Krieg mit Informationen

Die Akzeptanz des Rechtsstaats setzt voraus, dass die Menschen ihr Rechtssystem und dortige Entscheidungen grundsätzlich verstehen können.

21.03.2022

Prof. Dr. Rolf Schwartmann, Leiter der Forschungsstelle für Medienrecht an der TH Köln; Vorsitzender der Gesellschaft für Datenschutz und Datensicherheit (GDD) e.V.

Russlands Krieg gegen die Ukraine ist auch ein Krieg mit Informationen. Viele wollen der Ukraine beistehen. Aber gerade dann, wenn man auf dem Pulverfass sitzt muss man besonnen sein. Welche Möglichkeiten haben Staaten, Medien und Zivilgesellschaft?

Informationen können wie Waffen eingesetzt werden

Medien können im Krieg wie Waffen eingesetzt werden. Das Völkerrecht ist sich dessen bewusst. Im Pakt über bürgerliche und politische Rechte haben sich fast alle Staaten dazu verpflichtet, Kriegspropaganda gesetzlich zu verbieten. Sie soll die Öffentlichkeit auf den Krieg einschwören. Wladimir Putin bezeichnet allerdings seinen Krieg nicht als Krieg und seine Bevölkerung, die sich mehrheitlich aus staatsnahen Medien informiert, lässt sich in die Irre führen. Wie sollen Staaten, Medienunternehmen und Bürger der Ukraine mit den Mitteln der Freiheit und des Friedens helfen, ohne die Situation zu eskalieren oder das Recht zu verletzen?[1]

EU-Regierungschefs bekunden Solidarität

Drei EU-Regierungschefs aus Osteuropa haben sich im Zug auf den Weg durch die Bomben gemacht, um gegenüber ihrem Kollegen in Kiew, den Menschen dort und der Welt ein mutiges und friedliches Zeichen zu setzen. Darüber berichten Medien weltweit und das sind im Rahmen der Umstände gute Nachrichten im Krieg, die den Unterdrücker mit legitimen Mitteln unter Druck setzen können.

Medienfreiheit im Informationskrieg

Im Krieg der Informationen gibt es besondere Vergeltungsmaßnahmen. Dürfen Staaten sie in dieser Situation in der Form ergreifen, dass sie staatliche oder staatsnahe russische Medien „aussperren“? Die fundamentale Bedeutung der Staatsfreiheit der Medien für die freie demokratische Willensbildung und den Frieden war nach dem zweiten Weltkrieg nie offenkundiger als jetzt. Das Bundesverfassungsgericht leitet aus der Informationsfreiheit des Grundgesetzes etwa die Pflicht ab, dass die Interessen des ausländischen Mieters Rundfunkproramme seines Heimatlandes zu empfangen, gegen die Interessen des Vermieters gestellt werden müssen. Das macht auch dann Sinn, wenn dort Kriegspropaganda gesendet wird. Schließlich kann man sich damit nur kritisch auseinandersetzen, wenn man sie kennt. Wer den freien Fluss der Informationen will und darauf vertraut, dass sich Lügen in der freien demokratischen Welt selbst enttarnen, der dürfte Schwierigkeiten damit haben, der Unfreiheit mit Maßnahmen der Unfreiheit zu begegnen.

„Aussperrung“ russischer Staatsmedien zur Durchsetzung des Gewaltverbots

Wer dagegen den Schwerpunkt auf die Durchsetzung des Gewaltverbots unter den Staaten legt, das den Kern des Friedenssicherungsrechts der internationalen Staatengemeinschaft bildet, der mag das Verbot russischer Staatsmedien für legitim halten. Angesichts des eklatant völkerrechtswidrigen Einmarsches Russlands in die Ukraine spricht viel dafür, auch die den Völkerrechtsbruch rechtfertigende Kriegspropaganda zu verbieten. Auch wenn Kriegspropaganda weder völkervertraglich noch durch die Praxis der Staatengemeinschaft definiert ist, dürfte alles dafür sprechen, dass Russland aktuell den Tatbestand erfüllt.

Aufforderung zum Beistand ist nicht Kriegspropaganda

Dass Wolodymyr Selenskyj die Medien der Welt als Sinnbild der Tapferkeit, Unbeugsamkeit und Freiheit dominiert ist kein Kriegsbeitrag, sondern die Wahrnehmung eines Menschenrechts und zugleich des Selbstverteidigungsrechts eines gewaltsam angegriffenen Staates. Wenn der Kreml ihm seinerseits Kriegspropaganda vorwirft, dann ist das angesichts der für alle Welt offenkundigen Fakten an Niedertracht, Zynismus und Würdelosigkeit nicht zu überbieten. Völkerrechtlich muss man Kritik anderer Staaten als eine erste Ebene von Propaganda im staatlichen Miteinander hinnehmen. Kommt es zu einer Einmischung in die inneren Angelegenheiten fremder Staaten auf einer zweiten Ebene, etwa in Form der Bitte um Beistand gegen einen Angriff, dann ist das völkerrechtlich relevant und geregelt. Die Verstöße Russlands gegen das Gewaltverbot und das Nichtinterventionsprinzip sind nach der UN-Charta verboten. Dagegen darf sich der betroffene Staat unter Berufung auf das Selbstverteidigungsrecht nach Art. 51 UN Charta per Aufforderung zum Beistand so wehren, wie es die Ukraine in diesen Tagen weltweit macht. Unabhängig davon, kann man auf einer dritten Ebene völkerrechtlich den Begriff der Kriegspropaganda ins Spiel bringen, wie sie der Kreml betreibt.[2]

Frieden kann man nicht erzwingen

Viel mehr, als russische Medien in Europa zum Schweigen zu bringen, ist der Staatengemeinschaft aktuell allerdings nicht möglich. Das Völkerrecht kann souveräne Staaten nicht gegen ihren Willen einer Friedensordnung unterwerfen. Das gilt auch für das jüngst ergangene Urteil des Internationalen Gerichtshofs, der keine Möglichkeiten hat sein bindendes Recht durchzusetzen. Schlimm genug. Was kann man unternehmen?

