vorlesungen.

Porträtfoto von Marica Bodrožić Marica Bodrožić (Bild: Peter Von Felbert)

Das hochschulweite interdisziplinäre Projekt beschäftigt sich mit dem im Frühling 2020 entstandenen Buch „Pantherzeit. Vom Innenmaß der Dinge“ von Marica Bodrožic. Mit dem Buch hatte sich die TH Köln als eine von zehn Hochschulen erfolgreich am diesjährigen Wettbewerb „Eine Uni – Ein Buch beteiligt. In „Pantherzeit" teilt die Bodrožic ihre Gedanken rund um die Einschränkungen während der Corona-Pandemie. Sie befasst sich dabei unter anderem mit dem Wunsch des Menschen, in Freiheit zu leben, der Verbundenheit aller Lebewesen und dem Wert jedes Einzelnen.

Frau Bodrožic, Sie beginnen Ihr Buch mit Blick auf die Corona-Pandemie mit dem Bild eines hinter stählernen Gitterstäben lebenden Panthers. Wie frei ist dieser mittlerweile wieder?

Das ist vielleicht die wichtigste Frage, die man sich im Hinblick auf die gegenwärtige Situation unserer Freiheit – aber auch grundsätzlich – stellen kann. Ich glaube, dass allein die Frage bewusstseinsstiftend ist. Freiheit fängt schon damit an, zwischen den Gittern ein neues Wahrnehmen zu erlernen. Wir alle wollen ein Leben, ein Werden und Wachsen ohne Gitter. Da sie und die Begrenzung, die die Pandemie und alle anderen Themen unserer Zeit uns zugespielt haben, nun mal da sind, können wir uns selbst und das was uns umgibt nur in unseren Wahrnehmungen erfassen. Erst dann und manchmal erst Jahre später können wir aus dem Gesehenen, Empfundenen und Verstandenen wirklich etwas Neues lernen und anpacken. So wächst das Neue und damit auch die Freiheit eben manchmal langsam.

Ihr Buch wurde im Sommersemester in diversen Workshops, Seminaren, Vorträgen und Gesprächsrunden an unserer Hochschule fakultätsübergreifend thematisiert. Wie wichtig sind solche kollektiven Auseinandersetzungsprozesse?

Das ist nach meinem Gespür die Zukunft des Lernens. Was die TH Köln hier möglich gemacht hat, kann als wunderbarer Spiegel für das undogmatische Lernen dienen. Unsere Gegenwart ruft geradezu nach solchen Auseinandersetzungen, nach Prozessen des Sich-Verbindens. Die universale Kraft der Offenheit ist für eine Hochschule von elementarer Bedeutung und Literatur kann alle beteiligten Menschen wieder an einen neuen Anfang zurückführen. Ich freue mich unermesslich, dass aus meinem Buch solche Projekte wie an der TH Köln entstehen, die ein Miteinander fördern – und dass dieser wichtige Gedanke des Zueinander-Hingehens von Prof. Dr. Andrea Platte und Yasemin Aslanhan, die das Projekt an der Hochschule koordinieren, so präzise in die Realität umgesetzt wurde. Wir haben ja mit einer Pantherzeit-Lesung begonnen und die ersten Rückmeldungen haben mich schon zu Tränen gerührt und im besten Sinne aufgewühlt. Ich kann es immer noch nicht glauben, wieviel die Studierenden hier in sich selbst geöffnet haben – und das ist das Beste, das Wunderbarste, das geschehen kann.

Welche Bedeutung kann Literatur für wissenschaftliche Erkenntnisprozesse in verschiedenen Fachbereichen und Disziplinen haben?

Literatur kann einen Raum neu öffnen. Texte sind Leitern zu neuen Planeten, die erst im Inneren erkundet werden und die sich dann in der Außenwelt neu entzünden und aufstellen, an überraschenden Orten, mit neuen Farben im eigenen Denken. Wort für Wort erbaut sich die Wirklichkeit. Literatur kann Blickwinkel verändern, zu den Fundamenten des eigenen Wahrnehmens zurückführen und so zu einem neuen Blick auf Menschen, Gebäude, Landschaften, Lebendigkeit und viele weitere, auch nicht immer direkt sichtbare, Vorgänge führen.

Die Titel Ihrer Poetikvorlesungen lauten Verletzlichkeit, Gnade und Wildheit. Was erwartet Besucherinnen und Besucher in den Veranstaltungen?

Ich möchte in der ersten Vorlesung zunächst gerne zeigen, auf welche Weise ein einzelner Mensch verletzlich ist und wie das mit dem äußeren Leben zusammenhängt, mit Liebe, Gewalt und Freundlichkeit. Die Verletzlichkeit zeigt uns das Kostbare unseres Seins, sie verweist mit beharrlicher Zielgerichtetheit darauf, was es zu beschützen gilt und dass jeder Mensch wichtig ist, so wie er ist. Die Gnade, der Gegenstand der zweiten Vorlesung, ist das Geschenk, das daraus entsteht, wenn Menschen es wagen, einander nahe zu sein. Gnade aber im Sinne eines erwachten, eigenen Bewusstseins. Es ist ein Geschenk, das wir leben, gesehen werden und ein Recht auf Unversehrtheit haben, es denken und fordern dürfen. In der dritten Poetikvorlesung geht es um die Verfasstheit des Beginnens, um den Augenblick der wunderbaren Wildheit, aus der heraus neue Wirklichkeiten, neue Regeln, eine neue Kraft, ein neues Werden entstehen.

Oktober 2022


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