Fakultät für Angewandte Sozialwissenschaften

Campus Südstadt
Ubierring 48, 50678 Köln

Appell zur Schließung der Landesaufnahmeeinrichtungen für Geflüchtete

In einem offenen Brief fordert die Fakultät für Angewandte Sozialwissenschaften die Landesregierung NRW auf, die Landesaufnahmeeinrichtungen für Geflüchtete zu schließen und die Menschen dezentral, quarantänegerecht, familiengerecht und mit Anbindung an die Sozialberatung unterzubringen.

Sehr geehrter Herr Minister Laumann, sehr geehrter Herr Minister Dr. Stamp,
sehr geehrte Frau Reker,

wir fordern Sie in aller Dringlichkeit auf:

Schließen Sie die Landesaufnahmeeinrichtungen für Geflüchtete, bringen Sie die Menschen dezentral, quarantänegerecht, familiengerecht und mit Anbindung an die Sozialberatung unter!

Aktueller Anlass unseres Appells sind die Zustände in der Erstaufnahmeeinrichtung (EAE) in Köln-Bayenthal. Dort herrschen Zustände, die das Leben der Geflüchteten gefährden können und sie den verschiedenen Gefahren durch das Corona-Virus in besonderer Weise aussetzen. Familien, schwangere Frauen, Alleinstehende, auch Kranke und ältere Menschen müssen zum Teil schon seit Monaten in einer Containerunterkunft ausharren, die eigentlich nur für einen kurzen Aufenthalt vorgesehen ist. In dieser Unterkunft leben aktuell etwa 480 Menschen in großer Enge und Nähe zueinander.

Der Gesetzgeber hat ausdrücklich die Entlassung aus den Aufnahmeeinrichtungen des Landes vorgesehen, wenn dies aus Gründen der öffentlichen Gesundheitsvorsorge erforderlich ist (§ 49 Abs. 2 AsylG). Dies ist aus unserer Sicht in der aktuellen Situation dringend geboten.

Denn das, was uns momentan die Geflüchteten selbst, Studierende der Sozialen Arbeit im Praxisstudium sowie Fachkolleg*innen der Praxis schildern, widerspricht aus unserer fachlichen Sicht einem verantwortungsvollen Gesundheitsschutz. Einige Beispiele:

Verpflegungssituation

Die Mahlzeiten müssen von allen in einem einzigen Raum (Mensa) eingenommen werden, wobei für jede Mahlzeit ein Zeitfenster von 1,5-2 Stunden zur Verfügung steht. Die Tische stehen dicht beieinander und es wird selbst hochschwangeren Frauen oder Familien mit kleinen Kindern nicht gestattet, das Essen mit auf das Zimmer zu nehmen. Die Frauen berichten, dass sie aus Angst vor Ansteckung die Mensa nicht mehr aufsuchen, sondern versuchen, von dem wenigen Taschengeld (105,-- € für eine vierköpfige Familie pro Woche) für sich und die Kinder Nahrungsmittel zu kaufen, die sie dann – natürlich ohne Kochmöglichkeit – auf den Zimmern einnehmen.

Wohnsituation

In der Familienabteilung bewohnt jede Familie – auch fünf Personen oder mehr – ein Container-Segment von 12 qm. Alleinstehende teilen sich ein solches Segment zu vier Personen. Es fehlt an den notwendigen Gegenständen für Neugeborene, selbst die Zubereitung von Warmwasser (etwa für Milchnahrung) ist verboten. 10 Familien – also 40 bis 50 Personen - teilen sich 4 Toiletten und 4 Duschen. Die sanitären Anlagen sind unzumutbare Infektionsorte; sie werden zwar einmal täglich oberflächlich gereinigt, nicht aber Flächen und Griffe desinfiziert. Desinfektionsspender gibt es, aber diese sind meist leer. Masken stehen nur für das Personal zur Verfügung, nicht für die Bewohner*innen. Die Spielangebote für Kinder sind eingestellt, schulische Angebote gab es noch nie, die Außenanlage ist viel zu klein und bietet den Kindern keine Bewegungsmöglichkeit. Die ratsuchenden Frauen* und alle Menschen in der Einrichtung haben Angst vor Ansteckung, aber sie haben keine Möglichkeit Abstand zu halten und sich zu schützen.

