Was gegen Hasskriminalität bei Telegram wirklich hilft

Professor Dr. Christian-Henner Hentsch (Bild: TH-Köln)

Die neue Bundesinnenministerin Nancy Faeser hat letzte Woche zum wiederholten Male Maßnahmen gegen den Instant-Messaging-Dienst Telegram gefordert, um gegen Hass im Internet vorzugehen.

24.01.2022

Professor Dr. Christian-Henner Hentsch M.A., LL.M.; Professor für Urheber- und Medienrecht an der TH Köln

Zunächst hatte sie dem Dienst mit der Abschaltung gedroht[i] und dann die App-Store-Betreiber aufgefordert, die App aus ihrem Angebot zu nehmen.[ii] So wohlfeil dies ist, ist es doch lediglich ein herumdoktern an den Symptomen – mit möglicherweise verheerenden Kollateralschäden für die Meinungsfreiheit. Dabei zeigt der folgende Überblick über die unterschiedlichen Anknüpfungspunkte für eine Plattformhaftung, dass letztendlich nur eine Maßnahme dauerhaft wirksam sein kann.

Grundsätzlich gilt für die Haftung im Internet, dass nur der Content Provider – also der Uploader – als Täter haftet. Hostprovider wie soziale Medien oder Vermittler wie Kommunikationsdienste haften nur subsidiär, also wenn der Täter nicht verantwortlich gemacht werden kann. Dies ist auch in dieser Debatte richtig, denn der Hass geht hier von Menschen aus, nicht von Telegram. Um allerdings die Opfer vor andauernden und unzumutbaren Verletzungen zu schützen, gibt es für Plattformen Kooperationspflichten.

Über Telegram können Nutzer Text- und Sprachnachrichten direkt oder über teils öffentliche Chats standardmäßig verschlüsselt austauschen und miteinander (video)telefonieren. Damit handelt es sich zumindest für diese Dienste um einen interpersonellen Telekommunikationsdienst nach § 3 Nr. 24 TKG. Als ein solcher Telekommunikationsdienst treffen Telegram zwar Meldepflichten und Pflichten zur Herausgabe von Bestandsdaten, aber für eine Überwachung der Kommunikation sind sie gerade nicht verpflichtet. Hier gilt grundsätzlich das Fernmeldegeheimnis. Dieses darf zwar von den Ermittlungsbehörden unter strengen Voraussetzungen bei strafrechtlich relevanten Nachrichten mit einer richterlich angeordneten Quellen-TKÜ durchbrochen werden, aber das zielt vor allem auf schwere Straftaten und organisierte Kriminalität ab. Wenn sich Telegram – wie angekündigt – einer solchen Kooperation widersetzt, kann seit der Einführung des sogenannten Marktortprinzips durch die jüngste Novelle des TKG die Bundesnetzagentur (BNetzA) als nun dem Bundesministerium für Verkehr und Digitales nachgeordnete Behörde Sanktionsmaßnahmen bis hin zur Bereitstellungsverhinderung eines Dienstes ergreifen. Wie die Bundesinnenministerin also richtig angemerkt hat, ist dies grundsätzlich als ultima ratio möglich, aber bislang hat die BNetzA zumindest öffentlich noch keinen Kontakt zu Telegram aufgenommen.

Das Bundesamt für Justiz (BfJ) im Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Justiz ist hier schon einen Schritt weiter. Weil in Deutschland weit mehr als zwei Millionen registrierte Nutzer über Telegram neben Text- und Sprachnachrichten auch Fotos und Videos in Gruppen bis zu 200.000 Mitgliedern oder in öffentlichen Kanälen austauschen können und weil mit der Einführung von Telegram Ads eine Gewinnerzielungsabsicht vermutet werden darf, greift nach Ansicht des Amtes statt der allgemeinen Providerhaftung nach § 10 TMG das speziellere Netzwerkdurchsetzungsgesetz. Entsprechend müsse Telegram einen leicht erkennbaren und unmittelbaren Meldeweg für strafbare Inhalte einrichten und einen Zustellungsbevollmächtigten benennen. Weil Telegram diesen Pflichten nicht nachgekommen sei, hat das BfJ bereits im Sommer letzten Jahres ein Bußgeldverfahren eingeleitet, das es vor dem Ergreifen weiterer Schritte abzuwarten gilt. Mit dem Inkrafttreten der Novelle[iii] des NetzDG zum 1. Februar 2022 werden Dienste mit Sitz der in der EU zwar vom Anwendungsbereich ausgenommen, aber Telegram sitzt angeblich ja in Dubai[iv] und damit im EU-Ausland.

Auch die Landesmedienanstalten können Maßnahmen ergreifen, wenn Telegram den Pflichten aus dem neuen Medienstaatsvertrag nicht nachkommt. So können Telegram-Kanäle mit journalistisch-redaktionellen Angeboten bei Verstößen gegen anerkannte journalistische Grundsätze beanstandet und sanktioniert werden. Zudem müssen auch die jugendschutzrechtlichen Vorschriften des JMStV beachtet werden. Auch hier greift das Herkunftslandsprinzip[v] nicht, weswegen Telegram mit angeblichem Sitz in Dubai uneingeschränkt in Deutschland als Empfangsstaat sanktioniert werden kann. Nach § 109 MStV haben die Landesmedienanstalten dafür einen großen Instrumentenkasten und können Inhalte bzw. Kanäle beanstanden, Angebote ganz untersagen oder als ultima ratio sogar sperren lassen – wie zuletzt bei Pornoportalen[vi] auch praktiziert.

