Bürgergeld – mehr als nur ein neuer Name?

Zum Jahreswechsel plant die Bundesregierung, das sogenannte Bürgergeld einzuführen. Prof. Dr. Ragnar Hoenig vom Institut für Soziales Recht und Prof. Dr. Johannes Schütte vom Institut für Sozialpolitik und Sozialmanagement sprechen im Interview über die Änderung.

Für wen ist das Bürgergeld?

Hoenig: Aus rechtlicher Sicht löst das Bürgergeld die Leistungen Arbeitslosengeld II und Sozialgeld des Sozialgesetzbuches II ab, die landläufig als Hartz IV bezeichnet werden. Das Bürgergeld soll – wie die bisherigen Leistungen auch – Erwerbsfähige und die Mitglieder ihrer Bedarfsgemeinschaft unterstützen, wenn sie das Existenzminimum aus dem vorhandenen Einkommen und Vermögen nicht bestreiten können.

Portrait Prof. Schütte und Prof. Hoenig Prof. Dr. Johannes Schütte und Prof. Dr. Ragnar Hoenig (Bild: Thilo Schmülgen/TH Köln; privat)

Welche Änderungen wird es geben?

Hoenig: Auf den ersten Blick wird erst einmal der Name geändert. Doch auf den zweiten Blick gibt es eine Reihe von beachtlichen Änderungen: So soll der Regelbedarf für Alleinstehende zum 1. Januar 2023 um rund 50 Euro angehoben werden. Das ist eine beträchtliche Erhöhung und hängt mit dem Anstieg der Energiekosten zusammen. Auch darüber hinaus will man dafür sorgen, dass die Leistungen besser an die tatsächliche Entwicklung angepasst werden. Das Spannende sind die Unterkunftskosten. Bis vor der Pandemie hatten wir die Situation, dass bei unangemessenen Unterkunfts- und Heizkosten Arbeitslosengeld II- und Sozialgeld-Beziehende Umzugsaufforderungen erhalten haben. Hier will der Gesetzgeber, dass die Jobcenter für eine Karenzzeit von einem Jahr für unangemessene Kosten aufkommen, damit man sich mit dem Eintritt in die Leistung nicht sofort eine neue Wohnung suchen muss, sondern sich auf die Jobsuche konzentrieren kann.

Schütte: Ein Punkt, den ich für besonders positiv halte, ist die Aufweichung des Vermittlungsvorgangs in Arbeit. Das ist für mich auch eine Veränderung der inneren Logik des Gesetzes. An der Stelle wird für mich am stärksten deutlich, dass man sich von dem alten Hartz-IV-Spruch ,Jede Arbeit ist besser als keine Arbeit‘ verabschieden möchte. Wenn Menschen darlegen können, dass es für sie sinnvoller ist eine Weiterbildung zu machen, um sich damit für andere Berufswege zu qualifizieren, soll das in Zukunft als Grund anerkannt werden, nicht einfach jeden verfügbaren Job anzunehmen. Dies könnte dazu beitragen, Menschen längerfristig in bessere Arbeit zu bringen und damit nachhaltiger in Erwerbsarbeit zu integrieren.

Warum ist die Möglichkeit zur Weiterqualifizierung wichtig?

Schütte: Ein Ziel der damaligen Hartz-Reformen war die Etablierung eines staatlich organisierten Niedriglohnsektors. Das hat geklappt – den haben wir nun. Wir merken jetzt allerdings, dass im Vergleich zu damals ein immer größerer Bedarf an qualifiziertem Personal besteht. Neben dem politischen Interesse, dem steigenden Fachkräftebedarf auf dem Arbeitsmarkt etwas entgegenzusetzen, könnte die Bürgergeldreform mehr Freiraum schaffen für eigene Zukunftsentscheidungen der Leistungsempfänger*innen. Wie groß die Spielräume der Leistungsempfänger*innen tatsächlich sein werden, lässt sich erst zu einem späteren Zeitpunkt abschätzen. Die tiefgreifenden Änderungen, die im Vermittlungsausschuss eingebracht worden sind, machen mich da allerdings eher skeptisch.

Wie sieht es mit Sanktionen und dem Einbehalten von Vermögen aus?

Schütte: Nach einer Karenzzeit, in der nun ein Schonvermögen von 40.000 Euro vorgesehen ist, darf man 15.000 Euro als privates Vermögen zur Absicherung behalten. Hier sind Verbesserungen zu erkennen, dass nicht mehr alles eingebracht werden muss, bevor man Leistungen beziehen kann.

Hoenig: Insgesamt entschärft der Gesetzgeber jetzt das Sanktionsregime, auch wenn es im Vermittlungsverfahren wieder Änderungen gegeben hat, die man sich im Einzelnen nochmal genau ansehen muss. Positiv bleibt vor allem, dass die schärfere Sanktionierung der unter 25-Jährigen, die verfassungsrechtlich immer angezweifelt wurde, abgeschafft wird. Da ist der Gesetzgeber progressiver, weil die Frage noch nicht vor dem Verfassungsgericht verhandelt wurde. Das wäre womöglich der nächste Punkt gewesen, mit dem Hartz IV vor dem Verfassungsgericht gelandet wäre.

Wie bewerten Sie das geplante Bürgergeld?

Schütte: Man kann immer sagen: ,Das ist nicht ausreichend.‘ Vor dem Hintergrund, dass im Vermittlungsausschuss die Abkehr von der Hartz IV-Logik weiter aufgeweicht wurde spricht einiges dafür. Aber ich würdige zunächst das Engagement der Bundesregierung, das Thema relativ schnell und in der aktuellen Zeit anzugehen. Ich traue den Maßnahmen zu, dass damit eine Änderung angestoßen werden kann. Die Reform ist alleine nicht ausreichend und es muss weitergehen. Um die außergewöhnlichen Belastungen abzufedern, die der Krieg gegen die Ukraine, die Energiekrise und die Inflation verursachen, muss es aus meiner Sicht zusätzliche Unterstützungen für Erwerbslose und Menschen mit geringen Einkommen geben. Auch bezüglich der Höhe der Regelsätze sehe ich grundsätzlich weiteren Diskussionsbedarf.

Hoenig: Das Grundgesetz verpflichtet den Gesetzgeber, das Existenzminimum durch einen gesetzlichen Anspruch sicherzustellen. Die Frage ,Was gehört im Einzelnen zum Existenzminimum?‘ ist eine politische Frage und die kann man mit dem Grundgesetz nicht beantworten. Aus rechtlicher Sicht finde ich anzuerkennen, dass der Gesetzgeber die schärfere Sanktionierung von Menschen unter 25 abschaffen und den außergewöhnlichen Preissteigerungen bei den Regelsätzen zeitnah Rechnung tragen will. Dabei handelt es sich um verfassungsrechtliche Notwendigkeiten, die bei den Entscheidungsträgern bislang keine ausreichende Unterstützung gefunden haben. Ob der Gesetzgeber mit dem Gesetz auch die politischen Versprechen einlösen kann, die mit dem Bürgergeld kommuniziert werden, ist eine andere Frage.

November 2022

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