Die Rolle der Medienunternehmen

Wenn es um die Wahrnehmung medialer Verantwortung geht, dann treten auch Unternehmen auf den Plan. Der Kreml scheut sich nicht, die freie Medienberichterstattung in Russland durch drakonische Strafen für Journalisten und alle, die sich der Freiheit und Wahrheit verpflichtet fühlen und danach handeln, zu unterbinden. Rundfunksender und Medienunternehmen ziehen – jedenfalls zum Teil und zeitweise – ihre Berichterstatter ab, um sie zu schützen. Zugleich versiegt die Informationsquelle.

Was können Soziale Netzwerke tun?

Soziale Netzwerke müssen nicht vor Ort sein, um eine Plattform der Freiheit zu sein. Auch sie beteiligen sich am Krieg der Informationen. Sie greifen aktuell in das Kriegsgeschehen ein, indem sie Maßnahmen gegen Kriegspropaganda ergreifen. Facebook, Instagram, Twitter und Youtube blockieren russische Staatsmedien. Allerdings geht ihr Einsatz darüber hinaus. Facebook lässt Gewaltaufrufe wie „Tod den russischen Invasoren“ zu, will aber glaubwürdige Aufrufe zur Gewalt gegen russische Zivilisten unterbinden. Konkrete Aufrufe, Wladimir Putin und Aljaksandr Lukaschenka zu töten, will man zeitweilig erlauben.

Facebook: Privates Kriegsrecht per Nutzungsbedingungen

Facebook schafft sich privates ad hoc Kriegsrecht per Nutzungsbedingungen, wenn man so will. Betrachtet man das rechtlich, dann setzt Facebook hier sein eigenes Gewaltverbot per Hausrecht außer Kraft. Solange der Rechtsstaat auch das Leben von Despoten und Mördern schützt und öffentliche Aufrufe zu deren Tötung unter Strafe stellt, wird Facebook sich dazu rechtlich erklären müssen. Nach dem Gesetz und der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes sind strafbare Inhalte dort jedenfalls zu löschen.

Twitter: Der Tor-Browser als Tor zur Freiheit

Wenn Twitter demgegenüber seiner staatlichen Blockade in Russland entgegenwirkt, indem es eine Version seines Angebots speziell für den Tor-Browser zugänglich gemacht, dann ist das eine gute und legale Idee, um der Freiheit die Tür zu öffnen.

Was können Private tun?

Auch für viele Privatleute ist im Krieg gegen die Ukraine die Stunde der Zivilcourage gekommen. Hilft Bürgerwehr, wenn die Staaten den Despoten durch die Maschen des Rechts schlüpfen lassen?

Je suis Marina

Den Mut einer Marina Owsjannikowa, die in den Nachrichten des russischen Staatsfernsehens ein Transparent gegen den Krieg und die Kriegspropaganda hochhielt, haben die Wenigsten. Ihr offener Einsatz für die Freiheit und den Frieden aus der Höhle des Löwen heraus hat die Welt erreicht und bewegt. Sie ist das Kind eines russischen und eines ukrainischen Elternteils und vereint die Liebe der beiden Völker zueinander in ihrer Person. Sie setzt den Kreml friedlich und mit den Mitteln der Freiheit unter Druck und demaskiert dabei den Kriegstreiber in der Keimzelle seines Informationskrieges, den staatlichen Nachrichten. Ihr Schritt vereint Freiheit, Tapferkeit, Tatkraft, Mut, Effizienz und Symbolkraft. Hoffentlich verschont der Kreml die Frau, die für Freiheit und Frieden in diesen Tagen steht und die verhangene Geldstrafe bleibt das letzte Wort.

Private Hackerangriffe eskalieren

Viele begeben sich als private Hacker im Netz eigenmächtig auf den Kriegspfad. Das ist auch nach den Kategorien des Rechtsstaats häufig illegal. Das Strafrecht schützt nämlich auch russische Computer vor illegalen Datenzugriffen. Die Staatsanwaltschaft Berlin hat kürzlich gegen das Hacker-Kollektiv Anonymous wegen eines Angriffs auf den Energiekonzern Rosneft Deutschland ein Verfahren eingeleitet und das Bundeskriminalamt mit den weiteren Ermittlungen beauftragt. Das ist rechtlich konsequent. Wenn Hacker russische Webseiten lahmlegen und Fernsehsender kapern, dann eskaliert das die Situation, anstatt sie zu befrieden, so befürchten Experten. Gelingt privaten Hackern im Einzelfall tatsächlich ein nennenswerter Treffer, dann führt das ziemlich sicher zu Gegenmaßnahmen. Die Gefahr, dass sich so ein Cyberkrieg zusätzlich zum schon existierenden Krieg entwickelt, ist groß.

Krieg und Frieden sind Staatsangelegenheiten

Wer nicht vom vermeintlichen Retter zum potentiellen Kriegstreiber werden will, der sollte sich also zurückhalten. Rechtsdurchsetzung ist auch im Krieg ebenso eine Staatsangelegenheit, wie die Kriegsführung und deren Vermeidung selbst.

[1]  https://dataagenda.podigee.io/14-informationskrieg

[2] https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/medien/gegen-kriegspropaganda-hilft-nur-selbstverteidigung-17881946.html

März 2022


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