Freiheit für das Dubbeglas! Die Pfalz steht Kopf
Medienvertrauen in Coronazeiten
25.05.2021
Hans Demmel, Journalist und Medienberater sowie Mitglied des Beirats der Kölner Forschungsstelle für Medienrecht
Das kleine Wörtchen „gefühlt“ hat in den letzten Jahren eine erstaunliche Konjunktur erlebt. Ausgehend von der „gefühlten Temperatur“, die nicht nur die Gradeinteilung am Thermometer, sondern auch Faktoren wie Wind und Regen einbezieht, erleben wir neue Möglichkeiten, Alltagsfakten einzuordnen. „Gefühlt ist es erst halb elf“ war vor Corona einer der beliebten Sätze beim letzten Glas Wein um zwei Uhr früh. Eine Beobachtung aus der fast vergessenen Zeit für Kontaktreduzierung und Ausgangssperren.
„Gefühlt“ hat auch das Vertrauen in „Die Medien“ stark abgenommen. Das Glas Wein mit Freunden wird bald wieder zu unserem Alltag gehören, doch wie steht es um unser Vertrauen in die „Medien“?
Gefühlt und geforscht klaffen in den wenigen wissenschaftlich grundierten Untersuchungen eher auseinander. Wirklich systematisch verfolgt in Deutschland nur die Johannes Gutenberg-Universität Mainz in einer Langzeitstudie das Vertrauen der deutschen in Fernseh- und Radiosender, Tageszeitungen, Print-Magazine und Social-Media. Die erste dieser Erhebungen stammt aus dem Jahr 2008, seit 2015 erfragen die Mainzer Forscher das Medienvertrauen jährlich.
Im April dieses Jahres wurden die Ergebnisse der Welle 2020 veröffentlicht. Eher überraschend ist nach einem Jahr, in dem Themen wie Lügenpresse und Fake News häufig im Mittelpunkt des Diskurses um Glaubwürdigkeit standen, die Zusammenfassung der 2020er Forschungsergebnisse: Das Vertrauen in Medien ist gestiegen, der Vorwurf der „Lügenpresse“ ist bisher auf niedrigstem Stand, eine Mehrheit sei mit der Corona-Berichterstattung zufrieden, ein Viertel halte sie jedoch für übertrieben.
Auf die zentrale Frage: „Wie ist das, wenn es um wirklich wichtige Dinge geht – etwa Umweltprobleme, Gesundheitsgefahren, politische Skandale –, wie sehr kann man den Medien vertrauen?“ antworteten 56 Prozent der 1200 Befragten, man könne „eher/voll oder ganz vertrauen.“ 28 Prozent der Befragten äußerten sich ambivalent. Und 16 Prozent, wie es in der Zusammenfassung der Studie heißt, „nur 16 Prozent“ wollten den Medien „eher nicht/überhaupt nicht vertrauen“.
Das Ranking der Mediengattungen in dieser Studie hat sich über die Jahre der Erhebungen nicht verändert: Öffentlich-rechtliches Fernsehen vor überregionalen Tageszeitungen, Regionalzeitungen, privatem Fernsehen und mit einer Zustimmungsrate von nur sieben Prozent Boulevardzeitungen. Eindeutig am schlechtesten weg kommen Nachrichten auf Video-Plattformen mit zehn und sozialen Netzwerken mit fünf Prozent Glaubwürdigkeit.
Zu ähnlichen Ergebnissen kommen alle anderen Studien, etwa von Infratest Dimap im Auftrag des WDR oder der European Broadcasting Union. Und natürlich werden diese Ergebnisse von etablierten Sendern, Zeitungen und Printmagazinen gerne aufgegriffen. Bestätigen sie doch zum einen, wie sehr die redaktionelle Leistung geschätzt wird, zum anderen, wie positiv das Umfeld für Werbekunden ist.
Der Sprengstoff, den diese Untersuchung enthält, findet sich in einem unscheinbaren Nebensatz: „…..und alternative Nachrichtenseiten halten 14 Prozent der Bürgerinnen und Bürger für vertrauenswürdige Nachrichtenquellen.“ In einem ZDF-Interview macht Tanjev Schultz, einer der Autoren der Studie, klar: „Wir haben eine Polarisierung gemessen, die sich seit einigen Jahren verfestigt.“ Ihm zufolge gibt es eine wachsende, auch härter argumentierende Schar von „Medienkritikern mit zynischen Einstellungen.“ Von diesen Menschen werden massive Vorwürfe erhoben, dass Medien systematisch und permanent lügen würden. Der Sprengstoff hier liegt in dem Wort systematisch. Von systematisch Lügen bis zu den Verschwörungserzählungen von „deep state“ und „great reset“, also von der Elite, die das demokratische System zerstören und ein völlig neues Herrschaftsgeflecht etablieren will, ist der Weg kurz.
Das passt auch zu einer Erhebung der Konrad-Adenauer-Stiftung aus dem Jahr 2020. Sie kommt zu dem Schluss, dass 30 Prozent der Bevölkerung „Verschwörungstheorien für wahrscheinlich richtig oder sicher richtig hält.“
Noch bedrohlicher ist diese Entwicklung, wenn man bedenkt, wie hoch die Bereitschaft ist, meist weniger gebildeter Menschen, Nachrichten nur dann zu glauben, wenn sie in das eigene Mindset, den persönlichen Vorurteilskorridor passen. „Confirmation bias“ lautet der Fachausdruck der Psychologie, übersetzt „Bestätigungsfehler“. Menschen, so die Theorie dahinter, würden nur wahrnehmen und interpretieren, was ihren Vorannahmen entspricht, so der Psychologe Peter Watson. Ein aufsehenerregendes Buch dazu stammt von der Bürgerrechtlerin Katharina Nocun und der Psychologin Pia Lamberty. In „Fake Facts“ untersuchen sie die zunehmende Rolle und Gefahr von Verschwörungstheorien.
Zusammenfassend lässt sich sagen, wer immer sich mit dem gefühlten Phänomen des schwindenden Medienvertrauens auseinandersetzen will, muss mehr lesen als die ersten Absätze von Studien, die dann aus nachvollziehbarem Anlass und der notwendigen Knappheit journalistischer Formate in der Tagesschau oder Tageszeitung nach Entwarnung klingen.
Wenn, um zu dem Vergleich mit dem Wetter zurückzukommen, 14 Prozent Alternativ-Medien 14 Grad Celsius entsprechen, dann wird es bei dem eiskalten Wind, den diese „Alternativ-Medien“ verbreiten, sehr schnell sehr viel kälter. Die gefühlte Temperatur ist dann wahrscheinlich nur noch knapp über Null. Grund genug, sich bei diesem Thema warm anzuziehen.
Mai 2021