Inflation: Ursachen, Gefahren und mögliche Gegenmaßnahmen

Prof. Dr. Agnieszka Gehringer (Bild: Heike Fischer/TH Köln)

Inflationsraten von über sieben Prozent: Eine so hohe Teuerung gab es in Deutschland zuletzt in den 1970er Jahren. Prof. Dr. Agnieszka Gehringer vom Schmalenbach Institut für Wirtschaftswissenschaften erläutert im Interview Ursachen, Folgen und mögliche Gegenstrategien.


Frau Prof. Gehringer, was verursacht die aktuellen Inflationsraten?

Für die weltweit hohen Inflationsraten gibt es interessanterweise unterschiedliche Gründe. Schauen wir zuerst auf unsere Situation: Deutschland hatte im Juni eine Inflationsrate von 7,6 Prozent im Vergleich zum Vorjahresmonat, in der gesamten Eurozone waren es 8,6 Prozent. Treiber sind im Wesentlichen die Energie- und Nahrungsmittelpreise. Bei der Energie sehen wir seit Beginn des Ukraine-Kriegs eine kontinuierliche Steigerung, die im Juni ihren bisherigen Höhepunkt mit einem Plus von satten 38 Prozent zum Vorjahresmonat erreichte. Für Nahrungsmitteln hatten wir im Juni eine Inflationsrate von 12,7 Prozent. Hier befinden wir uns vermutlich am Anfang eines längeren Aufwärtstrends. Der Dienstleistungsbereich ist viel weniger betroffen, hat aber auch eine eher steigende Tendenz. Zusammengefasst: Die Teuerung in der Eurozone wird weitgehend von der Angebotsseite getrieben, denn die Produzenten erhöhen die Preise aufgrund externer Effekte wie dem Ukraine-Krieg und der Corona-Pandemie. Anders ist die Lage in den USA. Dort wird die Inflation auch von der Nachfrageseite getrieben – zuletzt auf 9,1 Prozent. Die Verbraucherinnen und Verbraucher, Unternehmen und der Staat geben aktuell viel Geld aus und erhöhen so die Nachfrage nach bestimmten Produkten, was ebenfalls die Preise erhöht. Obwohl das Resultat dasselbe ist, erfordern beide Fallbeispiele verschiedene Antworten.

Bevor wir zu möglichen Gegenmaßnahmen kommen: Warum sollte Inflation überhaupt bekämpft werden?

Durch einen starken Preisanstieg schwindet die Kaufkraft des Geldes, was ein äußerst schädliches Phänomen befeuern kann: die sogenannte Lohn-Preis-Spirale. Vereinfacht gesagt verursacht eine hohe Inflationsrate umfassendere Lohnforderungen durch die Gewerkschaften; das erhöht die Produktionskosten und damit wiederum die Preise, was erneute Lohnforderungen nach sich ziehen kann und so weiter. Darauf müssten die Zentralbanken irgendwann mit einer starken Zinserhöhung reagieren, was allerdings das gesamte Wirtschaftssystem in eine Krise schicken kann. Daher sind Inflationsraten von rund zwei Prozent wünschenswert, weil sie ein gemäßigtes und kontinuierliches Wachstum reflektieren.

Was kann der Staat jetzt tun, um die Inflationsraten zu senken?

Die Europäische Zentralbank ist die erste Instanz, wenn es um stabile Preise geht. Ihr Hauptinstrument ist der Leitzins. Der Mechanismus: Erhöhen die Zentralbanken die Zinsen, verschlechtern sich die Finanzierungsbedingungen für die Geschäftsbanken und die Kreditnehmerinnen und -nehmer. Investitionen und Kaufentscheidungen werden zurückgefahren und der Preisdruck sinkt. Allerdings dauert es etwa zwei Jahre, bis dieser Effekt eintritt. Trotzdem lässt sich mit diesem Mittel eine nachfrageseitige Inflation wie in den USA gut steuern. Bei einer angebotsseitigen Teuerung wie vor kurzem noch in der Eurozone hat die Geldpolitik nur begrenzt Möglichkeiten. Viele Ökonominnen und Ökonomen plädieren daher dafür, solche Inflationen durchlaufen zu lassen, solange Effekte wie die Lohn-Preis-Spirale ausbleiben.

Wie kann sonst noch Einfluss genommen werden?

Die Zentralbanken sind nicht die einzigen Player, wenn es um Preisstabilität geht. Daher hat Kanzler Scholz gerade in der sogenannten Konzertierten Aktion Arbeitgeber, Gewerkschaften, Verbände, Wissenschaft, Ministerien und Bundesbank an einen Tisch geholt. Im Kern geht es darum, exzessive Lohnsteigerungen zu verhindern und die Arbeitnehmerinnen und -nehmer beispielsweise über Einmalzahlungen zu entlasten, damit es nicht zur andauernden Lohn-Preis-Spirale kommt. Denn eines ist klar: Die aktuelle Situation birgt enormen gesellschaftlichen Sprengstoff. Vor allem die ärmeren Haushalte leiden unter der hohen Inflation, da sie relativ viel ihres Einkommens für den Konsum ausgeben müssen. Allerdings muss man die Erwartungshaltungen an so eine Konzertierte Aktion in Grenzen halten. Die Vergangenheit hat gezeigt, dass es ein sehr komplexes Vorhaben ist, die Parteien zu einer Einigung zu bewegen.

Was wäre Ihre Idealvorstellung, wie der Staat die aktuelle Situation angehen sollte?

Wir sollten aus der Vergangenheit lernen. In den 1970er Jahren war die Deutsche Bundesbank mit einer globalen Inflation durch die Ölpreiskrise konfrontiert. Durch rechtzeitige Zinserhöhungen konnte sie den Inflationsdruck begrenzen und den wirtschaftlichen Schaden vergleichsweise gering halten. Ungefähr zur gleichen Zeit hat die US-Notenbank mit der Inflationsbekämpfung zu lange gezögert, sodass sie im Ergebnis durch einen sehr drastischen Zinserhöhungszyklus zu einer Wirtschaftskrise in der US-Wirtschaft beigetragen hat.

Die vergangenen Erfahrungen sprechen daher für zeitnahe Zinserhöhungen seitens der EZB. Denn auch wenn wir noch überwiegend eine angebotsseitig getriebene beobachten, ist bereits ein gewisser Lohndruck zu spüren. Ein halber Schritt in Richtung einer Lohn-Preis-Spirale ist schon gemacht. Die Zentralbank müsste das jetzt erkennen und agieren. Parallel braucht es zeitlich begrenzte Unterstützungen für ärmere Haushalte mit spezifischen, gezielten Maßnahmen wie etwa einem Energie-Geld.

Juli 2022

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