Sicherheit im Netz – Bei der Vorratsdatenspeicherung herrscht nun Klarheit

Der Europäische Gerichtshof hat kürzlich erneut zur Vorratsdatenspeicherung entschieden. Die Frage der unionsrechtlichen Zulässigkeit ist nun hinreichend klar. Nun muss der Gesetzgeber den Rahmen ausfüllen. Es geht um wirksame Verbrechensbekämpfung im Netz unter Wahrung des Datenschutzes. Aber welche Daten darf der Staat unter welchen Voraussetzungen speichern?

26.09.2022

Prof. Dr. Rolf Schwartmann, Leiter der Forschungsstelle für Medienrecht an der TH Köln; Vorsitzender der Gesellschaft für Datenschutz und Datensicherheit (GDD) e.V.

EuGH: Bestimmte Formen der „Vorratsdatenspeicherung“ zulässig

Die Kernaussage der Entscheidung lautet: Eine allgemeine und unterschiedslose Vorratsdatenspeicherung von Verkehrs- und Standortdaten zur Verhinderung schwerer Kriminalität und schwerer Bedrohungen der öffentlichen Sicherheit ist europarechtswidrig. Klar ist aber auch: Ohne Daten über Kriminelle kann man schwere Verbrechen im Netz nicht verfolgen. Deshalb bleiben fünf Optionen, zu denen unter bestimmten Voraussetzungen auch eine Vorratsdatenspeicherung zählt.

Fünf Optionen für die Kriminalitätsbekämpfung im Netz

Dem Staat ist folgendes erlaubt:

Speicherung von Daten zum Schutz vor realer und aktueller oder vorhersehbarer Bedrohung für die nationale Sicherheit etwa im Sinne einer Terrorgefahr

Speicherung bezogen auf bestimmte Kategorien von verdächtigen Personen (Telekommunikationsüberwachung) oder geografischer Kriterien (Schwerpunkte der Verbrechensbegehung oder besonders gefährdete Orte wie Flughäfen, Bahnhöfe etc.) zur Bekämpfung schwerer Verbrechen

Speicherung von IP-Adressen zur Verhinderung oder Verfolgung schwerer Straftaten

Speicherung von Daten, die die Identität von Nutzern elektronischer Kommunikationsmittel zur Bekämpfung schwerer Verbrechen betreffen

Umgehende Sicherung von Daten zur Bekämpfung schwerer Verbrechen im Einzelfall (sog. „Quick-Freeze“)

Nun geht es darum, eine oder mehrere dieser Optionen gesetzlich zu verankern. In Rede stehen aktuell das „Quick-Freeze“ und die begrenzte -Zuordnung der IP-Adresse.

Option „Quick-Freeze“

Das vom Justizminister präferierte „Quick-Freeze“ sieht vor, dass beim Verdacht einer schweren Straftat per richterlicher Anordnung die Daten einer verdächtigen Person gespeichert werden sollen. Der Haken daran ist, dass Daten die gar nicht erst von den Unternehmen gespeichert oder nur so kurz gespeichert wurden, dass sie bei der Speicheranordnung schon gelöscht sind, der Natur der Sache nach auch nicht „eingefroren“ werden können. Das Problem der Polizei besteht darin, dass sie keine Daten hat. Da die Regelung bei der Verhinderung der Datenlöschung ansetzt, geht sie – so der Vorwurf – schon von ihrer Idee her ins Leere.

Option „Begrenzte IP-Zuordnung“

Der Innenministerin schwebt eine andere Lösung vor, die bei der Speicherung der IP-Adresse ansetzt. Der Kölner Cybercrime Staatsanwalt Markus Hartmann und der ehemalige NRW-Justizminister Peter Biesenbach haben eine solche Lösung schon 2021 unter dem Schlagwort der „begrenzten IP-Zuordnung“ vorgeschlagen. Tatverdächtige im Netz sind an den IP-Adressen zu ihren Anschlüssen und Endgeräten zu erkennen. Die IP ist gerade bei der Bekämpfung von Kinderpornographie und Kindesmissbrauchs das entscheidende Ermittlungsinstrument. Wichtig ist es, die gesetzlichen Grenzen für diese vom EuGH erlaubte Speicherung vorzugeben. Sie muss zeitlich befristet sein und in der Strafprozessordnung müssen die Voraussetzungen für den Datenzugriff beschränkt werden. Erforderlich ist der Anfangsverdacht besonders schwerwiegender Taten. Für den EuGH ist diese Lösung erlaubt, wenn es um „schwere Kriminalität“ geht und die Speicherung das „absolut Notwendige“ nicht überschreitet.

Oft übersehenes Problem: „Private Vorratsdatenspeicherung“

Es ist gut und beruhigend, dass der Staat sich enge Grenzen bei Eingriffen in die Privatsphäre setzt und sorgfältig mit sich ins Gericht geht. Auf der anderen Seite ist es jedenfalls hierzulande nicht der grundrechtsgebundene Staat, vor dem die Bürger sich mit Blick auf ihre Privatsphäre besonders in Acht nehmen müssen.

Amazon-Haustürvideos für die Polizei

Das sieht bei privaten Unternehmen anders aus. Amazon bietet das Heim-Überwachungssystem Ring an. Videoaufzeichnungen des Systems werden laut Amazon vom Unternehmen auch ohne richterliche Anordnung an Organe der Strafverfolgung weitergegeben, wenn eine unmittelbare Bedrohung nachgewiesen wird und die Zeit drängt.[1] Das ist nichts anderes, als eine anlasslose, längere Speicherung und Verarbeitung und Weitergabe von Personendaten. An einer Einwilligung etwa abgebildeter Menschen an der Haustür oder an einer gesetzlichen Erlaubnis für diese Vorratsdatenspeicherung fehlt es. Wer betroffen ist, kann sich bei der Datenschutz-Aufsichtsbehörde über die Datenweitergabe durch Amazon beschweren. Es drohen dann Untersagungen, Bußgelder und Schadensersatz.

Private Anbieter müssen Regeln beachten

Der Streit um die staatliche Vorratsdatenspeicherung ist wichtig und genießt zu Recht hohe Aufmerksamkeit. Aber größere und realere Gefahren für unsere Privatsphäre lauern anderswo. Wie auch immer der politische Streit um die Zulässigkeit der Verbrechensbekämpfung gelöst wird. Private Vorratsdatenspeicherung ist an der Tagesordnung und sie findet außerhalb einer strukturierten rechtsstaatlichen Kontrolle statt. Darauf müssen wir alle achten.

[1] https://www.handelsblatt.com/technik/it-internet/ueberwachung-amazons-tuerklingel-ring-gibt-daten-ohne-gerichtsbeschluss-an-deutsche-polizei/28669862.html

September 2022


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