Was ist noch privat? – der Tod als Grenze der Vertraulichkeit und das „digitale Erbe“

TH_20191118_medienrecht_19-min-840x430.jpg (Bild: TH-Köln)

Kaum ein Mensch beschäftigt sich gerne mit der Frage, was nach dem eigenen Tod mit dem Nachlass passieren soll. Noch weniger Menschen machen sich bewusst, dass nicht nur Haus und Hof zu ihrem Nachlass gehören, sondern auch digitale Werte, Rechte und Inhalte. Doch die Bedeutung der digitalen Welt wächst, und damit auch die Bedeutung des „digitalen Nachlasses“. Ein genauerer Blick lohnt sich.

08.11.2021

Lucia Burkhardt, Wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Kölner Forschungsstelle für Medienrecht, TH Köln

Auch die Rechtswissenschaften haben einen solchen bereits gewagt. Der digitale Nachlass beschäftigte in der Vergangenheit nicht nur die Wissenschaft, sondern auch Gerichte und Mitte des Jahres dann auch den hiesigen Gesetzgeber.

Doch zunächst zurück an den Anfang. Was genau verbirgt sich hinter dem Begriff des „digitalen Nachlasses“? Gemeint ist hiermit eine Vielzahl an unterschiedlichsten digitalen Rechtspositionen und Daten. Über Werte wie PayPal-Guthaben, Bitcoins, E-Books bis hin zu Verträgen mit Streamingdienst-, E-Mail- oder auch Onlinespieleanbietern ist alles dabei. Schließlich verfügt fast jeder Mensch über ein Profil bei einem sozialen Netzwerk – sei es Instagram, Facebook, Twitter oder LinkedIn – welches nach dem Tod der Nutzer:innen zunächst weiter besteht.

Gerade was die erbrechtliche Behandlung letztgenannter Accountverhältnisse angeht, herrschte lange Uneinigkeit. In einem Urteil aus dem Jahr 2018 hat der BGH viele der bis dahin umstrittenen Fragen geklärt. Das Ergebnis dürfte eine Mehrzahl der Nutzer:innen überraschen. Auch die Nutzerverträge mit Facebook, Twitter und Co. sind nach der Regelung des § 1922 Abs. 1 BGB im Wege der Universalsukzession vererblich. Die Erben treten im Wesentlichen uneingeschränkt in die schuldrechtlichen Nutzerverträge des Erblassers ein. Das gewährt ihnen nicht nur das Recht den Account aktiv weiter zu nutzen, sondern auch das Recht, die vor dem Tod des Erblassers erfolgte Kommunikation einzusehen. Laut BGH steht dem Einsichtsrecht der Erben weder das postmortale Persönlichkeitsrecht des Erblassers/der Erblasserin entgegen, noch der Schutz der Privatsphäre der Kommunikationspartner:innen. Das ebenfalls grundrechtlich geschützte Erbrecht überwiege den Vertraulichkeitsschutz der Kommunikationsteilnehmer.

Auch dem Schutz des Fernmeldegeheimnisses nach § 3 TTDSG (im Zeitpunkt des Urteils noch §§ 88 TKG) hat der BGH in seinem Urteil eine Absage erteilt. Die Erben seien nicht „andere“ im Sinne des § 3 Abs. 3 TTDSG (ehemals § 88 Abs. 3 TKG), sondern Beteiligte der Kommunikation und unterstünden damit selbst dem Schutz des Fernmeldegeheimnisses. Das Fernmeldegeheimnis schützt daher nicht vor den Erben, sondern schützt die Erben selbst.

Das hat der Gesetzgeber nun zum Anlass genommen, eine entsprechende Regelung in das neue TTDSG aufzunehmen. So steht das Fernmeldegeheimnis nach § 4 TTDSG „der Wahrnehmung von Rechten gegenüber dem Anbieter des Telekommunikationsdienstes nicht entgegen, wenn diese Rechte statt durch den betroffenen Endnutzer durch seinen Erben […] wahrgenommen werden.“ Zwingend wäre die Aufnahme einer solchen Bestimmung nicht gewesen, da der BGH seine Begründung nicht auf die Verfassung gestützt hat, sondern 2018 mit Blick auf die aktuelle Rechtslage entschied. Dem Gesetzgeber wäre es demnach auch erlaubt gewesen, eine gegensätzliche Klarstellung zu treffen.

Dennoch ist der Streit damit vorerst entschieden. Hat man seine Passwörter zu Lebzeiten gut behütet und pflichtbewusst keiner Menschenseele verraten – auch seinen Erben nicht –, hat man nicht genug getan. Die Rechtslage ist da eindeutig. Auch ohne Kenntnis von Logindaten sind Provider verpflichtet, Erben den Zugang zu Nutzeraccounts zu ermöglichen. Wer das nicht will, muss nun tätig werden. Soll die Online-Kommunikation Privatsache bleiben, sollte unbedingt eine entsprechende Verfügung ins Testament aufgenommen werden. Daher sollten sich Menschen mit dem Schicksal ihrer digitalen Rechtspositionen und v.a. auch ihrer digitalen Kommunikation nach ihrem Tod auseinandersetzen und sprichwörtlich nicht bis zuletzt warten.

November 2021


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