Reformdebatte über Organisation der Medienaufsichtsgremien nötig

Die aktuellen Ereignisse im rbb haben besonders auch die Aufsichtsgremien der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten (ÖR) ins Licht gerückt: Die Verwaltungs-, Rundfunk- und Fernsehräte.

29.08.2022

Prof. Dr. Stefan Sporn, Honorar-Professor der TH Köln und Sprecher des Beirats der Kölner Forschungsstelle für Medienrecht*

Die aktuellen Ereignisse im rbb haben besonders auch die Aufsichtsgremien der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten (ÖR) ins Licht gerückt: Die Verwaltungs-, Rundfunk- und Fernsehräte. Sie haben mit der Entscheidungskompetenz über Finanzordnungen, Haushalte, Satzungen und Programmaufsicht zentrale, bedeutende und verfassungsrechtlich unverzichtbare Aufgaben zu erledigen. Erfüllen sie diese in gebotener Weise und können sie das überhaupt? Krisen, wie sie die Ereignisse beim RBB ausgelöst haben, sind immer auch eine Chance, Bestehendes zu hinterfragen und möglicherweise auch zu verändern und zu verbessern. Man muss sie nur ergreifen.

Die vor wenigen Tagen von ihrer Funktion als Vorsitzende des rbb-Rundfunkrates und gleichzeitig als stellvertretende Vorsitzende der ARD-Gremienvorsitzendenkonferenz zurückgetretene Frederike von Kirchbach hat in einem Interview mit medienpolitik.net (v. 09.08.2022) jüngst in entwaffnender Offenheit möglicherweise das zentrale Problem der Gremien auf den Punkt gebracht: „Wir Rundfunkräte sind keine Experten.“ Wer nicht täglich juristisch mit Rundfunkverfassungsrecht zu tun hat, wird sich zu Recht sofort fragen: „Wieso sind die denn keine Experten? Wie können die denn ihren Aufsichtspflichten sinnvoll nachkommen, wenn sie mehr oder weniger keine Ahnung haben?“

Offensichtlich können sie ihren Pflichten nicht nachkommen, oder zumindest nicht immer und nicht so, wie man es sich als Beitragszahler einerseits und anderseits als überzeugter Vertreter einer funktionierenden dualen Rundfunkordnung wünscht. Das ist den bestehenden Mitgliedern der Gremien allerdings kaum vorzuwerfen. Es handelt sich vielmehr um einen gesetzlichen Systemfehler. Wenn der Gesetzgeber keine klaren Vorgaben macht (mit ganz wenigen Ausnahmen), was ein Gremiumsmitglied an Qualifikationen haben muss, dann muss man sich über „Ausfälle“ wie beim rbb nicht wundern; sie sind letztlich nur eine Frage der Zeit.

Die Länder halten bisher an den bisherigen „pluralistisch“ besetzten Gremien fest, bei denen es angeblich rein um „gesellschaftliche Relevanz“ der entsendungsberechtigten Institutionen geht – aber eben fast nie um Kompetenz und (nachgewiesene) Sachkunde. Das gemeinsame reine Lesen der Regelungen zur Besetzung des Rundfunkrats des WDR – rein beispielhaft – ist eine schöne Übung mit den Studenten unseres Studiengangs. Die mit jeder weiteren Ziffer der einschlägigen Vorschrift des WDR-Gesetzes mehr irritierten Gesichter der jungen Leute zeigen deutlich, dass diese Regelungen „für sich“ sprechen. Bestätigt wird dieser Eindruck auch aktuell in der Studie „Welche Gesellschaft soll das abbilden?“ der „Neuen deutschen Medienmacher*innen“ (https://mediendiversitaet.de/vielfalt-in-rundfunkraeten). Sie stellt insbesondere auch fest, dass die Rundfunkräte nur so staatsfern seien, wie sie unbedingt müssten. Hier mag der Grund für den derzeit nicht erkennbaren Änderungswillen der Politik liegen. Eine verfassungsrechtliche Notwendigkeit für die „pluralistisch“ besetzten Gremien aus Grundgesetz und Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts lässt sich zwingend nicht generell ableiten; eine Verpflichtung zu einer effizienten Aufsicht über den öffentlich-rechtlichen Rundfunk dagegen schon.

Statt aber den Systemfehler zu korrigieren, wird bei den aktuellen Änderungsvorschlägen nur am Problem herumgebessert. Die personelle und finanzielle Ausstattung der Gremienbüros müsse überprüft werden, damit sie die Gremien besser unterstützen können, fordert die rheinland-pfälzische Medienstaatssekretärin Heike Raab in einem Interview mit der FAZ (v. 17.08.2022). Damit ist „Kompetenz“ immer noch kein Kriterium für einen Rundfunkrat; vielmehr soll offenbar die mangelnde Kompetenz der Gremiumsmitglieder durch verbesserte Kompetenz der Gremienbüros kompensiert werden. Da stellt sich irgendwann die Frage, wer denn hier tatsächlich der Kontrolleur ist.

Was für eine verfassungsrechtlich notwendige effiziente Aufsicht des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in einer immer komplexer werden Medienwelt und -ordnung gebraucht wird, sind somit doch letztlich unabhängige Expertengremien – ausgenommen vielleicht Programmbeiräte, die sich ausschließlich mit dem Programm und der Erfüllung des Programmauftrages auseinandersetzen. Wir haben für Expertengremien in unserer Medienordnung eine Reihe von Vorbildern, die große und breite Akzeptanz genießen. Exemplarisch sei hier für den Öffentlich-Rechtlichen Rundfunk die Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs der Rundfunkanstalten (KEF) genannt; innerhalb der Organisation der Aufsicht über den privaten Rundfunk gibt es die Kommission zur Ermittlung der Konzentration im Medienbereich (KEK), bei der zumindest die Hälfte des Gremiums mit unabhängigen Experten besetzt ist.

Wer es ernst meint mit einer Verbesserung der Aufsicht, muss sich gerade mit der Option von unabhängigen Expertengremien auseinandersetzen. Sie würden in einer immer komplexer werdenden Medienwelt höchste Gewähr für eine effiziente und regelkonforme Aufsicht bieten und damit letztlich den ÖR stärken. Übrigens: Was für den ÖR gilt, gilt auch für die Landesmedienanstalten als Aufsichtsinstitutionen über die privaten Medien: Ihre Kommissionen und Räte sind genauso „pluralistisch“ mit überwiegend „Nicht-Experten“ besetzt. Die laufenden Reformgespräche über eine Novelle des Medienstaatsvertrags sollten sich das Thema ehrlich und ernsthaft vornehmen; es wäre eine genutzte Chance.

*Dieser Beitrag gibt ausschließlich die persönliche Meinung des Autors wieder!

August 2022


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