Wie die Elektromobilität das Autodesign verändert

Die Zukunft soll der Elektromobilität gehören: Die neue Bundesregierung will bis Ende 2030 rund 14,5 Millionen Elektroautos mehr auf den Straßen haben. Aber wie sieht diese Zukunft eigentlich aus? Und wie wird sich das Straßenbild in den nächsten Jahren verändern? Prof. Paolo Tumminelli von der Köln International School of Design (KISD) spricht im Interview über den Wandel im Autodesign.

Paolo Tumminelli Prof. Paolo Tumminelli (Bild: Victor Kaiser)

Prof. Tumminelli, in den kommenden neun Jahren soll es 30 Prozent mehr E-Autos auf deutschen Straßen geben. Erwartet uns Ende 2030 ein neues Straßenbild?

So weit würde ich nicht gehen. Wir befinden uns zwar am Beginn einer Mobilitätsrevolution, aber zurzeit findet Veränderung noch sehr langsam statt. Dieser Status quo ist vergleichbar mit der Situation von vor rund 115 Jahren, als Kutsche und Pferd durch das Automobil ersetzt wurden. Die ersten Autos waren in ihrem Design damals noch der Kutsche nachempfunden – und das Pferd wurde einfach durch einen Motor ersetzt. Es fehlte am Beginn dieses Prozesses an Ansätzen und Visionen, die neue Mobilität optisch aufzulösen und räumlich auszunutzen. So ist es auch jetzt mit E-Fahrzeugen. Das Design- und Nutzungskonzept der Stromer ähnelt noch sehr stark dem von Verbrennern – und das obwohl Batterieautos nur rund ein Drittel der mechanischen Komponenten eines herkömmlichen Autos besitzen. Getriebe, Kupplung oder Auspuff zum Beispiel sind überflüssig. Das E-Auto ließe sich also völlig neu definieren, momentan hält die Automobilindustrie aber noch am erlernten Designstandard fest.

Woran liegt das?

Die Gründe dafür sind vielfältig. In erster Linie hat es sicherlich mit Gewohnheit zu tun, dass die Möglichkeiten nicht voll ausgeschöpft werden. Die Hersteller verhalten sich bei Innovationen eher konservativ, um ihre Kundinnen und Kunden nicht zu beunruhigen und zu verschrecken. Hier will niemand seine Markenidentität aufs Spiel setzen. Es fehlt meiner Meinung nach aber auch eine klare politische Ausrichtung. Dass Plug-in-Hybride, also Fahrzeuge, die einen Elektroantrieb mit einem Verbrenner kombinieren, so stark gefördert werden wie bisher, halte ich für einen Fehler. Sie bieten zwar einerseits einen leichten Einstieg in die Elektromobilität – allein im ersten Halbjahr 2021 machten Plug-in-Hybride einen Anteil von mehr als 50 Prozent an den neu zugelassenen Fahrzeugen mit Elektroantrieb aus. Andererseits ist aber nicht nachvollziehbar, wie häufig sie im elektrischen Betrieb genutzt werden und der eigentliche Klimanutzen ist damit völlig unklar. Das bremst sowohl die Elektromobilität als auch die Entwicklung neuer Designkonzepte aus.

Wie könnte Bewegung in die Gestaltung neuer Formen kommen?

Wir haben die Elektromobilität noch nicht vollends im Griff. Das heißt, dass wir noch nicht genau wissen, wo die Reise eigentlich hingeht, also wie der Antrieb der Zukunft mal aussehen wird. Ob Batteriezellen, Superkondensatoren oder am Ende doch Wasserstoff – für die Autoindustrie ist da noch zu viel Unsicherheit. Neben diesen äußeren Rahmenbedingungen muss sich aber auch die innere Haltung verändern: Wir müssen uns von den Mythen Größe und Geschwindigkeit verabschieden, die bisher die Form von Autos maßgeblich mitbestimmt haben. Insbesondere im urbanen Raum haben diese Vorstellungen keinen Nutzen mehr, weil dort wenig Platz ist und es in der Regel relativ langsam vorangeht. Mit diesen Mustern muss man in Gedanken brechen – das würde Veränderungen im Autodesign beschleunigen.

Wie könnte das Autodesign der Zukunft aussehen?

Eine aerodynamische Form ist erst ab einer Geschwindigkeit von etwa 80 Kilometer pro Stunde notwendig. Da diese Grenze im städtischen Raum selten überschritten wird, könnte man hier künftig wohnlichere Formkonzepte anstreben. Das und die Tatsache, dass im Vergleich zu einem Verbrenner weniger technische Elemente notwendig sind, eröffnen ganz neue räumliche Möglichkeiten. Ein Beispiel: Man denke an das teure Wohnen in München-Schwabing. Dort stehen zahlreiche Autos ungenutzt vor der Tür – jedes belegt etwa 10 Quadratmeter Fläche, das entspricht einem kleinen Zimmer, Raumwert umgerechnet etwa 100.000 Euro. Begreift man das Auto mehr als mobilen Raum und verändert auch das Design dementsprechend, könnte es etwa auch als Wohnraum-Gewinn gelten. Ein automobiles Arbeits- oder Spielzimmer wäre mit Elektromobilität grundsätzlich vereinbar.

Geht man einen Schritt weiter in Richtung autonomes Fahren können diese Vorstellungen noch ausgebaut werden: Prinzipiell könnte es hier möglich sein, dass man beispielsweise abends im Auto sitzt, ,Berlin‘ in eine Schaltfläche eintippt und das Auto selbständig bei 50 Kilometer pro Stunde fährt, während man einen Film sieht oder einfach schläft. Die klassische Anordnung im Inneren des Autos mit Sitzen, die der Frontseite des Fahrzeugs zugewandt sind, wäre dann nicht mehr notwendig. Stattdessen hätten beispielsweise ein Sofa oder ein Bett Platz im Auto – eine Vision, die der Architekt Le Corbusier bereits vor 90 Jahren formulierte.

Wann könnten solche Vorstellungen Realität werden?

Das lässt sich schwer sagen. Bis sich das Straßenbild wie wir es jetzt kennen komplett verändert hat, wird es sicherlich noch einige Jahrzehnte dauern. Dazu müssen erst noch einige technische und politische Voraussetzungen geschaffen werden, vor allem braucht es aber Mut zu Visionen. Und auch wenn diese Voraussetzungen alle gegeben sind: Aus Sicht der privaten Kundinnen und Kunden fehlt es in Deutschland an Kaufkraft, um bis Ende 2030 ein völlig neues Bild auf den Straßen zu schaffen. Andererseits: Wenn eine solche disruptive Entwicklung wie beim Smartphone in Gang gesetzt wird, könnten sich Mobilität und Autodesign auch wesentlicher schneller verändern, als man das jetzt absehen kann.

Januar 2022

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