Untragbare Quarantänemaßnahmen

Aus anderen Landeseinrichtungen ist bekannt, u.a. Bielefeld und Königswinter, was eine Quarantäne konkret für die Bewohner*innen bedeutet: Die Menschen dürfen ihre Zimmer nicht mehr verlassen, sie bekommen das Essen gebracht, aber keine Getränke, nicht mal Teebeutel. Die Betroffenen können sich nichts mehr selbst kaufen, keine ergänzenden Nahrungsmittel für die Kinder, zusätzliche Seife etc. Sie können keine Handy-Karten kaufen und sind dadurch auf besondere Weise einer langen Isolation ausgesetzt, die vor allem für die Kinder unhaltbar ist. Die Einrichtungen bieten nur eine medizinische Mindestversorgung, externe Ärzte können nicht mehr aufgesucht werden und auch keine Beratungsstellen, keine Unterstützer*innen, die die Herkunftssprache sprechen. Die Stimmung ist aufgeladen, es gibt Konflikte und Aggressionen.

Als Vertreter*innen einer Fakultät für Angewandte Sozialwissenschaften, die sich fachlich, wissenschaftlich und in der Lehre mit sozialpolitischen, individuellen und institutionellen Lebensbedingungen beschäftigt, stellen wir uns nicht nur im Bereich der Unterkünfte für geflüchtete Menschen derzeit vor allem Fragen, die die Sicherstellung des Gewalt- und Kinderschutzes betreffen und die Umsetzung von Schutzkonzepten beinhalten.

Im Falle einer notwendigen Quarantäne sehen wir bei Menschen mit Fluchterfahrungen besondere Notwendigkeiten und Schutzbedürfnisse. Das Beispiel Köln-Bayenthal steht dabei für viele Landesunterkünfte, in denen eine fachgerechte und menschenwürdige Unterbringung sowie eine angemessene Gesundheitsversorgung derzeit aus unserer Sicht nicht gewährleistet ist. In Anbetracht der unklaren Situation, wie lange die Kontaktsperren und die besonderen politischen und sozialen Härten derzeit noch getragen werden müssen, sehen wir sofortigen Handlungsbedarf in Bezug auf eine dezentrale Unterbringung und eine Auflösung der engen Wohnverhältnisse sowie den Zugang zu allen Gesundheits- und Fachdiensten sowie Kinderbetreuungsangeboten.

Wir unterstützen deshalb die Fachinformationen und offenen Briefe der Kolleg*innen und plädieren nachdrücklich für eine dezentrale Unterbringung.

Auf kommunaler Ebene:

Offener Brief der Frauenberatungsstelle Agisra e.V. in Köln
Zur aktuellen Situation in der Landeserstaufnahmeeinrichtung Köln-Bayenthal vom 23.04.2020
https://agisra.org/offener-brief-zur-aktuellen-situation-in-der-landeserstaufnahmeeinrichtung-in-koeln-bayenthal/

Auf Bundesebene:

Deutscher Jurist*innenbund:
„Umgehende dezentrale Unterbringung! djb fordert wirksamen Gesundheits- und Gewaltschutz von Geflüchteten“ Pressemitteilung vom 23.04.2020
https://www.djb.de/verein/Kom-u-AS/K4/pm20-16/

Berliner Bündnis vom 29.04.2020:
„Obdachlose und wohnungslose Menschen mit und ohne Migrations- oder Fluchtgeschichte schützen jetzt – drohende Katastrophen verhindern!“ 10-Punkte-Plan einer Berliner Initiative
http://wohnungslosentreffen.de/berlin-10-punkte-nothilfeplan.html

Internationale Forderungen:

u.a. des Zolberg-Institutes on Migration and Mobility:
Human mobility and human rights in the COVID-19 pandemic: Principles of protection for migrants, refugees, and other displaced persons
https://zolberginstitute.org/wp-content/uploads/2020/04/Human-mobility-and-human-rights-in-the-COVID_final-1.pdf

Aktionsgemeinschaft junge Flüchtlinge NRW
https://jugendsozialarbeit.news/aktionsgemeinschaft-fordert-gefluechtete-dezentral-unterzubringen/

Mit freundlichen Grüßen

Für die Fakultät für Angewandte Sozialwissenschaften

Prof. Dr. Gerd Sadowski

(Dekan)

Mai 2020

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