Ein Artikel aus dem Hochschulmagazin inside out #60 (2022)

Schmuckbild (Bild: chakisatelier/AdobeStock.com)

Schönes neues Metaverse?

Im Oktober 2021 kündigte Facebook-Gründer Mark Zuckerberg an, mit dem Metaverse ein virtuelles Universum schaffen zu wollen – neue Interaktionsmöglichkeiten durch Virtual, Augmented und Mixed Reality (VR, AR und MR) inklusive. Künftig sollen Nutzerinnen und Nutzer hier arbeiten, lernen, Sport treiben und andere Menschen treffen.

Medienökonom Prof. Dr. Christian Zabel spricht im Interview über Chancen, aber auch Grenzen der neuen Plattform.

Welche Möglichkeiten eröffnet das Metaverse?

Man kann sich vieles vorstellen: Konzerte, Sportevents, neue Formen der Zusammenarbeit. Das Attraktive daran ist, dass man sich in einer rein virtuellen Welt bewegt, die komplett kontrollierbar ist. Das ist vor allem für Veranstaltungsformate relevant. Leistungen, die in der realen Welt hohe Kosten verursachen, wie der Türsteher oder die Ticketkontrolle, lassen sich im digitalen Raum einfacher umsetzen. Viele Fragen sind aber noch offen: Wie hoch wird der Immersionsgrad sein, also wie tief tauchen Nutzerinnen und Nutzer ein? Welche Welten wird es geben? So offen waren auch die Entwicklungsmöglichkeiten, als das Internet aufkam. Viele Vorstellungen von damals sind inzwischen eingetreten, aber ein paar Fantasien sind auch nicht wahrgeworden. Eine solche Entwicklung lässt sich nur schwer vorhersagen. Das macht das Metaverse aber auch so interessant, denn wenn sich alle Erwartungen bewahrheiten, wird es – wie damals das Internet – eine völlig neue Qualität der Interaktion bringen.

Prof. Dr. Christian Zabel (Bild: Thilo Schmülgen/TH Köln)

 Wenn sich alle Erwartungen bewahrheiten, wird das Metaverse eine völlig neue Qualität der Interaktion bringen.”

Prof. Dr. Christian Zabel lehrt und forscht zu Digitalisierung und Innovationsmanagement in Unternehmen am Schmalenbach Institut für Wirtschaftswissenschaften.

Das Metaverse soll es unter anderem ermöglichen, Augmented-Reality-Elemente in die reale Welt zu integrieren. Wie kann man sich das vorstellen?

Beim Blick durch ein Gerät, zum Beispiel eine AR-Brille oder ein Handy, werden digitale Elemente sichtbar. Man kennt das beispielsweise von Pokémon Go. So kann man das Digitale mit dem Analogen verweben. Da gibt es unendlich viele Möglichkeiten, von der Mediennutzung über die Einspielung von Werbung bis zu funktionalen Anwendungen. Das sehen wir schon heute im B2B-Bereich: Zur Wartung von Maschinen werden auf das Werkstück zusätzliche Informationen projiziert. Man muss hier keine Dokumentation mehr ausdrucken oder auf dem iPad anschauen. Stattdessen sieht man durch die digitale Einspielung sofort, wo man beispielsweise eine Schraube lösen muss. Diese Technik könnte man natürlich auch auf die Privatwelt übertragen. Ob die Leute das wollen, wird man sehen, die maximale Vernetzung ist ja nicht immer gewünscht. Sicherlich muss es auch einfache Lösungen geben, Dinge auszublenden oder Funktionen zu deaktivieren. Vielleicht wird sich auch zeigen, dass ein Handy als Gerät beliebter ist als ein Wearable, weil man das Smartphone weglegen kann und nicht immer alle Informationen im wahrsten Sinne des Wortes vor Augen hat.

Wovon hängt es ab, ob sich die Erwartungen an das Metaverse erfüllen?

Abgesehen von der Gaming-Branche sind Geräte wie VR-Brillen oder -Controller in Privat- haushalten noch nicht weit verbreitet. Schätzungen zufolge gibt es erst eine Million Geräte in Deutschland. Dementsprechend stehen wir hier noch ganz am Anfang. Außerdem mangelt es noch an der technischen Qualität: Es gibt Probleme mit der grafischen Auflösung, der Bewegungsfreiheit, dem Tragekomfort und mit der sogenannten Cybersickness, also Übelkeit, Schwindelgefühle, Müdigkeit oder Kopfschmerzen während oder nach der Benutzung von VR-Geräten. Diese Faktoren schränken die Nutzbarkeit ein. Ein Handy kann man im Vergleich dazu ohne Probleme zehn Stunden am Tag nutzen. Vielleicht brennen die Augen ein bisschen, aber die Usability ist fast perfekt. Bei VR-Geräten ist man noch nicht an diesem Punkt angekommen. Die Verbreitung wächst zwar, aber der Wendepunkt ist noch nicht erreicht: Das Handy hat fünf Jahre gebraucht, um 70 bis 80 Prozent Marktpenetration zu erreichen. Fünf Jahre nach Einführung moderner VR-Geräte sind wir noch nicht mal bei fünf Prozent.

Die VR-Branche ist auch Fokus Ihres neuen Forschungsprojekts. Worum geht es konkret?

Wir untersuchen im Auftrag des Mediennetzwerks NRW zum fünften Mal in Folge die Entwicklung der XR-Branche in Deutschland. Das schließt Virtual, Mixed und Augmented Reality ein. Jedes Jahr gibt es ein Schwerpunktthema für die Studie. 2022 ist es das Metaverse, weil wir im Zuge der Ankündigung von Meta und anderen Unternehmen untersuchen wollen, was das für die XR-produzierende Branche bedeutet. Unsere Studien haben gezeigt, dass die Zahl der Unternehmen in Deutschland in diesem Bereich stetig steigt, aktuell sind es knapp 1.300. Das macht deutlich: Das Metaverse ist nicht nur von Meta abhängig. Das Unternehmen wird natürlich ein wesentlicher Player sein, aber es gibt noch viel mehr Firmen, die sich im XR-Bereich bewegen.

Meta ist mit Facebook, Instagram und WhatsApp einer der einflussreichsten Konzerne. Welche Ziele verfolgt das Unternehmen mit der Einführung des Metaverse?

Meta ist an einen Sättigungspunkt gekommen. Wenn man schon 2,5 Milliarden Nutzerinnen und Nutzer hat, ist nicht mehr viel Entwicklungsraum vorhanden. Um zehn Prozent Wachstum zu erzielen, müssen dann 200 bis 300 Millionen Neukundinnen und -kunden gewonnen werden. Jüngst gingen die Zahlen in den Kernmärkten sogar erstmals zurück: Facebook und Instagram verlieren vor allem die jungen Nutzerinnen und Nutzer an Snapchat und TikTok. Die gewinnt man nicht mit einem Online-Game oder anderen Kleinigkeiten zurück. In dieser Größenordnung bewegt das die Nadel nicht mehr. Das Metaverse könnte aber „the next big thing“ sein. Deshalb hat Meta das substanzielle Investment gewagt: Das Metaverse könnte ein Game Changer werden.

Ein Artikel aus dem Hochschulmagazin inside out #60 (2022)


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