Natürlich können App-Stores auch aufgrund ihrer Richtlinien auch Apps aus ihrem Angebot entfernen, wie es die Bundesinnenministerin zuletzt gefordert hat. Das ist aber nicht nur kartellrechtlich, sondern auch medienrechtlich höchst problematisch. Damit wird die Entscheidung darüber, was eine zulässige Meinungsäußerung ist und was nicht, vom Staat auf die Privaten abgewälzt. Bezüglich einzelner Äußerungen mag dies nach einer Abwägung unter strengen Voraussetzungen verhältnismäßig sein, wie beispielsweise das neue zusätzliche Put-back-Verfahren in der NetzDG-Novelle oder die vom BGH vorgegebene vorherige Anhörung beim Löschen von Facebook-Posts.[vii] Aber die Entfernung eines ganzen Telekommunikationsdienstes ohne rechtsstaatliches Verfahren ist ganz sicher unverhältnismäßig. Zudem werden autoritäre Staaten künftig mit Verweis auf Deutschland die „freiwillige“ Entfernung unliebsame Kommunikationsdienste aus den App-Stores fordern.

Telegram kann also aus gutem Grund nur subsidiär in die Verantwortung genommen werden und Voraussetzung für all die beschriebenen Maßnahmen ist allerdings immer eine verbotene Meinungsäußerung, die auch eine rechtswidrige Straftat darstellt. Das ist in den meisten Fällen aber nicht so einfach und mit Blick auf den für die Demokratie immanenten und verfassungsrechtlich geschützten Meinungsaustausch sind auch viele grenzwertige Äußerungen hinzunehmen, die die Mehrheit zu recht nicht goutiert. Um Kollateralschäden für die Meinungsfreiheit durch eine überschießende Anwendung der oben beschriebenen Maßnahmen auf den Dienst Telegram und möglicherweise auch alle zulässigen dort getätigten Meinungen zu verhindern, müssen in erster Linie also die Täter ermittelt werden. Die schafft nicht nur Rechtssicherheit, sondern stärkt auch das gesellschaftliche Bewusstsein für die Strafbarkeit von Hass und Hetze im Internet. Zudem ist bei einer Abschaltung von Telegram ein Verlagerungseffekt zu erwarten, weil sich die Hater einfach eine andere Plattform suchen, die vielleicht noch unkooperativer ist.

Letztendlich braucht es also klassische Ermittlungsarbeit durch die Polizeien von Bund und Ländern. Die Länder haben dafür bereits Meldestellen wie die Zentral- und Ansprechstelle Cybercrime (ZAC) in NRW eingerichtet, die mit einer eigenen Abteilung Hinweisen aus der Bevölkerung nachgeht. Auch beim Bundeskriminalamt (BKA), für das die Bundesinnenministerin auch zuständig ist, wird es künftig endlich eine zentrale Meldestelle geben. Sofern von ZAC oder BKA Täter ermittelt werden können, muss das Ermittlungsverfahren allerdings zur weiteren Strafverfolgung an die Länderpolizei und an die Staatsanwaltschaften übergeben werden. Hier fehlt es vielfach an technischen und personellen Ressourcen – hier verbirgt sich das wahre Bottle-neck!

Zusammenfassend lässt sich daher festhalten, dass die Bundesinnenministerin zu Recht auf Maßnahmen hinweist, die allerdings nicht sie, sondern die nachgeordneten Behörden ihrer FDP-Ministerkollegen oder die Länder ergreifen können. All diese beschriebenen und teils auch schon in die Wege geleiteten Maßnahmen sind richtig und wichtig, um Telegram zur Kooperation zu zwingen. Um den grassierenden Hass in der Gesellschaft nachhaltig zu bekämpfen, braucht es aber statt Ankündigungen und Drohungen vor allem Aufklärung und in unbelehrbaren Fällen auch eine konsequente Strafverfolgung. Das macht erhebliche Investitionen in gut geschultes Personal und technische Ausrüstung erforderlich und braucht Zeit. Bis die Bundesinnenministerin hier nachbessert, besteht also weniger ein Regulierungs- als vielmehr ein Vollzugsdefizit und die medialen Paukenschläge müssen insoweit wohl eher als kurzfristiges Ablenkungsmanöver auf Kosten der Meinungs- und Medienfreiheit eingeordnet werden.

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[i] https://www.zeit.de/2022/03/nancy-faeser-innenministerin-hass-im-netz-impfpflicht/seite-4.

[ii] https://twitter.com/NancyFaeser/status/1483849277814280194?ref_src=twsrc%5Egoogle%7Ctwcamp%5Eserp%7Ctwgr%5Etweet.

[iii] https://www.bgbl.de/xaver/bgbl/start.xav?startbk=Bundesanzeiger_BGBl&start=//*[@attr_id=%27bgbl121s1436.pdf%27]#__bgbl__%2F%2F*%5B%40attr_id%3D%27bgbl121s1436.pdf%27%5D__1642927660325.

[iv] https://telegram.org/faq/de#f-wo-ist-der-standort-von-telegram.

[v] Ausführlich dazu Liesching, Das Herkunftslandprinzip der E-Commerce-Richtlinie und seine Auswirkung auf die aktuelle Mediengesetzgebung in Deutschland.

[vi] VG Düsseldorf vom 30.11.2021: https://www.vg-duesseldorf.nrw.de/behoerde/presse/pressemitteilungen/archiv/2021/2140/index.php.

[vii] MMR 2021, 903.

Januar 2022


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